Treffen Sie den „echten“ Billy Jack
Ein Porträt des Hapkido Meisters Bong So Han
Von den Tausenden von Kampfkunsttechniken, die jemals auf der Leinwand zu sehen waren, gibt es – mit Ausnahme der späten Bruce Lee Darstellungen – keine, die einen vergleichbar hohen Einfluß auf die Kinobesucher hatte, wie der inzwischen legendäre Kick von Billy Jack in dem gleichnamigen Film. Die Szene wird in einem Park gedreht und beginnt damit, daß der ehemalige Green Beret/Kampfkünstler Billy Jack, dargestellt von Schauspieler Tom Laughlin, dem Bösewicht des Filmes, der noch einige seiner „guten alten Kumpel“ mitgebracht hat, um den Helden mit einem kleinen doppelten Sidekick gegen den Kopf unschädlich zu machen, Auge in Auge gegenübersteht. Billy Jack, der die Situation erfaßt hat und sich darüber im klaren ist, daß es zu einem Kampf kommen wird, teil seinem arroganten Kontrahenten kühl und überheblich mit, was als nächstes passieren wird: “Ich werde mit meinem rechten Fuß in deine rechte Gesichtshälfte treten. Und weißt du was? Du kannst absolut nichts dagegen tun.” Einen Sekundenbruchteil später, setzte er seine Drohung in die Tat um und brachte den Gegner mit einem ausgezeichnet plazierten Halbkreis-Kick auf die Seite des Kopfes zu Fall. Es war vermutlich der unvergeßlichste Kick in der Filmgeschichte der Kampfkünste und mit ihm war eine Legende geboren.
Filmrolle durch Demo im Park erhalten
Bis heute haben viele Zuschauer nicht realisiert, daß der wahre Held nicht Laughlin ist, sondern der Kampfkunst-Stuntman Bong Soo Han, ein koreanischer Hapkido-Meister, der ihn in dieser Szene doubelte und den Kick ausführte. Hans Hapkido-Kunst ist es zu verdanken, daß ein mit wenig Aufwand gedrehter Actionfilm sich in ein Stück Filmgeschichte verwandeln konnte. Und das, obwohl es reiner Zufall war, daß Han den Job bekam. “Ich führte eine Hapkido Demonstration in einem Park vor und unter den Zuschauern befand sich Tom Laughlin,” erinnert sich Han. “Ungefähr eine Woche später rief er mich an und fragte, ob ich daran interessiert wäre, an einem Actionfilm mituzuwirken. Ich lud ihn daraufhin in mein Hapkido Studio ein, um das Projekt mit ihm zu besprechen.” Laughlin erzählte Han, daß ihn neben der Hapkido Demonstration des Ausbilders vor allem die Reaktionen des Publikums auf die Show fasziniert hatten und er sich wünschte daß sein bevorstehender Film die gleiche Wirkung auf seine Zuschauer haben würde.
Double in gefährlichen Szenen
Han wurde engagiert, um Laughlin in Hapkido zu trainieren und die Choreographie der Kampfszenen für den 1971 gedrehten Film “Billy Jack” zu übernehmen. Darüber hinaus doubelte Han Laughlin in vielen Kampfszenen des Filmes, einschließlich in der heute legendären Parkszene. “Die Dreharbeiten dauerten 6 Monate und es ist unmöglich, jemandem in so kurzer Zeit derartig fortgeschrittene Kampftechniken beizubringen,” erklärte Han. “Also doubelte ich ihn.” Auch bei dem 1975 entstandenen Film “The Trial of Billy Jack” wirkte Han mit und im Anschluß daran glänzte er in einer Hauptrolle in dem Streifen “Kentucky Fried Movie,” in dem in einer Szene Bruce Lees “Der Mann mit der Todeskralle” parodiert wurde.
