SEINE FEDER IST MÄCHTIGER ALS DAS SCHWERT: Der erfahrene Schwarzgurt John Corcoran, Redakteur von Inside Tae Kwon Do, gilt als einer der führenden Kampfkunstautoren der Welt. In seiner 22-jährigen Journalistenkarriere hat er Millionen Worte über die Kampfkünste geschrieben, ein umfangreiches, vielgelobtes Werk, das Bücher, Zeitschriften und Drehbücher umfaßt. Dies ist das erste Interview, das er jemals gegeben hat.
von Andre Alex Lima
John Corcoran, 45, aus Los Angeles, Kalifornien, wird als einer der ganz großen Literaten über die Kampfkünste angesehen. Für zahlreiche Autoren und Redakteure in aller Welt, besonders für diejenigen, deren Karrieren er beeinflußt hat, gilt er als Vorreiter der modernen Kampfkunstliteratur. Corcoran, aus Pittsburgh, Pennsylvania stammend, begann 1967 im Alter von 17 Jahren Okinawa-Karate zu lernen, nachdem er die eindrucksvolle Kampfsportszene im James Bond-Film “Man lebt nur zweimal” gesehen hatte. Fünf Jahre später erhielt er seinen Schwarzgurt im Shorin-Ryu Karate.
Seit 1977 ist Joe Lewis, der legendäre Schwergewicht-Karatechampion sein einziger Martial Arts Lehrer. 1972 zog Corcoran nach Los Angeles um, mit dem Traum, ein Kampfkunstschriftsteller zu werden und bekam nach neun Monaten Gelegenheitsarbeit seinen Traumjob bei “Black Belt”, Amerikas führendem Kampfsportmagazin. Er war der erste Karate-Danträger, der jemals für “Black Belt” arbeitete. Seit 1973 ist Corcoran Redakteur bei annähernd jeder großen Fachzeitschrift in den Vereinigten Staaten gewesen, darunter “Inside Kung Fu” und “The Fighter International”, das erste in Amerika produzierte vollfarbige Magazin. Zur Zeit ist er Chefredakteur von “Inside Tae Kwon Do”. Seine Artikel erschienen in sechs Sprachen in über 70 Ländern.
Corcoran wird als bahnbrechender Kampfkunstautor anerkannt. Von seinen fünf Büchern sind bis heute über eine Viertelmillion Exemplare verkauft worden. Am bekanntesten wurde er dierch sein Meisterwerk The Original Martial Arts Encyclopedia, dem Nachschlagewek dieses Genres schlechthin, das zehn Jahre vom Konzept bis zur Fertigstellung in Anspruch nahm und von dem über 100.000 Ausgaben weltweit verkauft wurden. Im Jahre 1988 wurde Corcoran von den Herausgebern von “The World Book Encyclopedia” geehrt. Er wurde auserwählt, um die Eintragung über Kampfkunst zu schreiben. Unter anderem hat er auch am Drehbuch von American Samurai mitgewirkt, dem Film, in welchem der Kung Fu-Superstar Mark Dacascos seine erste Hauptrolle spielte. Corcorans neuestes Projekt, The Martial Arts Sourcebook (Harper Collins), wurde erst kürzlich, im Januar 1995, veröffentlicht und enthält, wie auch seine Enzyklopädie, über eine Million Stichpunkte. Die Bandbreite dieses Werks erstreckt sich von aufgegliederten Verzeichnissen traditioneller Formen über Film- und Videobesprechungen bis hin zu Siegerlisten von allen großen Wettbewerben seit 1957. “The Martial Arts Sourcebook”, so glaubt er, wird sein bisher meistverkauftes Buch, da dessen Inhalte mehr auf die breite Masse zugeschnitten sind als seine bisherigen Bücher. In seiner Karriere als Journalist hat Corcoran Tau-sende von Geschichten über Tausende Kampfkünstler geschrieben. Aber noch immer, bis auf knappe Notizen oder kurze Zeitungsmeldungen, hat er selbst absichtlich das Rampenlicht der Presse gemieden. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß dies das erste Interview ist, dem er jemals zugestimmt hat. Bemerkenswert, weil er als Redakteur immer die uneingeschränkte Möglichkeit gehabt hat, sich selbst in seinen eigenen Zeitschriften zu präsentieren, dies aber ablehnte. Der wahre Grund dafür, daß er nun an die Öffentlichkeit tritt, sagt er, ist “da die Kampfkünste mein Leben entscheidend positiv verändert haben, und ich hoffe, daß meine Geschichte andere Kampfkünstler inspirieren wird, nach den Sternen zu greifen und nie aufzugeben.
