Dritte WAKO Europameisterschaft in Mailand 1979

WAKO Kickboxen Aktionen aus den Vorkaempfen.

Einem Hexenkessel glich der Palazzo di Lido am 31. März 1979 in Mailand. Rund 3.000 Zuschauer begleiteten die Endkämpfe der 3. Europameisterschaft der WAKO im Fullcontact und der 2. Europameisterschaft im Leichtkontaktkarate mit teilweise orkanartiger Stimmung. 12 Nationen waren am Start. Zum ersten Mal nahm England mit 6 Kämpfern teil, während Frankreich wegen ministerieller Schwierigkeiten diesen Meisterschaften fernbleiben mußte. Nach einer Reise mit ungeahnten Verzögerungen erreichte unser Bus, der in Hamburg gestartet war, nach 21stündiger Fahrt Mailand im Morgengrauen. Die Fahrer, sicher Ostfriesen, machten nicht nur in Hannover einen Kurzstop und ließen mehrere unserer Kämpfer einfach stehen, so daß sie mit dem Flugzeug schnell bis Frankfurt fliegen mußten, um dort mit dem Rest unserer Mannschaft den Bus noch zu erwischen, sie fuhren dann auch unverständlicherweise auf einen Alpenpaß, der wegen Schneefalls gesperrt war. Wettermeldungen vom Tage hatte man nicht beachtet und das Radio funktionierte auch nicht. So kam unsere Mannschaft mit 7 Stunden Verspätung in Mailand an. Wo der Bahnhof war, in dessen Nähe die Hotels sind, wußten die Busfahrer ebenfalls nicht. Völlig erschöpft sanken unsere Kämpfer in die Betten. Ein Glück, daß die Kämpfe erst nachmittags um 14.00 Uhr begannen. denn in Italien sind Endveranstaltungen erst abends ab 21.00 Uhr möglich. Nach wenigen Stunden Schlaf erschien unsere Mannschaft pünktlich in der Halle. Alle fühlten sich abgeschlafft, nervös und hatten jeglichen Glauben an gutes Abschneiden verloren. Doch als sie dann auf der Matte standen, lebte der gute Kampfgeist wieder auf. Fabelhaft, wie sich unsere Jungen ins Zeug legten. Sie rechtfertigten ihren Ruf als Beste in Europa auch unter diesen denkbar schlechtesten Voraussetzungen.

Deutsche Nationalmannschaft
Ein Teil der deutschen Vollkontakt Kaempfer: Jörg Leuk-Emden, Ferdinand Mack, Manfred Vogt, ein Physiotherapeut (geliehen von den Schweizern), Hans Harbrecht, Tom Rissmann. Vorne: Klaus Friedhaber und Peter Harbrecht.

Leichtkontakt (Point Fighting)
Im Fliegengewicht kämpften sich unsere bewährten Christian Wulf, Hamburg und Sarhan Salman, Düsseldorf, wieder, zum 3. Mal bereits, ins Finale. 1. Platz und Europameister ’79, Sarhan Salman, 2. Platz und Vizemeister, Christian Wulf. Im Superleichtgewicht hatten wir nur K. H. Waldenberger, Baiersdorf, am Start. Obwohl er ganz hervorragend kämpfte, mußte er wegen mangelhafter Schiedsrichterleistung vorzeitig ausscheiden und konnte somit nur den 4. Platz belegen. Im Leichtgewicht gab es ebenfalls wieder einen deutschen Endkampf. Jochen Klaproth, Bielefeld, konnte sich gegen Andreas Brannasch, Hamburg, durchsetzen. Damit gewann Deutschland den 2. EM-Titel und die 2. Silbermedaille. Das Halbmittelgewicht wurde von Jürgen Gorak, Wuppertal, knapp gegen den bekannten Jugoslawen Slobodan Sokota gewonnen. Sokota ist 3. der Weltmeisterschaft und Europacup-Sieger 1978 im Fullcontact. Er mußte diesmal im Semi-Contact kämpfen, weil er sich im Fullcontact nicht vorbereiten konnte. Lothar Semmlinger, der sich sowohl im Leicht- als auch im Vollkontakt einen immer besser klingenden Namen macht, er wurde trotz absoluter Überlegenheit durch eine böse Fehlinterpretation der Schiedsrichter im 1. Kampf ausgebootet. Den 4. EM-Titel holte im Mittelgewicht Hans-Jürgen Hirschgänger aus Koblenz gegen den ausgezeichneten Engländer Wray. Ludger Dietze aus Arnsberg hatte ebenfalls Pech mit den Schiedsrichtern und konnte nur den 4. Platz erreichen. Aber Ludger ist mit Sicherheit der Spitzenkämpfer, von dem wir noch mehr hören werden. Ein außergewöhnliches Talent mit Techniken, von denen sich viele eine Scheibe abschneiden können.