Leinwandszenen als Promotion für das Hapkido
Doch, während Kampfkünstler wie z.B. Lee und Chuck Norris in den frühen 70er Jahren einen Karrieresprung erlebten, verschwand Han nach “Kentucky Fried Movie” praktisch aus der Hollywood Szenerie. Obwohl sein Name für immer mit den faszinierenden Highkicks und Hebeltechniken aus “Billy Jack” verbunden sein wird, war weder Han, noch Hapkido, der Erfolg beschieden, den einige seiner Kampfkunst-Kollegen und deren Selbstverteidigungssysteme erlangten. Doch Han hatte sein Ziel erreicht. Er hatte die Leinwand als Hilfsmittel benutzt, um den Menschen seine Kampfkunst vorzustellen. “Es macht mir viel Spaß, in Filmen mitzuwirken,” sagte Han. “Doch das beste bei ‘Billy Jack’ war die Tatsache, daß Hapkido durch den Film weltweit bekannt wurde.”
Hapkido ist unvergleichbar
Obwohl Han den nachkommenden Kampfkünstlern, die Filmkarriere machten, mit “dem Kick” in “Billy Jack” Tür und Tor geöffnet hatte, war er niemals verbittert oder neidisch auf deren Erfolg. Er kann auch nachvollziehen, daß das klassische Hapkido, das er in seiner kalifornischen Schule in Santa Monica lehrt, den Schülern viel abverlangt und nicht einfach zu beherrschen ist, was einen der Gründe dafür darstellt, daß diese Kunst nicht populärer ist. “Hapkido kann man nicht mit anderen Kampfkünsten vergleichen,” erklärt er. “Bei vielen anderen Kampfsystemen lernt der Schüler ein paar Techniken und ist dann bereits befugt, selber zu lehren. Bei Hapkido ist das anders. Wir lehren Tausende von Techniken und es muß viel Zeit investiert werden, bevor man in Hapkido einen Schwarzen Gürtel erreichen kann. Um einen schwarzen Gürtel im ersten Meistergrad zu erlangen, reicht es nicht, daß ein Schüler diese Techniken kennt, sondern er muß sie auch meisterhaft beherrschen, bevor er die Erlaubnis dazu erhält, andere zu trainieren. Ich denke, das ist einer der Gründe dafür, daß Hapkido nicht so populär ist wie andere Systeme. Es bedarf einer großen Hingabe und viel Zeit und Disziplin, um es zu erlernen.”
„Unkoreanische Schwerpunkte“
Für Han stand schon immer Qualität und nicht Quantität an erster Stelle. “Mehrere meiner Schüler, die den Schwarzen Gürtel erreichten, blieben mir über 20 Jahre treu. Diese Hingabe sucht man in anderen Schulen oft vergeblich.,” erzählt Han. “Ich bin sehr glücklich darüber, daß ich so ergebene und eifrige Schüler habe. Sie trainieren hart und das nicht, um die Ranglisten nach oben zu klettern, sondern um die Kunst zu lernen – egal wie lange es dauert. Und das ist mir wesentlich wichtiger, als Hunderte von Schulen zu haben mit Tausenden von Schülern.” Im Gegensatz zu vielen anderen Kampfkünsten, die ihren Ursprung in Korea haben, liegt bei Hapkido der Schwerpunkt nicht allein auf dem Kick, was letztendlich auf Kosten anderer Kampftechniken ginge. Statt dessen besteht Hans Kunst, der sogenannte „Weg zur koordinierten Kraft“, aus einer Mischung aus Kicks, Schlägen, Aikido und Jiu-jitsu Hebelgriffen, Würg- und Ringmanövern. Es war eines der ersten Systeme, das eine derartige Vielfalt an Techniken in sich vereinte. Auch gibt es beim Hapkido keine stilistischen, vorbereiteten Trainingsmuster, so wie z.B. bei Karates Kata. Jede Technik dieses Systems wird in einer aktuellen Kampfsituation auf die tatsächliche Wirksamkeit getestet.
