Mehr als zwei Jahrzehnte schrieben Ernie Reyes und seine Familie in der Kampfkunstszene Geschichte. In diesem Familienporträt untersucht unser Mitarbeiter Tom Callos die gemeinsamen Erfolge der Reyes´, und stellt fest, daß der geniale kreative Geist von Ernie Reyes die Familie auf Trab hält.

KICKING TOGETHER
Der Reyes Clan erobert die Welt
Was damals war
Ernie Reyes sr. aus Kalifornien ist ein Pionier und Meister der kreativen Kampfsportdemonstrationen und Choreographie. Seit 1979 bließ sein „West Coast Demo Team“ frischen Wind in die amerikanische Kampfsportszene. Die Karate-Turniere, die sich seit den sechziger Jahren nicht mehr verändert hatten, wurden durch die dynamischen Shows des Teams, seine komischen Rollenspiele und innovativen Musik-Formen untermalt. Durch Reyes´ Einfluß stahlen die Formenwettkämpfe dem Sparring die Show, und Karate-Turniere wurden zu Labors, in denen Bewegungen und Neuheiten getestet wurden. Als Referenz für Reyes Einfluß auf die Wettkampfszene waren unter den zehn besten Formenläufern Amerikas seine Schüler. Kein anderer Lehrer hat diesen
Rekord je gebrochen. Bevor sich Reyes einen Namen als Lehrer gemacht hat, war er selbst ein Champion. Jahrelang war er ein ausgezeichneter Formenläufer, Point-Fighter und Taekwondo-Kämpfer. 1977 kämpfte er im US-Taekwondo-Team und holte Bronze bei den Weltmeisterschaften. Reyes Erfolge als Trainer und Wettkämpfer wurden 1981 belohnt, als ihn das amerikanische Magazin Black Belt in seine berühmte Hall of Fame wählte. Wenig später brachte ihn seine Kreativität und seine Professionalität nach Hollywood. Disney, Motown, Tri-Star und MGM/United Artists stellten ihn ein, um beim Film zu arbeiten. Von seinen ganzen Erfolgen ist er auf zwei besonders stolz: seine Söhne, den 24jährigen Ernie jr. Und den 18jährigen Lee. Wie ihr Vater sind beide sehr engagierte Kampfkünstler. Ernie Reyes jr. war bereits im Alter von acht Jahren ein Phänomen. Mit einem geliehenen schwarzen Gürtel, ohne Angst und mit einem beeindruckenden Auftreten und fehlerloser Technik bewaffnet, begann er gegen Erwachsene im Formenwettkampf anzutreten. Dabei trat er sowohl allein als auch mit seinem Vater in Partnerformen an. Kampfrichter und andere Wettkämpfer waren verblüfft, und die Zuschauer waren begeistert. Er gewann die Diamond Nationals, Battle of Atlanta, US Open, die West Coast Nationals und viele andere großen Karate-Turnier in Amerika.
Er ging als erstes Kind in die Geschichte ein, das sich auf nationaler Ebene gegen Erwachsene Schwarzgurte durchsetzen konnte.

Ernie war nicht nur ein süßes Kind mit einer ausgefallenen Form. Seine Vorführungen waren so einzigartig und innovativ, daß sie den Jugend-Formenwettkampf revolutioniert haben. Nach seinem Erfolg waren die Karate-Schulen voll mit jungen Leuten, die Formenstars wie er werden wollten. 1982 fiel das Auge eines Talentsuchers auf Ernie Reyes jr., der in Las Vegas eine Vorführung gab. Wenig später unterschrieben Vater und Sohn einen Filmvertrag. Aus dem Film wurde dann die Serie „Sidekicks,“ die erst kürzlich im deutschen Fernsehen lief. Während Ernie jr. vor der Kamera stand, zeichnete sein Vater für die Choreographie der Kämpfe verantwortlich. Es gab 27 Folgen der Serie, und die beiden wurde in Hollywood bekannt. Ernie jr. trat in anderen Fernsehserien, wie zum Beispiel Kung Fu, Highway to Heaven, Mc Guyver und Circus of the Stars, als Gaststar auf. Dann ging es zum Film. Geheimmission Bodyguard, Red Sonja, Der Tanz des Drachen, Turtles 1 und 2 und Surf Ninjas sind die Filme, in denen Ernie jr. entweder allein oder an der Seite seines Vaters Bösewichte in die Flucht schlägt. Lee hat in Hollywood nicht so viel gearbeitet, wie sein Bruder, aber auch er stand schon selbst vor der Kamera. Sein Debüt gab er in Sidekicks, spielte dann in der Serie Raven, bevor er die Hauptrolle in American Ninja 5 übernahm. Seit er alt genug war, einen Gi zu tragen, reiste Lee mit seinem Vater durch Amerika, um mit dem West Coast Demo Team aufzutreten. Seit 1980 durchkreuzte das Team Amerika, und kam zu dem Spitznamen „Die Harlem Globetrotters der Kampfkunst“. Hunderte von Demonstrationen und zehnmal soviele Trainingsstunden schliffen Lees Fähigkeiten. Die drei Reyes waren und sind in wirklich allen Bereichen der Kampfkunst erfolgreich: Neben Wettkämpfen und Demos unterrichten sie und leiten ihre Schulen mit Erfolg. Sie haben schon etliche Formen und Kampfchampions herausgebracht. Außerdem haben sie einige der besten Turniere veranstaltet, vertreiben ihre eigene Kollektion an Sportkleidung und bereisten die Welt als Botschafter der Kampfkunst. Die Reyes haben alles gemacht, und doch ist noch kein Gedanke an das Aufhören vorhanden.