“Lebe so, daß die Leute dein Autogramm haben wollen und nicht deine Fingerabdrücke.”— John Corcoran
KICK: Über 20 Jahre lang haben Sie es abgelehnt, ein Interview zu geben oder eine Geschichte in den Kampfkunstmedien schreiben zu lassen, selbst in den eigenen Zeitschriften, die Sie herausgegeben haben. Warum haben Sie das Rampenlicht die ganze Zeit über gescheut und jetzt plötzlich den Schritt in die Öffentlichkeit gewagt?
Corcoran: Das hat viele Gründe, Andre, und Sie sind einer davon. Schaun Sie, es ist der richtige Zeitpunkt, Sie sind, aufgrund Ihrer umfassenden Verbindungen zu Kampfkunstmagazinen, der richtige Journalist und letztendlich werde ich endlich dem Bedürfnis gerecht, meine Geschichte zu erzählen. Die Tatsache, daß ich ein neues Buch veröffentlicht habe, ist nur ein Teil meiner Karriere. Joe Lewis, mein größter Meister, lehrte mich, daß wo Macht ist, auch Verantwortung entsteht. Redakteure und Autoren von Fachzeitschriften befinden sich in einer sehr machtvollen Position – in der Weise, daß sie eine große Leserschaft, darunter viele junge und beeindruckende Kampfkünstler, beeinflussen. Deshalb arbeitete ich während meiner Schriftstellerkarriere immer daran, mir den Ruf eines sehr ehrlichen und verantwortungsbewußten Autors mit starken journalistischen Grund-sätzen zu verschaffen. Ein Bestandteil dieser Wertvorstellungen war die Einsicht, daß der geeignete Platz für mich hinter den Kulissen war. Meine Unterstützung galt immer Freunden, Bekannten und solchen Schwarzgurten, die ihren Rang verdient haben. Sie wurden durch mich bekannt. Aber ich vermied dabei Eigenwerbung, die für mich Machtmißbrauch darstellt. Ein Teil meiner Denkprozesse und Schreibfertigkeiten verdanke ich all den Geschichten, die ich bis jetzt bearbeitet habe. Auf diese Art und Weise “teile” ich ein Stück von mir selbst mit meinen Lesern. Und, letztenendes, dies mag dramatisch klingen, aber man weiß nie: Ich könnte morgen sterben und hätte dann die Chance verpaßt, meine Geschichte zu erzählen. Auf diesem Weg, durch unseren kombinierten Kontakt, wird dieses Interview hoffentlich eine große multikulturelle Leserschaft auf der ganzen Welt in vielen Sprachen erreichen.
KICK: Wo, wann und warum haben Sie mit dem Kampfsport begonnen?
Corcoran: Bevor ich das beantworte, würde ich gerne erklären, wie ich aufwuchs, so daß Sie die enorme Bedeutung erkennen, die die Kampfkünste in meinem Leben als junger Mann einnahmen. Ich wuchs in Pittsburgh, Pennsylvania auf, in einem heruntergekommenen Stadtteil namens North Side, nur ein paar Minuten vom “Three Rivers”-Stadion entfernt. Pittsburgh ist eine Arbeiter- und Industriestadt, die die Heimat von amerikanischen Arbeiterklassenfamilien und den 57 Produkten des Lebensmittelherstellers Heinz ist. Ich wuchs unter trinkfesten, kampferfahrenen irisch-katholischen Einwanderern zweiter Generation auf, die es zu einer Wissenschaft gemacht hatten, anderen Leuten das Leben zur Hölle zu machen. Der Corcoran-Clan, fünf Brüder und drei Schwestern, hatte die Weltwirtschaftskrise und den zweiten Weltkrieg überlebt, und bei Gott, sie haben sich in den wilden 50er Jahren eine verdammt gute Zeit durchlebt, um das vorher Versäumte nachzuholen. Viele ihrer Kinder aus meiner Generation – meine Cousins und Cousinen – sind bedauerlicherweise torkelnd in die Fußstapfen ihrer Vorfahren getreten. Ich blieb in der ersten Klasse aufgrund chronischer unentschuldigter Abwesenheit und mütterlicher Gleichgültigkeit sitzen. Als sich meine Eltern zwei Jahre später scheiden ließen, lebten meine Schwester und ich mit unserer Mutter in einer Pension. Nachts arbeitete meine Mutter als Kellnerin. Eines Nachts – ich war acht Jahre alt – ging sie zur Arbeit und kam nie mehr zurück. Es war das letzte Mal in meinem Leben, daß ich sie sah oder mit ihr sprach.
KICK: Sie meinen nicht einmal in einem Telefongespräch?
