Es gibt viele Quellen, aus denen sich der moderne Kickboxsport ableiten läßt. Darüber hinaus gibt es noch viel mehr Personen und Persönlichkeiten, die für sich in Anspruch nehmen, Begründer dieses neuen attraktiven und spannenden Kampfsports zu sein. Aber es gibt nur eine Geburtsstunde dieses Sports, der 14. September 1974! Ort: die Sportarena in Los Angeles, 15.000 begeisterte Zuschauer. Unter Ihnen weltbekannte Schauspieler wie „Kojak“-Darsteller Telly Savallas, der als Kommentator der Veranstaltung fungierte, Chuck Norris, Linda Lee, Priscilla Presley und andere. Anlaß: die erste Profi-Weltmeisterschaft im „Fullcontact-Karate“.
So begann es wirklich
Der amerikanische Top-Karate-Kämpfer Joe Lewis bestreitet 1971 in Long Beach den ersten Kampf im Fullcontact-Karate, heute Kickboxen. Er pflegt eine enge Freundschaft mit seinem Privatschüler Tom Tannenbaum, Vize-Präsident von Universal – TV. Tannenbaum war vom Kampfsport schlechthin, vom neuen Fullcontact ganz besonders angetan, und beobachtete deshalb 1973 mit großer Spannung die Fernsehübertragung einer Budoshow des New Yorker Promoters Aaron Banks. Banks Show erzielt beachtliche Einschaltquoten, so daß sich Tannenbaum dazu entschließt, selbst eine ähnliche Show zu produzieren. Nach einer Unterredung mit Lewis tritt er mit Mike Andersan, dem Herausgeber des Professional Karate Magazins in Verbindung und läßt ihn kurzer Hand nach Hollywood einfliegen. Anderson, dem die Banks-Show überhaupt nicht gefallen hatte, macht den Vorschlag, statt eines „Budo-Zirkus“ die erste Weltmeisterschaft im Fullcontact Karate zu veranstalten. Höhepunkt: das Comeback des zurückgetretenen Karate-Champs Joe Lewis. Tannenbaum ist von dieser Idee völlig begeistert. Er will wie auch viele andere, sehen, wie spaktakulär Fullcontact sein würde; der alte Budo-Spuk ist schnell vergessen.
Erste Hindernisse
Bei der Promotion seiner Veranstaltung stieß Promoter Anderson zunächst jedoch auf heftigen Widerstand durch viele führende Kampfsportler. Zunächst dachte man, daß Fullcontact mit den sogenannten „tödliche« Techniken der fernöstlichen Stile Tote und Verletzte in Massen bringen würde. Dies auch noch im Fernsehen zu zeigen, hielten viele für unverantwortlich. Darüber hinaus waren die ortsansäßigen Promoter Mike Stone und Ed Parker nicht begeistert davon das Anderson, der damals in Oklahoma lebte, von Tannenbaum den Zuschlag für das 114.000 Dollar Budget erhielt. Nichts desto trotz konnte Anderson, im wesentlichen dank seines Freundes Chuck Norris, die meisten Schulen für sich gewinnen. Norris war es auch, der Anderson und die Quines zusammenführte, die zwei Wochen nach der Veranstaltung die Professional Karate Association, PKA, gründeten, die über lange Zeit als größter Profiverband existierte und zahlreiche TV-Übertragungen ermöglichte. Die Quines waren Anderson zwar nicht direkt bei der Organisation der Veranstaltung behilflich, konnten jedoch durch einen gekonnt hergestellten Videoclip, bei dem neuartige Video-Tricktechniken zur Anwendung kamen, entscheidend bei der Promotion helfen.
Die Elite
Anderson legte größten Wert darauf, den neuen Sport in positivem Licht zu präsentieren. Er veranstaltate keine offene WM, sondern lud nur die besten Akteure ein. Unter Ihnen waren mit Howard Jackson, Bill Wallace und Joe Lewis die drei erfolgreichsten US-Karate-Kämpfer, ebenso wie Akteure aus Japan, Mexico und Europa. Gekämpft wurde in vier Gewichtsklassen, wobei die Kämpfe noch nicht wie heute üblich in einem Boxring, sondern auf einer erhöhten Mattenfläche von 10m mal 10m ausgetragen wurden.
