Hollands Kampfsportstars erobern Japan

Alles Käse in Sushiland: Was hat Holland mit Japan zu tun? Ungefähr soviel wie Käse mit Sushi, oder Holzschuhe mit Autos mögen sich viele denken. Und jeder, der einmal versucht hat Gouda Käse mit Thunfischsushi zu essen, oder mit den guten, alten, holländischen „Klumpen“ einen japanischen Kleinwagen zu fahren, wird zu Erkenntnis gelangt sein, daß sich beide nur schwer kombinieren lassen. Weit anders sieht es im Kampfsport aus. Wer in Japan die Szene genauer mitverfolgt, wird herausfinden, daß es eine Nation ist, die sie fast gänzlich beherrscht: Holland.

Bas Rutten
Frank Shamrock (li) gegen Bas Rutten (re)

Historisch tief verwurzeltes Verhältnis
Zur besseren Erklärung dieses erstaunlichen Phänomens wird ein Blick zurück in die japanische Geschichte angeraten. Mitte des 16. Jahrhunderts gelangten die ersten Europäer – Portugiesen, nach Japan. Kurz darauf folgten die Holländer, die schon damals überall anzutreffen waren, außer in Holland. Während sich nun die Portugiesen emsig daran machten, die Japaner zu missionieren, waren die Niederländer eher an weltlicheren Dingen interessiert: am Handel. Während den Portugiesen und Spaniern samt importierten Christentum ab 1624 der Zutritt nach Japan ganz verboten wurde, da man fürchtete das Christentum würde die bestehenden Machtstrukturen zerstören, durften die Holländer, die nur am Handel interessiert waren, eine kleine Handelsstation vor Nagasaki aufrecht erhalten. Über 200 Jahre war Dejima, wie die kleine Insel in der Bucht Nagasakis heißt, der einzige Berührungspunkt zwischen Europa und Japan. Als ab der Mitte des 19. Jahrhunderts westliche Wissenschaften eingeführt wurden, waren diese zuerst als „rangaku“ (holländische Wissenschaften) bekannt. Heute noch existiert in Nagasaki eine Einrichtung names „Oranda mura“, was soviel wie „Holländisches Dorf“ bedeutet. Dahinter verbirgt sich eine Art Disneyland, in dem aber nicht Mickey und Donald die Hauptattraktionen sind, sondern Holländer, ihre Handwerkskunst und eben ihre Beziehung zu Japan. Diese Beziehungen werden noch immer aufrecht erhalten. Während der Anteil der Holzschuhe innerhalb der nationalen japanischen Importzahlen zwar noch immer verschwindent gering ist, hat man sich von holländischer Seite auf eine andere Sparte konzentriert, in der man dafür alle übrigen Konkurrenten aus dem Feld schlägt (im wahrsten Sinne der Worte): Kampfsport. Seit Anton Geesink mit seinem Olympiagewinn im Judo 1964 in Tokyo den Japanern gezeigt hat, wozu Käse-, und Mayonesekonsum Menschen befähigen kann, sind die Holländer nicht mehr aus der japanischen Kampfsportszene wegzudenken. Kaum eine größere Veranstaltung wo die Niederländer nicht nur mitmachen, sondern auch gewinnen. Sowohl im Profi- als auch im Amateurbereich. Was darin resultierte, daß die Japaner Holland mit einer eigenen Bezeichnung betitelten: das Königreich der Kampfkunst (oder für die, die es genau wissen und ihre Freunde beeidrucken wollen: kakutôgi ôkoku).

Dutch Kickboxpower
Die Disziplin, in der die Holländer schon immer ganz oben waren, ist Kickboxen. Anfangs von Kenji Kurosaki in Holland unterrichtet, war es nur eine Frage der Zeit, bis der ehemalige Schüler dem Lehrer eine Lehrstunde in Sachen Kickboxen geben würde. In den achtziger Jahren war es dann soweit. Rob Kaman kam, sah und siegte, auch in Japan. Viele seiner Gegner mußten sich im Land der aufgehenden Sonne mit dem Niedergehen im Ring begnügen. Nur ein Mann konnte ihn in Japan stoppen, Peter Smit, ebenfalls aus den Niederlanden. Auch heute, fast zehn Jahre danach, haben die „Kaskopjes“ das Kickboxzepter fest in der Hand. Peter Aerts und Ernesto Hoost sind die Superstars im japanischen Ring. Wann immer die beiden in den Ring steigen, tobt die Menge, ganz zu schweigen von den Erfolgen, die die beiden in Japan bisher erzielen konnten. K-1, K-2 und zig andere Siege schmücken die Erfolgsliste der Holländer. Vor kurzem wurde auch Ramon Dekker für Japan entdeckt, und wie es nicht anders zu erwarten war, kämpfte er sich mit seiner aggressiven Art sofort in die Herzen der japanischen Fans. Sehr zum Leidwesen seiner Gegner, die die Begegnungen mit Dekker meist in einer liegenden Position beendeten.