Corcoran: Ja, richtig. Sie ließ uns einfach im Stich. Unser Vater bekam das Sorgerecht. Auf diese Weise begann für uns ein Leben, das aus einer Reihe von Kurzaufenthalten bei verschiedenen Tanten und Onkels bestand. Mein Vater, John Corcoran Senior, ist eine dieser bunten Persönlichkeiten, über die Legenden geschrieben werden. Aufgrund seiner ungewöhnlichen Kraft bekannt als “John, der Ochse” hatte er sich trotz seiner kompakten Statur – 1,70 m, 90 kg – selbst zum “Besten Straßenkämpfer Pittsburghs” ernannt. Ich glaubte ihm, ebenso wie etwa tausend Herausforderer, die er verdrosch und brutal zusammenschlug, um zu einer Straßenkampf-Berühmtheit zu werden. Bei einer Sache, die mir in bezug auf seine Kühnheit in Erinnerung geblieben ist, ging es um einen Kerl, der mit meiner Mutter flirtete. Mein Vater zog los, um ihn zu suchen, und als er ihn fand, telefonierte dieser Typ gerade in einer dieser alten von Glas und Metall umschlossenen Tele-fonzellen, die in Beton eingegossen war. Es kam wie es kommen mußte: Der Typ weigerte sich, die Tür der Telefonzelle zu öffnen, also riß mein Vater die gesamte Zelle aus der Betonverankerung, warf sie um, so daß sie am Boden in tausend Glasscherben zersprang, zog den Kerl raus und schlug ihn windelweich! Schließlich heiratete mein Vater eine andere Frau – meine Stiefmutter – mit der ich einfach nicht zurecht kam. Also lief ich im Alter von sechs Jahren von zuhause weg und versuchte es auf eigene Faust. Später sollte sich herausstellen, daß es außer mir nur noch ein Familienmitglied in meiner Generation gab, das seine Ausbildung an einer weiterführenden Schule beendete und ich der einzige war, der darüberhinaus eine weitere Ausbildung anstrebte. Mein einziges Hobby war – bevor die Kampfkünste in mein Leben traten – das Sammeln seltener Schallplatten. Pittsburgh war zufällig die Hochburg für Sammler seltener Platten. Ich sammelte seltene “Rhythm and Blues”-Schallplatten – von Schwarzen gesungene Aufnahmen aus der Zeit vor der Rock‘n’Roll-Welle. Ich schlug mich in meiner Schulzeit durch, indem ich mit diesen seltenen Platten handelte und für den damals größten Discjockey Pittsburghs arbeitete, dessen Radio den Namen “Mad Mike” trug. Als ich mein 18. Lebensjahr erreicht hatte, hatten sich bei mir 5.000 seltene Platten angehäuft. Dann verkaufte ich meine Sammlung, um mit dem Geld die Universität zu besuchen. Das waren die Ereignisse, die meinen Eintritt in die Welt der Kampfkünste beschleunigten.
KICK: Und wie kamen Sie zu den Kampfkünsten?
Corcoran: Ich hatte schon immer ein gewisses Interesse für die Kampfkünste, hauptsächlich hervorgerufen durch einige dieser frühen japanischen Samurai-Filme und all die Kampfszenen im Fernsehen, die dem Agentengeschichten-Boom der 60er Jahre zuzuschreiben sind. 1967, einen Monat nachdem ich die weiterführende Schule absolviert hatte, sah ich den James Bond-Film “Man lebt nur zweimal”, und die realistischen japanischen Kampfsequenzen dieses Films verschlugen mir die Sprache. Es dauerte nicht mal eine Woche bis ich meinen Vertrag für Karatestunden unterzeichnete.
KICK: Welche Stilrichtung haben Sie ausgeübt, und welchen Rang haben Sie erreicht ?
Corcoran: Ich hatte keine Vorstellung von Stilrichtungen oder Ähnlichem. Das war als sehr wenig über Karate und andere Kampfkunstsysteme bekannt war. So unterschrieb ich gleich bei der ersten Schule, die ich finden konnte. Der Stil hieß Isshin-Ryu Karate, und ich trainierte drei Jahre unter einem Lehrer namens Tom Voelker. In meinen Augen war Isshin-Ryu eine sehr unschöne Stilrichtung mit hohem Stand, vertikalen Fauststößen und sehr wenig Hüfteinsatz. So machte ich weiter bis zum Braungurt. Dann wechselte ich über zu einer dynamischen Stilrichtung des Okinawa Shorin-Ryu Karate, die von Glenn Premru unterrichtet wurde. Premru war einer der frühen Showleute des Karate und war unter den zehn führenden Katameistern Amerikas. Ich fing wieder als Weißgurt an und erlangte meinen Schwarzgurt. Er gab mir tatsächtlich seinen eigenen schwarzen Gürtel, was für eine sehr hohe Leistung spricht. Während dieser Zeit, von 1970 bis 1972, war ich Mitglied in seinem Demonstrations-Team und nahm an vielen Turnieren teil. Ich gewann über 40 Titel als Braungurt in Kata-Wettbewerben. Später, von 1977 an, wurden Joe Lewis und ich Zimmergenossen, wodurch meine Kampfkunst-Ausbildung unglaubliche Fortschritte machte. Er ist seitdem mein einziger Lehrer .