Deutsche Teilnahme
Zu den insgesamt 14 Teilnehmern zählten auch die Sieger der ersten Europameisterschaft im Semikontakt, die wenige Wochen zuvor in der Berliner Deutschlandhalle stattgefunden hatte. Allesamt Schüler des Berliner Sportschulenbesitzers und EM-Veranstalters Georg Brückner, der seine Leute zu dieser einmaligen Veranstaltung begleitete. Daß diese Reise jedoch einen Haken hatte, stellten sie erst fest, als sie in Los Angeles gelandet waren. Erst an Ort und Stelle teilte ihnen Brückner mit, daß es sich um einen Fullcontact Wettbewerb handelte und nicht um eine Semikontakt Meisterschaft. Alle wollten umgehend zurückkehren, hatten sie doch von den Amis schon einmal im Semikontakt heftig Prügel bezogen. Brückners Appelle an ihre Courage waren letztlich erfolgreich. Man blieb.
Leichtgewicht
Haushoher Favorit in dieser Klasse war der farbige Amerikaner Howard Jackson, der wohl schnellste Karateka seiner Zeit. Jackson verlor jedoch im ersten Kampf überraschend gegen den Domenikaner Ramon Smith, der seinerseits im Endkampf dem kampfstarken Mexikaner Issaias Duenas Tribut zollen mußte. Duenas rannte alle seine Gegner in seiner ungestümen aggresiven Art praktisch um, nicht umsonst nannte man ihn auch den „Mexikanischen Stier“.
Mittelgewicht In dieser Klasse gewann der Amerikaner Bill Wallace, später unter dem Spitznamen „Superfoot“ weltweit bekannt geworden. Wallace schlug den Kanadier Daniel Richer und den Berliner Bernd Grothe nach Punkten. Er beeindruckte das Publikum mit seinen blitzschnellen Kicks, die in Kopfhöhe eine Aufprallgeschwindigkeit von nahezu 100 Km/h erreichten, und wurde frenetisch als Star der Veranstaltung gefeiert. Auch in seiner weiteren Karriere blieb Wallace ohne Niederlage. Er trat 1980 nach 23 Kämpfen als bislang bekanntester Kickboxer aller Zeiten zurück.
Leicht-Schwergewicht
Es siegte Jeff Smith aus Washington. Zwar gewann er seinen Finalkampf gegen den Kanadier Walli Slocki nur knapp nach Punkten, seinen Vorkampf gegen den Jugoslaven Budimir Vejnovc jedoch durch KO. Ebensc w e Wallace konnte Smith seinen T7.el mehrmals verteidigen. 1980 mußte er jedoch eine vernichtende Niederlage gegen Dan Macaruso hinnehmen.
Schwergewicht
Joe Lewis ging als Favorit ins Rennen und wurde wie erwartet Weltmeister. Im Finale schlug er den Jugoslaven Frank Brodar KO. Ebenso wie alle anderen Sieger erhielt Lewis eine Prämie in Höhe von 3.000 US-Dollar. Die Zweit- und Drittplazierten erhielten 1.000 USD bzw. 500 USD.
Großer Erfolg
Diese erste große Kickboxveranstaltung, die man nicht zu unrecht als die Geburtsstunde des damals neuen Kickboxen oder Fullcontact-Karate ansieht, war ein Erfolg auf ganzer Linie. Promoter Anderson hatte reit dem Rekordbesuch von 15.000 Zuschauern den Grundstein für den weiteren Siegeszug des Fullcontact in den USA gelegt. Die TV-Anstalt ABC sendete die Veranstaltung gleich dreimal und erfreute sich hoher Einschaltquoten. Die PKA behauptete sich über viele Jahre als größter Verband im Profi-Kickboxen und sorgte zusammen mit dem Sportsender ESPN jahrelang für wöchentliche Fernsehübertragungen.
Es war auch die Geburtsstunde der ersten großen Stars des Kickboxens. Joe Lewis, Bill Wallace, Jeff Smith und Issaias Duenas sind bis heute Namen, die alle Insider mit Hochachtung aussprechen. Filmrollen für die meisten der Top-Kickboxer ließen nicht lange auf sich warten. Aber alle haben nie ihren Ursprung vergessen, sind Sportler geblieben, Stars zum anfassen, geben Seminare, trainieren und beobachten, was die Nachfolger mit ihren Kenntnissen anfangen.