Und das ist heute
Ernie Reyes hat eine schlanke Taille, die in einen kräftigen, muskulösen Oberkörper übergeht. Eine strenge Diät und eine gute Veranlagung sind Garanten für seine ganzjährige Fitness. Sein immer noch tief schwarzes Haar und seine glatte olivfarbene Haut, Zeichen seiner philippinischen Herkunft, lassen ihn deutlich jünger aussehen, als er ist: Reyes ist 50 Jahre alt. Nach mehr als zwei Jahrzehnten voller Hingabe zu den Kampfkünsten, gibt es da ein Anzeichen von Ermüdung? Kaum. Er ist wie nie zuvor damit beschäftigt, immer komplexere Projekte zu organisieren. Um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie es ist, Ernie Reyes Sr. zu sein, muß man einen Blick auf seinen Zeitplan werfen. Neben seiner Tätigkeit und Choreograph in Hollywood hält ihn seine Kette von 24 Taekwondo-Schulen auf Trab. „Die meiste Zeit geht für die Organisation der jährlichen Veranstaltungen drauf, und natürlich für das Management der Schulen,“ meint Reyes. An den Schwarzgurtprüfungen der West Coast Association nehmen im Durchschnitt 200 Sportler teil, außerdem kommen jedes mal 2.000 Zuschauer und mehr als 250 Danträger, die helfen. In den Monaten vor der Prüfung trifft er sich mit den Kandidaten zweimal wöchentlich zum Training. Der Höhepunkt ist das Schwarzgurt-Bankett, noch eine Veranstaltung, die jährlich 2.000 Zuschauer anzieht. Es war ein schwieriges Unterfangen, aber Reyes hat dem schwarzen Gürtel in seiner Schule einiges an Prestige verschafft. Schulen in ganz Amerika sind nun dabei, seine Art der Promotion zu kopieren. Und was macht er noch? Er richtet pro Jahr vier große, schulübergreifende Turniere aus, zu denen jeweils mehr als 1.000 Teilnehmer kommen – alles West-Coast-Schüler! Einmal im Jahr zieht sich Reyes zurück nach Nord-Kalifornien, wo er ein zweitägiges Sommercamp für 300 Kinder abhält. Außerdem unterrichtet er seine Top-Schwarzgurte dreimal in der Woche und reist viel mit dem Demo-Team. Das „Next Generation Action Team,“ wie es sich nennt, macht mindestens sieben nationale oder internationale Auftritte pro Jahr. Irgendwann zwischen all diesen Terminen und Projekten setzt Ernie sr. sein eigenes Training fort. Er lernte Wu-Shu, Hapkido und Judo sowie Gracie-Jujitsu von Cesar Grazie.

Jüngst arbeitete er mit Sig Kauferath an seinen Jujitsu-Techniken. Im letzten Jahr nahm er sich die Zeit für ein weiteres, für ihn sehr wichtiges Ereignis: Mit Hilfe seiner langjährigen Freundin, der ehemaligen Formenmeisterin Margie Betke, vergrößerte sich die Familie. Das kleine Mädchen heißt Destiny (Schicksal). Und was ist das Schicksal des Ernie Reyes Sr.? Eine Frage, die er ohne Nachdenken beantwortet: „Ich strebe danach, Leute zu guten Künstlern zu machen,“ sagt Reyes. „Das ist es, worum es in meinem Demo-Team geht. Es zeigt, welche positiven geistigen, körperlichen und emotionalen Fähigkeiten die Kampfkünste in einem Jugendlichen entwickeln können. Mein Schicksal ist es, mich selbst, meine Trainer und Schüler zu Vorbildern und zu Führungspersönlichkeiten innerhalb und außerhalb der Kampfkünste zu machen.