KICK: Bis zu welchem Grad sind Sie vorgerückt ?
Corcoran: Die Graduierung war nie wirklich wichtig für mich. Ich glaube Glenn Premru verlieh mir irgendwann in den 70ern den dritten Dangrad, und das ist die höchste Graduierung, die ich jemals erreicht habe. Aber was mir als wichtig erscheint, ist, wie das Karate-Training mich und mein Leben verändert hat. Durch Karate bekam ich ein sehr ausgeprägtes Gefühl für Selbstbewußtsein und Selbstachtung. Es gab mir positive Verhaltensmuster, die ich nie zuvor in meinem Leben gekannt hatte, und es gab mir meine erste richtige Vorstellung von positiven menschlichen Werten. Plötzlich hatte ich Ziele und Ehrgeiz. Ich glaubte an mich selbst, daran, daß ich aus meinem Leben etwas Bedeutungsvolles machen könnte. Es verwandelte mich von jemandem, der auf die schiefe Bahn hätte geraten können, in jemanden, der etwas für die Gesellschaft tun wollte.
KICK: Wann und warum hast Du damit begonnen, über Kampfkünste zu schreiben?
Corcoran: Als ich 1970 anfing, mit Premru zu trainieren, besuchte ich die technische Schule, um Architektur zu studieren. Ich war pleite. Ich finanzierte meine Stunden, indem ich Pressemitteilungen für ihn schrieb und Werbung machte. Ich habe es nie verpaßt, ihn ins Scheinwerferlicht der Medien zu rücken. Meinen ersten Artikel für ein Kampfkunst-Magazin, Official Karate, schrieb ich 1970. Es war ein Porträt über Premru. Das Ungewöhnliche daran war, daß ich weder Übung im Schreiben formaler Texte noch literarische Erfahrung hatte. Ich liebte das Schreiben einfach, und ich las viele Bücher und Zeitschriften. Ich hatte keine Ahnung, ob ich als Autor gut war oder nicht. Später lernte ich, daß Schreiben, ebenso wie Schauspielen, Malen und andere kreative Beschäftigungen, eine angeborene, von Gott gegebene Gabe ist. Entweder du bist mit der Fähigkeit auf die Welt gekommen oder nicht. In meiner Karriere habe ich Schriftsteller getroffen, die ihren Abschluß an den besten Journalistenschulen des Landes gemacht hatten und nicht einen einzigen kreativen Satz ohne Hilfe schreiben konnten. Heute, nach Jahren des Selbststudiums und nachdem ich recht viel Geld für Kurse im Schreiben von Drehbüchern ausgegeben habe, bin ich einer von wenigen Berufsautoren, die in drei Bereichen tätig sind: Zeitschriftenartikel, Bücher und Drehbücher.
KICK: Okay, Sie haben Architektur in Pittsburgh studiert. Erzählen Sie uns, wie Sie letztlich in Los Angeles gelandet sind und vom Fortgang Ihrer Karriere als Berufsautor.