Der 5. Titel wurde uns durch Harald Edel, Hanau, gesichert. Harald, der langsam auf die Erfahrung von 100 Kämpfen bauen kann, ist durch seine Verpflichtungen bei der Bundeswehr und mangelhafte Trainingsmöglichkeiten in seiner inneren Sicherheit etwas angeknackst. Man spürt, daß er nicht mehr das gewohnte Selbstvertrauen hat. Trotzdem ist es noch einmal gut gegangen. Wünschen wir ihm, daß er sich bald wieder fängt; denn er hat allen Grund auf sein solides Können zu vertrauen. Im Schwergewicht wurde Ernest L. Patton, Berlin, bedauerlicherweise das 3. Opfer der Schiedsrichter. Er schied im 1. Kampf aus. Nicht nur 3 Deutsche wurden durch eklatante Fehlurteile aus dem Rennen geworfen, es erging anderen ebenfalls so. Bei der wirklich hervorragenden Leistung aller Sportler ist die Schiedsrichterei immer noch das Sorgenkind Nr. 1. Vielen Kampfrichtern fehlt nicht nur Erfahrung, sondern offensichtlich auch das Verständnis und die Verständigung. Es wäre dringend zu wünschen, daß international nur noch Schiedsrichter zugelassen werden, die englisch sprechen. Die Sprachschwierigkeiten unter 12 Nationen waren ein großes Handicap. Hoffen wir, daß ein im August angesetztes Kampfrichterseminar in Jugoslawien international einen Fortschritt bringt.

Branko Cikatic
Der Jugoslawe Branko Cikatic (links) bei seinem ersten internationalen Turnier. Hier in einem Vorkampf. Den Finalkampf gewann er nur mit Hilfe der Punktrichter über den Schweizer Jean-Marc Tonus laut dem französischen Karate Magazin.