Ernie Reyes und seine Söhne hatten nie ein Problem damit, die Öffentlichkeit zu erreichen. Weltweit war Ernie jr. auf den Bildschirmen und Leinwänden zu sehen. In „Red Sonja“ war er kaum größer als der Oberarm von Hauptdarsteller Arnold Schwarzenegger. Als „Keno“ in „Ninja Turtles II“ war er ebenso ein Teenager wie die gepanzerten Mutanten. In seinem letzten Film Surf Ninjas (1993) war das Kind, das jeder „Klein Ernie“ nannte, kein Kind mehr. Ernie jr. hat sich in einen muskulösen Erwachsenen verwandelt, der sich mit gerade mal sechs Prozent Fettanteil im Körper gut für den Titel des Mr. California bewerben könnte. Aber Ernie jr. wuchs nicht im Fernsehen auf, sondern im Dojo seines Vaters. Die Disziplin der Kampfkünste und die östlichen Philosophien formten seinen Charakter und gaben ihm Werte vor. Seine Vorbilder waren Schwarzgurte, Nationale Champions und Olympiken. Dadurch blieb Ernie jr. trotz all seiner Erfolge und seines Ruhms ein bescheidener und höflicher Mann. Er ist so, wie man sich jemanden vorstellt, der sein Leben den Kampfkünsten gewidmet hat. Eine Kindheit voller Training im Dojo machte Ernie, ebenso wie seinen Vater, zu einem Mann, der Action liebt. Für Ernie Reyes jr. gibt es zur Zeit zwei Dinge, die den Großteil seiner Zeit und Energie beanspruchen: Er hat das Drehbuch zu dem Film „The Process“ geschrieben und hier auch Regie geführt. Ein weiteres Debüt gab er als Amateurboxer. Diese beiden, auf den ersten Blick völlig gegensätzlichen Dinge passen perfekt zu Ernie‘s Charakter. Auf der einen Seite sehr körperlich orientiert, ist er doch sehr intellektuell, und manchmal auch philosophisch. „The Process,“ mit allen Reyes in den Hauptrollen, ist Ernies Versuch, einen „wichtigen Film“ zu machen. Es ist kein typischer Kampfsport-Film, sondern er zeigt die moralischen und emotionalen Probleme eines Asiaten auf, der gegen Vorurteile und soziale Werte ankämpft. Ernie jr. sagt, er hat „The Process“ gemacht, um Erfahrungen im Filmemachen und Schauspielen zu sammeln. Er wollte keinen „Schema F-Film“ produzieren. Im Alter von 24 Jahren ist es für ihn eine Herausforderung, ein Kunstwerk zu schaffen, das sein Leben, seine Arbeit und seine Kampfkunst beinhaltet. „Um ein guter Schauspieler zu sein, mußt Du ein Künstler sein“, sagt Ernie jr. „Du schaffst etwas, wo bislang nichts existiert. Die Kunst des Schauspielens eröffnete mir eine neue Perspektive in den Kampfkünsten. Ich gehe an beides mit einer offenen Einstellung heran. Ich sehe es nicht als selbstverständlich an, alles über das eine oder andere zu wissen. Als Konsequenz daraus beschäftige ich mich immer mehr mit dem, was ich tue. Jüngst fragte ich mich als Kampfkünstler, was denn geistige Entwicklung bedeute, und wie diese sich auf mein Leben überträgt.“ Versucht Ernie jr. nun, ein zweiter Francis Coppola (Regisseur von „Der Pate“) zu werden, oder strebt er die Weltmeisterschaft im Boxen an? „Keins von beiden,“ behauptet er. „Wenn ich trainiere oder arbeite,“ sagt er, „vergesse ich alle Zeitpläne und Ziele, und sehe einfach, wohin mich mein Schaffen führt. Ich lebe gerne, hier und jetzt, so macht das Leben mehr Spaß.“ Für Ernie jr. bedeutet Spaß haben nicht, einfach nur herumzusitzen. Er ist in der besten Form seines Lebens. Vier Stunden, sechs Tage in der Woche, trainiert er mit seinem Bruder Lee. Die Workouts bestehen abwechselnd aus Kicking, Boxen, Laufen und Krafttraining. Wenn man Ernie beobachtet, muß man gleich an Bruce Lee denken. Der Vergleich liegt nicht beim Auftreten, sondern in seiner außergewöhnlichen körperlichen Erscheinung. Vor ihm zu stehen, wenn er kickt, ist nichts anderes als furchteinflößend. Er kickt oder bewegt nur seine Extremitäten, sondern führt die Techniken mit seinem ganzen Sein aus.