Corcoran: Ich beendete die technische Schule und arbeitete als Konstruktionszeichner, mußte aber jedes Jahr zwischen vier und sechs Monaten Urlaub nehmen. Ich las ständig die Kleinanzeigen, um eine feste Arbeit als technischer Zeichner zu finden, ind ich hielt weiterhin in den Pittsburgher Zeitungen Ausschau nach gutbezahlten Ingenieurjobs in ganz Kalifornien. Zu dieser Zeit trainierte ich wie ein Besessener Karate, über drei Stunden pro Abend, sieben Tage pro Woche. Ich trainierte so hart, daß meine Muskeln gar keine Gelegenheit hatten, weh zu tun. Eines abends durchforstete ich mal wieder die Kleinanzeigen und entdeckte eine weitere angebotene Ingenieurstelle und – das ist eine wahre Geschichte – ich war buchstäblich, wie man so schön sagt, vom “Blitz aus heiterem Himmel” getroffen. Ich sprang von meinem Stuhl auf und verkündete meiner Verlobten: “Ich ziehe nach Kalifornien.” Einfach so! Sie sah mich an, als wäre ich verrückt, aber ich fühlte intuitiv, daß dies meine Berufung, mein “Rendezvous mit dem Schicksal,” war. Innerhalb von zwei Wochen hatte ich meine Siebensachen gepackt und machte mich auf nach Los Angeles, obwohl ich in dieser riesigen Stadt bis auf einen Vetter keine Menschenseele kannte. Ich hatte die Wahl zwischen einem 300-Meilen-Umzug nach New York City oder oder einem 3.000-Meilen-Umzug nach Los Angeles. Zweckmäßigerweise entschied ich mich für L.A.; erstens wegen des angenehmen Klimas, zweitens wegen seiner Rolle als Entertainment-Hochburg und drittens weil ich schon immer davon geträumt hatte, für die Zeitschrift Black Belt zu schreiben. Zu guter Letzt wollte ich auch etwas für meine Kampfkunstkarriere tun; denn Los Angeles war ein Kampfkunst-Mekka,wo ich meinen Traum realisieren konnte.
KICK: Und was geschah dann?
Corcoran: In dieser Welt fällt einem nichts in den Schoß. Etwa neun Monate lang schlug ich mich mit Gelegenheitsjobs durch. Nebenbei beteiligte ich mich beim Aufbau einer Kampfkunst-Zeitung, Karate News – East and West genannt. Ich schrieb eine Titelgeschichte über Muhammad Ali und seine Verbindung zum Karate, die nach Bob MacLaughlin, damals Herausgeber von “Black Belt” bestand. Er sprach davon, daß er möglicherweise einen passenden Job für mich hätte, und als ich ihn anrief, lud er mich ein, ihn zu interviewen. Tja, ich denke, mit dem Interview hatte ich einen Volltreffer gelandet, denn sie stellten mich ein. Ich wurde als erster hauptberuflicher Buchherausgeber des Unternehmens angestellt und gab in dieser Tätigkeit über acht Bücher heraus, und ich arbeitete mit namhaften Kampfkünstlern zusammen, darunter Größen wie Chuck Norris und Meister Fumio Demura. Ich werde nie meinen ersten Tag in diesem Job vergessen. Wie ich schon sagte, hatte ich keine journalistische Ausbildung, keinerlei Literaturstudium, und ich konnte nicht einmal tippen. An meinem ersten Arbeitstag schloß ich meine Bürotür, setzte mich hin und studierte die Schreibmaschinen-Tastatur. Ich begann zu tippen und brachte mir so selbst das Tippen bei. Richtig habe ich es jedoch nie gelernt. Und so mache ich es auch heute noch mit dem Zwei-Finger-Such-System, meine Höchstleistung war jedoch siebzig Anschläge ohne Fehler pro Minute. Innerhalb von sechs Monaten schaffte ich den Sprung von der Buchabteilung zum Redaktionsassistenten von Black Belt, wobei Bob MacLaughlin mein literarischer Mentor war. Nach nur drei Monaten hatte ich in Amerika einen Ruf als Autor.
KICK: So schnell?
Corcoran: Ja, so schnell. Laß mich die Gründe für meinen Erfolg darlegen. Grund Nummer eins: Durch mein Karate-Training hatte ich dieses unglaubliche Bewußtseinsgefühl, das ich schon zuvor erwähnte, verinnerlicht. Ich dachte niemals, nicht mal für einen Augenblick, daran, daß ich scheitern könnte. Wir sind alle ganz schön blind wenn wir jung sind, und ich hatte so gut wie keine Ahnung von Dingen wie dem Erklimmen von Erfolgsleitern. Aber ich war sehr ehrgeizig und setzte mir hohe Ziele, die mir viel abverlangten. Schließlich – und das war mein großer Vorteil – war ich der erste Schwarzgurt, der für die Zeitschrift Black Belt arbeitete. Meine Vorgänger und Kollegen waren eben nur Journalisten, und sie waren nicht so mit dem Herzen bei der Sache wie ich. Ich konnte aus Erfahrung heraus schreiben; viele der Dinge, über die ich schrieb, kannte und praktizierte ich selbst. Diese Tatsache machte aus mir über Nacht eine Art journalistischen Shooting-Star.
KICK: Sie haben als Redakteur danach für viele amerikanische Kampfsportmagazine gearbeitet.
Corcoran: Ja, für zu viele! Ich glaube, ich war Redakteur bei über fünfzehn nationalen und internationalen Zeitschriften. Fast die Hälfte davon erscheinen heute noch, aber das Zeitschriftenwesen ist ein extrem hartes Geschäft mit einer hohen “Todesrate”. Außerdem machte ich im Laufe der Jahre etliche karrieremäßige Fehltritte bei der einen oder anderen Zeitschrift, vor allem weil ich mit dem Herzen und nicht mit dem Kopf dachte.