Keine Sportart, sondern Kunst und Lebensstil
“Hapkido ist keine Sportart, sondern Kampfkunst,” sagt Han. “Um sich in jeder nur möglichen Situation verteidigen zu können, muß man wissen, wie man Kicks, Schläge und Waffen abwehren kann. Darüber hinaus muß der Bodenkampf unter Anwendung von Würge- und Hebelgrifftechniken erlernt werden.” Hapkido, sagt Han, ist mehr als nur eine Sammlung von Selbstverteidigungstechniken. “Es ist ein Lebensstil und stellt höfliche Umgangsformen, Beharrlichkeit und charakterliche Perfektion in den Mittelpunkt,” erklärt er. Obwohl viele Schüler sich bei der Entscheidungsfindung für ein System an den, in den Schulfenstern ausgestellten, Turniertrophäen orientieren, hält Han nicht viel von den Turnierwettbewerben. Diese „Gewinnen um jeden Preis“-Einstellung paßt nicht zu Hans Philosophie der inneren Harmonie und Vervollkommnung .
Kampfkünste sprechen jeden Menschen als Individuum an
“Meiner Meinung nach sind Kampfkünste nicht dazu bestimmt, andere Menschen herauszufordern,” sagt Han. “Es ist nicht wichtig, der beste zu sein. Kampfkünste sprechen jeden Menschen als Individuum an. Sie sollen den Charakter perfektionieren und bei der menschlichen Weiterentwicklung behilflich sein. Diejenigen, die die Kampfkünste für persönlichen Ruhm benutzen oder damit Reichtümer anhäufen, verfehlen den eigentlichen Sinn.” Han ist der Gründer und Leiter der International Hapkido Federation (IHF), die er “die international führende Hapkido Organisation” nennt. Das Ziel der Organisation ist es, Praktiken und Ausbildung des Hapkido weltweit zu standardisieren. Vor kurzem öffnete Han in einer beispiellosen Geste die IHF für Kämpfende anderer Schulen und Stile. “Ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es Zeit ist, mein Wissen mit anderen Menschen und anderen Systemen zu teilen,” erklärt er. “Mein Lebensziel ist die Expansion der International Hapkido Federation, um mehr Menschen in aller Welt zu erreichen und ihnen die Vorzüge des Hapkido zu offenbaren.”
Mit 65 Jahren noch topfit
Mit der 1997 fertiggestellten Hapkido-Videoserie, die in Zusammenarbeit mit der amerikanischen Firma Panther Productions, dem auf die Kampfkunst spezialisierten, führenden Videohersteller entstand , kam Han seinem Lebensziel einen weiteren Schritt näher. Die Serie umfaßt alle Anforderungen für Gürtelgrade vom weißen bis zum schwarzen Gürtel. Auch heute noch löst der inzwischen 65jährige Han mit seinen Kicks sowohl bei den Zuschauern als auch bei den Schülern wahre Begeisterungsstürme aus. Der Kampfkunstmeister mit den silbernen Haaren präsentiert sich und seine Kunst mit gleichbleibender Würde und Stil. Das Geheimnis seines Erfolges, sagt er, ist ganz einfach: “Trainiere täglich mit deinem ganzen Herzen und nicht nur technisch. Der technische Aspekt ist durchaus wichtig, aber ohne die nötige Philosophie und Spiritualität verliert die Kampfkunst seine eigentliche Bedeutung und wird schlicht zu einem gefährlichen Sport.”
Erschienen in Ausgabe Januar 1998.
Text: Terry L. Wilson
Fotos: Archiv John Corcoran
Für Informationen über die International Hapkido Federation, schreiben Sie an
Master Bong Soo Han
3201 Santa Monica Boulevard
Santa Monica, Kalifornien 90404.
In der folgenden Technikserie zeigt Meister Bong So Han eine Verteidigungstechnik unter Einsatz eines Spazierstocks.