Es ist schwierig zu beschreiben, aber da ist etwas, das über das körperliche hinausgeht. Es gibt Schauspieler und Kampfkünstler, die mehr in der Öffentlichkeit stehen und bekannter sind, aber es gibt keinen im Geschäft, der Ernies Fähigkeiten hat und so durchtrainiert ist. Obwohl er schon sein halbes Leben vor der Kamera zugebracht hat, ist es noch keinem gelungen, sein ganzes Talent auf Zelluloid zu bannen. Vielleicht klappt es mit „The Process.“ Wie sein Vater und sein älterer Bruder ist Lee Reyes kein Typ, der seine Zeit vergeudet. Seit vier Jahren trainiert er mit dem Next Generation Action Team, mit dem er auch auftritt. Lee und seine Sportkameraden, zum Beispiel die nationale Formenchampions David Douglass und Kim Do, brachten das Team aus der Versenkung zurück. „Während der letzten Jahre ist das alte (West Coast Demo) Team nicht so oft aufgetreten“, erinnert sich Lee. „Die waren alle mit ihren Schulen und Filmen beschäftigt. Ich wollte ein neues Team aufbauen, das genauso gut, wen nicht besser ist, als das alte.“ Keine leichte Aufgabe, doch Lee ging mit der typischen Reyes-Einstellung daran. Das Ergebnis? Das Next Generation Action Team, kommt wirklich an seine Vorgänger heran, wenn es sie nicht sogar übertroffen hat. Die neuen Kids sind stärkere, bessere Athleten, und sie lassen die schwierigsten Techniken wie ein Kinderspiel aussehen. Das Team hat Lee und seinen Vater dazu motiviert, wieder auf Tour zu gehen. Seither traten sie bei etlichen Kampfsportveranstaltungen, im Fernsehen und vor Persönlichkeiten wie Steven Spielberg und Arnold Schwarzenegger auf. „Die tollste Vorführung haben wir in Deutschland gegeben,“ sagt Lee. “ … die Zuschauerwaren riesig.“ Seitdem hat sich Lees Traum vom besten Team Amerikas zum besten Team der Welt ausgedehnt. Lee strebt danach, ein erfolgreicher Schauspieler zu werden. Nachdem er im letzten Jahr von der Highschool abging, zog es ihn nach Los Angeles, um sich voll seiner Schauspielkarriere zu widmen. Er wohnt zusammen mit seinem Bruder, trainiert mit ihm und hat beim gleichen Lehrer Schauspielunterricht. Steht er sehr im Schatten seines Bruders und Vaters? „Ich werde das ständig gefragt,“ sagt er, „aber ich sehe das nicht so. Sie haben mich immer an ihren Erfolgen teilhaben lassen. Es ist unser Erfolg. Mein Vater lehrte mich die Prinzipien der Kampfkünste, und das sind Ehre, Loyalität, Mut und Familie. Das ist auch das Prinzip der Reyes-Familie.“ Lee und Ernie jr. erwähnen selten ihre Erfolge, ohne im gleichen Atemzug ihren Vater zu nennen. Er wiederum zollt den gleichen Respekt seinen Eltern und seinem Taekwondo-Lehrer, Dan K. Choi. „Es vergeht kein Tag, an dem ich mich nicht an eine Lektion von Meister Choi oder meinen Eltern erinnere“, sagt Ernie Reyes sr.: „In den Kampfkünsten habe ich vielleicht einige Dinge geändert oder hinzugefügt, aber grundsätzlich hat mir Meister Choi, wenn auch in gebrochenem Englisch, den richtigen Weg gewiesen. Das habe ich an meine Söhne weitergegeben, und ich werde es auch der kleinen Destiny geben.“
Über den Autor: Tom Callos gehört dem West Coast Demo Team an und ist freier Journalist auf Hawaii. Als Reyes-Schüler seit 16 Jahren spielte er in „Sidekicks,“ „Geheimmission Bodyguard“ und „Surf Ninjas“ mit. Callos verfasste auch das Interview mit Diana Lee Inosanto.