KICK: Von Ihren fünf Büchern wurden über eine Viertelmillion Exemplare verkauft. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund für diesen Erfolg?
Corcoran: Ich habe sie alle selbst gekauft (lacht). Nein, meine Verrücktheit hat tatsächlich System. Erstens beschränkte ich mich immer auf strikt informative Nachschlagewerke anstatt trivialer “Wie mache ich” – Lehrbücher, die den Markt geradezu überschwemmt haben. Zweitens, so wie ich, schreibt sonst niemand in diesem Bereich. Bücher, die in der Regel zwischen einem und zehn Jahren bis zur Fertigstellung benötigen und über eine Million Fakten enthalten wie meine “Encyclopedia” und mein neuestes “The Martial Arts Sourcebook”. Dadurch habe ich keine Konkurrenz. Um die Sache noch deutlicher zu machen: Ich war ganz verblüfft über ein Kompliment, das ich kürzlich von dem Hauptgeschäftsführer der “Century Martial Arts Products”, des wohl größten Kampfsportartikel-Ausstatters der Welt, bekam. Er berichtete mir, daß meine “Encyclopedia” sich besser verkaufe als die Bücher zwanzig anderer Autoren zusammengenommen! Und zu der Zeit war die “Encyclopedia” schon zwölf Jahre auf dem Markt! Ich denke, das zeigt ganz deutlich, daß Qualität sich wirklich auszahlt. Hier sind die drei wichtigsten Geheimnisse meines Erfolges. Junge angehende Autoren sollten jetzt ganz genau hinhören, denn dies ist der Schlüssel zum Erfolg eines Kampfkunstautors. Ich schreibe Bücher, die 1) Kampfsportler jeder Stilrichtung ansprechen; 2) jeden ansprechen vom Anfänger bis zum Danträger; und 3) die eine globale Leserschaft ansprechen. Um mich der Filmfachsprache zu bedienen, nenne ich es “high concept”. Wenn man alle drei dieser Punkte verwirklichen kann, und dies mit Gehalt und Stil vornimmt, kann nichts schiefgehen. Hinzu kommt – was ich noch erwähnen wollte – daß ich einen großartigen Verleger in New York habe und alle meine Bücher von den größten Heraus-gebern New Yorks veröffentlicht werden. Das bedeutet, ich kann meine Bücher über den Verkauf in ganz normalen Buchhandlungen in großem Maßstab an den Mann bringen, was die Verkaufszahlen jedes Buches enorm in die Höhe schnellen läßt. Ich decke meine Erfolgsformel jetzt auf, weil ich nicht glaube, daß ich noch viele Bücher dieser Größenordnung schreiben werde, und ich möchte die Fackel der nächsten Generation übergeben.
Ich hoffe, daß ein paar junge, ehrgeizige Kampfkunst-Autoren, die eines Tages dieses Interview lesen werden, diesen Bereich weiter bringen werden als ich. Und es wird leichter für sie sein, da ich schon die größten Unwegsamkeiten aus dem Weg geräumt habe – das heißt, ihnen den Weg geebnet habe. Aber wer es auch immer sein mag, er muß verstehen: Geld allein kann nicht die nötige Motivation bringen. Die große Belohnung ist das, wonach jeder Mensch Zeit seines Lebens strebt — Unsterblichkeit. Meine Bücher, so glaube ich, werden noch lange nach meinem Tod weiter leben, und es ist ein richtig gutes Gefühl, ein solches literarisches Vermächtnis zu hinterlassen.
KICK: Was macht Deine Karriere als Drehbuchautor ?