Fullcontact
Der Favorit Deutschland konnte sich erwartungsgemäß durchsetzen. Ob dasin Zukunft jedoch noch weiter so bleibt, ist eine ernste Frage. Deutschland startete nur in 4 Gewichtsklassen. Der Grund dafür war, daß Dirk Peter im Halbschwergewicht, Dieter Herdel und Bernd Eggert im Mittelgewicht nicht antreten konnten. Auch im Fliegengewicht erfolgte keine Startmeldung. Nicht, daß es uns an Kämpfern fehlte, aber der Ausfall so renommierter und erfahrener Kämpfer kann durch die Neulinge noch nicht wettgemacht werden. Unsere Nachwuchskämpfer in diesen Gewichtsklassen zeigen zwar schon gute Leistungen, aber für den zu erwartenden Kräftevergleich schienen sie den Verantwortlichen noch zu schwach und unerfahren. Auch ist es nicht die Absicht unseres Verbandes, Sportler zu früh vor Aufgaben zu stellen, denen sie kaum gewachsen sein dürften. Wie richtig diese Ansicht war, bestätigten die Kämpfe im Fullcontact. die Europäer werden immer stärken, Das Niveau der Kämpfer ist technisch und härtemäßig wieder gestiegen. Erstaunlich, wie von Jahr zu Jahr durch die Erfahrungswerte der vielen internationalen Wettkämpfe die Leistungen wachsen. Das Studium der vielen Filmaufnahmen von den Kämpfen, motiviert Trainer und Sportler, an ihren Grundlagen enorm zu arbeiten. Dieser Kräftevergleich schien das Niveau von der Weltmeisterschaft in den Hintergrund treten zu lassen. Nehmen wir vorweg das Beispiel der Kämpfe von Peter Harbrecht. Sicher war auch Peter durch die lange Reise nicht in bester Verfassung, aber was er hier zu leisten hatte, überstieg alle Vorstellungen. Er hatte 3 Kämpfe zu bestreiten, 3 Kämpfe, die sicher zu den schwersten zählen, die Peter je zu bewältigen hatte. Ein Schwede, ein Engländer und der Norweger Erling. Ein Phänomen? Oder die Tatsache, daß Europa noch so viele unbekannte Talente hat, die eine Zukunft andeuten, in der Fullcontact vor einer Entwicklung steht, die Leistungen ankündigt, von denen die Welt sprechen wird. Drei Modellathleten mit Herz, Kampfgeist und Technik standen Peter gegenüber, die ihm so zu schaffen machten, daß er mehrmals am Rande völliger Erschöpfung schien. Ein Feuerwerk von Siegeswillen und ungebrochener Vitalität machte diese Kämpfe fast zur atemlosen Stille. Unerwartetes Staunen lag in der Halle über so unfaßbares Kampfgeschehen. Wer Peter kennt, der weiß, daß er nicht zögert, den Kampf zu machen. Aber die alte Taktik des Powerplays. das draufgängerische Zermürben der Gegner, diese Sache lief nicht. Zu klug, zu reaktionsschnell, zu unerbittlich waren die Opponenten in ihrem Willen, an diesen Kämpfer, dem besten Europas und der Welt, ihre eigene Klasse unter Beweis zu stellen. Hat man solche Kämpfe je für möglich gehalten in Europa? Oh nein, sicher nicht. Sicher jetzt noch nicht.

Peter Harbrecht
Peter Harbrecht (links) gewinnt seinen dritten EM Titel in Folge.

Peter Harbrecht wurde zum 3. Mal Europameister. Er hat sich diesen Titel redlich verdient. In 37 Kämpfen ist er noch immer ungeschlagen. Kein deutscher Karatesportler hat je soviel erreicht wie er. Die WAKO ist stolz, Athleten wie ihm die Möglichkeit zu bieten, seine gossen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. National und auch international. Bei den einzigartigen und großartigen Leistungen der WAKO ist es erstaunlich, daß es noch immer Leute in unserem Land gibt, die die WAKO nicht ernst nehmen und die nicht müde werden, der WAKO immer wieder ein baldiges Ende vorauszusagen. In 11 Gewichtsklassen, in denen Deutschland gestartet ist, wurden wieder 9 Europameister und 4 Vizemeistertitel geholt. Das muß der WAKO erst nachgemacht werden. Tom Rissmann wurde zum 2. Mal Europameister im Schwergewicht. Er wurde vom Sender Freies Berlin daraufhin zum Sportler des Monats gewählt. Manfred Vogt, Neustadt, wurde Vizemeister. Er konnte im Endkampf gegen Tom nicht antreten, weil er durch Kopfstoß eines Jugoslawen die Nase gebrochen hatte. Zu gern hätte er gegen seinen alten Rivalen den Titelkampf bestritten. Im Leichtgewicht standen sich Kemal Zeriat, Berlin, und Ferdinand Mack, Mannheim. gegenüber. Ferdinand, der sein Talent schon im letzten Jahr angekündigt hatte, kämpfte sich mit einer Überlegenheit ins Finale, die alle zur Begeisterung hinriß. Als ihm dann im Endkampf auch noch der Sieg über Kemal mit einem einzigen Punkt von 3 Kampfrichtern gelang, da kamen ihm vor Freude und Fassungslosigkeit die Tränen. Aber es war kein Glück. Sein Tagessieg, es war einfach seine Leistung, er ist über sich hinausgewachsen. Klaus Friedhaber, Mannheim, der wegen einer Knieverletzung bei der WM Jörg Leuk-Emden seinen Platz überlassen mußte, er sicherte sich wieder in Form, in besserer Form als jemals zuvor – den Sieg im Superleichtgewicht. Jörg Leuk-Emden errang den 3. Platz. Alles in allem, wir können zufrieden sein mit diesen Resultaten. Das Finale der 3. Deutschen Meisterschaft im Fullcontact Karate, das über die Aufstellung des Nationalkaders für die Weltmeisterschaft entscheidet, findet am 15. September 1979 in Darmstadt statt.