Corcoran: 1991 assistierte ich meinem Freund George Goldsmith (“Force Five”) beim Schreiben von American Samurai, um mir im Filmgeschäft einen Namen zu machen. Aufgrund der großen Menge, die ich an Zeit, Geld und Mühe von 1977 investiert habe, das Handwerk des Drehbuchschreibens zu lernen, weigerte ich mich, für irgendwelche billigen Hinterhof-Filmbetriebe zu arbeiten, in denen die meisten der heutigen Kampfsportfilme zusammengeschustert werden. Die Produzenten dieser direkt für den Videomarkt produzierten Filme sehen keine zwingende Notwendigkeit, eine qualitativ hochwertige Story zu liefern. Stattdessen beschränken sie sich auf Schlüsselelemente, um die marktüblichen Klischees zu bedienen, die für einen kommerziellen Erfolg wichtig sind. Sie wollen einen marktgängigen Star in der Hauptrolle, eine actionstrotzende Eröffnungsszene und danach, alle acht Minuten später, einen Stunt oder Kampf. So kommt es, daß das Skript im Genre der billig gemachten Kampfsportfilme zwar zeitlich an erster Stelle steht, in der Umsetzung jedoch eine untergeordnete Rolle spielt. Wie Sie wissen, werden die meisten dieser Filme in gerade mal drei Wochen heruntergekurbelt, was natürlich ein verherendes Arbeitstempo zur Folge hat. Zusätzlich erschwert wird dieser Gewaltmarsch durch die Art, wie Kampfszenen normalerweise behandelt werden. Sie verbringen mehr Zeit mit dem Drehen der Dialogszenen als mit den Kampfszenen, die weitaus komplexer sind und die doch das sind, weswegen sich Zuschauer die Filme ausleihen und ansehen. Außerdem neigen sie oft dazu, die Kampfszenen am Ende eines Arbeitstages abzufilmen – wenn die Mannschaft nach acht bis zwölf Stunden Arbeit am Set längst müde ist.
KICK: Schließlich haben Sie auch alsSchauspieler bei Kampfsportfilmen mitgearbeitet.
Corcoran: Oh, danke, daß Sie das erwähnen. Jetzt werden Ihre Leser noch den Eindruck gewinnen, daß ich die Hand, die mich ernährt, auch noch beiße. Das liegt mir aber ganz fern! Trotz der Widrigkeiten macht mir die Arbeit an diesen Filmen enormen Spaß. Meine Freunde Don “The Dragon” Wilson und der bekannte Kampfszenen-Choreograph Art Camacho haben mich als Experten in Sachen Fallen in bisher über zehn Filmen engagiert. Aber der springende Punkt ist: Ich bin kein Schauspieler, ich bin Schriftsteller. Wenn einer meiner Freunde einen Kampfsportfilm macht, würde ich darin für einen Apfel und ein Ei mitwirken. Aber mein Beruf ist das Schreiben, und auf diese Feststellung lege ich sehr großen Wert. Bei diesen Billigstreifen verdient der Drehbuchautor in der Regel mickrige zwei- bis achttausend Dollar pro Buch. Einigen jüngeren Lesern mag das zwar wie ein anständiges Gehalt erscheinen. aber, glaubt mir, für den Arbeitsaufwand eines wirklich guten Drehbuches ist das weniger als der Mindestlohn nach Hollywood-Standards. Um einen Vergleich zu ziehen, beträgt der derzeitige, vom Schriftstellerverband festgelegte Mindestlohn für ein Drehbuch eines Filmes üblicher Länge um die 40.000 Dollar!
KICK: Das klingt ja so, als wenn Sie das Drehbuchschreiben aufgeben wollen.
Corcoran: Nein, ich bin nur sehr vorsichtig und wählerisch, wenn es um die Projekte geht, an denen ich mitwirke. Während wir hier miteinander sprechen, setzt ein mit mir befreundeter Produzent eines meiner fertiggestellten Skripte über Kampfkunst um in etwas, das er “Lethal Weapon der armen Mannes” nennt. Zweitens liest Jeff Speakman (“The Perfect Weapon”) gerade einen Drehbuchentwurf von mir, und drittens habe ich eine weitere recht teure “high concept” Abhandlung, die zwei Jahre lang im Besitz des britischen Schauspielers Gary Daniels war. Ich glaube, aus Gary wird mal ein großer Star und wir hoffen, daß er in Zukunft eine machtvolle Position erreichen wird, um meine Idee in die Realität umzusetzen. Meine Kollegen und Freunde aus dem Filmgeschäft erwarten viel größere Dinge von mir, also mach ich es auch. Tatsächlich wurde das in den frühen 80ern offensichtlich. Das war als der mit dem Academy Award ausgezeichnete Drehbuchautor Stirling Silliphant (“In the Heat of the Night”), der Bruce Lees Freund, Schüler und Hauptmentor in Hollywood war, mein Potential erkannte, mich unter seine Fittiche nahm und mir half, mich im Filmgeschäft zu etablieren. Der Bestseller-Autor Joe Hyams (“Bogie”), ein weiterer Freund und Schüler Bruce Lees, tat dasselbe für mich im Bereich des Buchverlegens.
KICK: Wie haben Sie sie dazu gebracht, Ihnen helfen zu wollen?
Corcoran: Ich suchte sie auf und führte das entscheidende Interview über ihr Engagement in der Kampfkunst. Ich habe sie zu dieser Zeit nie darum gebeten, mir zu helfen. Nachdem die Interviews veröffentlicht wurden, haben sie mir beide einen Gefallen getan. Für einen jungen Journalisten wie mich, der sich alles selbst beigebracht hat, war das so viel wert, wie wenn ein Weißgurt zu Bruce Lee eingeladen würde. Sie hatten alles – Ruhm und Glück -, und sie hatten in ihrem Bereich alles erreicht, was sie erreichen konnten. Ich bin an einem Punkt in meinem Leben angelangt, an dem ich es mir erlauben kann, mit einem gewissen Grad an Selbstsicherheit in großen Dimensionen zu denken. In Nachhinein betrachtet war es diese Einstellung, durch die ich meinen ersten Job bei “Black Belt” bekam und die mich auf meine journalistische Laufbahn geschickt hat als ich noch nicht einmal ein Journalist war. Jetzt ist es mein Ziel, ein Action-/Abenteuerdrehbuch zu schreiben, das so provokativ ist, das es ganz Hollywood in seinen Grundfesten erschüttern und die Studios in einen harten Kampf darum zwingen wird, wer es kaufen darf. Sollte ich das richtige Konzept finden, wird schon allein der finanzielle Lohn dafür beachtlich sein. Zum Beispiel liegt das derzeitige Höchsthonorar für ein Drehbuch bei drei Millionen Dollar. Nun, ich habe nie viel Geld mit meiner Karriere als Kampkunstautor verdient. Die Arbeit überstieg stets den Lohn, was in Ordnung ist, denn ich liebe meine Arbeit. Aber ich garantiere, daß es mir nichts ausmachen würde, wenn ich das jetzt ausgleichen könnnte. Das ist also das, wonach ich momentan strebe. Ich werde es nicht mit einem Kampfkunst-Drehbuch schaffen, aber was immer ich auch schreiben werde, es wird Elemente der Kampfkunst in sich tragen.
KICK: Welche Kampfkünstler der Vergangenheit und der Gegenwart verehren Sie am meisten und warum?
Corcoran: Von denen der Vergangenheit verehre ich die beiden, die den größten Einfluß auf die Kampfkunst im zwanzigsten Jahrhundert hatten. Das sind Bruce Lee und Gichin Funakoshi, der Vater des modernen Karate. Sie waren beide ausgezeichnete Visionäre, deren Arbeit dazu beigetragen hat, die Kampfkünste in die Welt hinauszutragen und Worte wie Karate und Kung Fu zu allgemein verständlichen Begriffen zu machen. Wenn es Bruce Lee nicht gegeben hätte, wäre ich nie bei “Black Belt” angestellt worden, denn er war verantwortlich für den weltweiten Boom im Kampfsportgeschäft. Von den lebenden habe ich am meisten Respekt vor meinem Lehrer Joe Lewis und Meister Fumio Demura. Jeder weiß, daß Joe ein genialer Kämpfer ist, doch darüber hinaus, und das ist noch viel wichtiger, war er derjenige, der mir gezeigt hat, wie man die Werte der Kampfkünste ins alltägliche Leben überträgt. Das hat den Inhalt meiner Artikel und somit auch meine Leser stark beeinflußt. Meister Demura stellt für mich den idealen Sensei dar. Er ist bescheiden, er ist ehrlich, er ist offen und er ist ein fabelhafter Techniker. Ich bin stolz, ihn meinen Freund nennen zu dürfen.
KICK: Welche Fähigkeiten sollte ein Kampfkünstler haben, um in den USA erfolgreich zu sein?
Corcoran: Das kommt auf seine Ziele an. Um seine Ziele in Amerika oder irgendwo in der Welt zu erreichen, muß man ehrgeizig sein, durchhalten, und man darf keine Niederlage akzeptieren. Eine Niederlage sollte eine Lernerfahrung darstellen, die einen den gleichen Fehler niemals zweimal machen läßt, und, was eben so wichtig ist, man muß mit ganzem Herzen versuchen, das höchste Niveau in allem zu erreichen, was man tut. Man darf nie mit weniger zufrieden sein und nichts nachmachen, was schon da war. Sei ein Original, sei einzigartig. Greif nach den Sternen, denn auch wenn Du sie nie erreichen kannst, wird Dein Blick zum Himmel gerichtet sein. Und vor allem: Lebe so, daß die Leute Dein Autogramm haben wollen und nicht Deine Fingerabdrücke.
Ueberblick: John’s Karriere in Zahlen.
Dieses Interview erschien in Ausgabe 01/02 1996 und wurde von Andre Alex Lima gefuehrt. John Corcoran arbeitet heute fuer die Martial Arts Industry Association, wo er als Redakteur taetig ist.