Houlsrud aus Norwegen (links) langt kräftig hin während Kampfrichter Geert J. Lemmes zuschaut.

 



European Championship 1979 WAKO
Resultate:Rangliste Fullcontact:

Flyweight / Fliegengewicht – 57 kg
1. Canabate, Jerome Schweiz
2. Boffa Schweiz
3. Canabate, J. Schweiz
4. Benalitem Belgien
5. Haberland Holland
6. Mankowitz Norwegen

Superlightweight / Superleichtgewicht – 63 kg
1. Friedhaber, Klaus Deutschland
2. Barletta, Jimmy Belgien
3. Leuk-Emden, Jörg Deutschland
4. Reiner Holland
5. Anderson Dänemark
6. Rota Italien

Lightweight / Leichtgewicht – 69 kg
1. Mack, Ferdinand, Deutschland
2. Zeriat, Kemal, Deutschland
3. Colapietro, Belgien
4. Gilles, Schweden
5. Neubauer, Österreich

Lightmiddleweight / Halbmittelgewicht – 74 kg
1. Harbrecht, Peter Deutschland
2. Erling Norwegen
3. Tommei, Alfred, Schweiz
4. Haller, Franz Italien

Middleweight / Mittelgewicht – 79 kg –
1. Cikatic, Branko Jugoslawien
2. Tonus, Jean-Marc Schweiz
3. Raufs Holland
4. Grandin Schweden
5. Fomont Italien

Lightheavyweight / Halbschwergewicht – 84 kg
1. Galjardic Jugoslawien
2. Galessi Italien
3. Hovelsrud Norwegen
4. Strgiotti Schweiz
5. Bongiorno Belgien

Heavyweight / Schwergewicht + 84 kg
1. Rissmann, Tom Deutschland
2. Vogt, Manfred Deutschland
3. Rigo Italien

WAKO Kickboxen
Aktionen aus den Vorkaempfen.

 


Rangliste im Semi-Leichtkontakt
(Point-Fighting):

Flyweight / Fliegengewicht – 57 kg
1. Salman, Sarhan Deutschland
2. Wulf, Christian Deutschland
3. Frohwein Österreich
4. Ortelli Italien

Superlightweight / Superleichtgewicht – 63 kg
1. Wooter Holland
2. Goyuarts Belgien
3. Loser Österreich
4. Waldenberger Deutschland
5. Kresnici Jugoslawien
6. Reinic Jugoslawien

Lightweight / Leichtgewicht – 69 kg
1. Klapproth, Juergen Deutschland
2. Brannasch, Andreas Deutschland
3. Ronchiato Italien
4. Van Vaerenberg Belgien

Lightmiddleweight / Halbmittelgewicht – 74 kg
1. Gorak, Juergen Deutschland
2. Sokota Jugoslawien
3. Wilson England
4. Epp Schweiz
5. Van Damme Belgien
6. Franchi Italien

Middleweight / Mittelgewicht – 79 kg
1. Hirschgänger, Hans-Jürgen Deutschland
2. Wray, Neville England
3. Schochl Österreich
4. Dietze, Ludger Deutschland
5. Kolliker Schweiz
6. Milani Italien
7. Halbrainer Österreich

Lightheavy / Halbschwergewicht – 84 kg
1. Edel, Harald Deutschland
2. Facchinetti Italien
3. Meneghini Italien
4. Divic Jugoslawien

Heavyweight / Schwergewicht + 84 kg
1. McKenzie England
2. Syrienz Österreich
3. Falck Schweiz
4. Budimir Jugoslawien

 


Quelle: Karate Revue, Deutschland (Text) und Karate, Frankreich (Fotos)
Mit freundlicher Hilfe von David Leonardo Barcena, Autor des Buches Historia del Kickboxing en Japon.