Japan kickboxen
Ernesto Hoost (li.) ist als perfekter Kickboxer bei den Japanern sehr beliebt

Pancrase –  kein Sport für zarte Gemüter
Geht es um harten Kontakt sind die Holländer auch dabei. Je härter, desto lieber scheint die Devise zu sein. So auch im Pancrase. Diese Sportart ist bei uns noch weniger bekannt, und kann am ehesten als eine Mischung aus Kickboxen und Ringen bezeichnet werden. Ohne Handschuhe sind Schläge mit der offenen Hand zum Kopf erlaubt, am Boden darf so ziemlich alles gemacht werden was weh tut, außer auf den Gegner einzuschlagen. Dies über dreißig Minuten lang, es sei denn einer der beiden gibt auf oder geht KO. Nichts für zarte Nerven, und schon gar nichts für zarte Männer. Auch hier haben die Holländer ihre Finger mit im Spiel, und zwar in der Form von Bas Rutten. Dieser kämpfte vor kurzem gegen den Amerikaner Frank Shamrock um den Titel des „King of Pancrase“.

Bodenkampf
Bas Rutten besiegt den amerikanischen Shootfightingstar und Ultimate-Fighter Ken Shamrock
Rutten Shamrock
Bas Rutten mit Lowkicks beim regellosen Wettkampf

Frank Shamrock
Bas Rutten und Frank Shamrock (li)
Bas Rutten in Japan
Riesenpokal für Bas Rutten

Entscheidung nach 11 Minuten
Rutten, aus dem Kickboxlager kommend, konnte auch gleich seine Vormachtposition beweisen. Nach einigen Lowkicks und Aktionen am Boden, traf er den Amerikaner mit einem hohen Kick und danachfolgender Hand zum Kopf, worauf dieser zu Boden mußte. Doch der Amerikaner war nicht so leicht unter zu kriegen, und probierte mit einem Tackleversuch das Ruder herumzu reißen. So ganz gelang ihm das aber nicht, denn der einzige Erfolg, den dieser Tackleversuch hatte war, daß beide aus dem Ring fielen. Schön langsam zeichneten sich die ersten Spuren des Kampfes in Form eines Cuts über Shamrocks Auge ab. Der Ringarzt wurde herbei gerufen, gab den Kampf aber wieder frei. Danach ergriff wieder Rutten die Initiative und Shamrocks Kopf. Mit einem Front Neck Lock versuchte Rutten dem Ami die letzte Luft zu nehmen. Dieser konnte sich aber befreien, ging danach aber gleich zu Boden. Der Doktor wurde wieder gerufen, und dieser lies nun den Kampf abbrechen. Nach 11 Minuten durfte sich Bas Rutten also wieder einmal „King of Pancrase“ nennen. Ein Titel, den er schon einmal inne gehabt hatte, der ihn aber wieder aberkannt wurde, da er ihn verletzungsbedingt nicht verteidigen konnte. Nun hatte er ihn aber wieder gewonnen, und die Welt war wieder in Ordnung. Auch der zweite Holländer, Semmy Schilt, zeigte wasin ihm steckte. Nach nur fünf Minuten konnte er den Japaner Yamada Manabu, den er zuvor mit Lowkicks und Kniestössen durch den Ring gedroschen hatte mit einem Würgegriff ausschalten. Auf der selben Veranstaltung kämpfte auch der Österreicher August Smisl im Vorprogramm. In jüngeren Jahren Judochampion wechselte er danach zum Kraftsport, was ihm auch einige Male den Sieg im Strongest Man Contest einbrachte. Nun, in Japan war er weniger erfolgreich. Nach nur zwei Minuten mußte er sich dem Japaner Funaki nach einem Kick zum Kopf und anschliessenden Würgegriff geschlagen geben. Ob er vor dem Kampf nicht genug Käse gegessen hatte?

Auch bei Rings vorne dabei
Bei uns eher bekannt, wenn auch nach beinahe den selben Regeln kämpfend, ist die Organisation Rings. Dies besonders durch die erste Freefight Veranstaltung, die in Amsterdam (wo sonst) über die Bühne ging, und auch den Vergleichskampf Holland gegen Japan beinhaltete. Damals auch in Eurosport übertragen, rief sie eine Welle der Entrüstung in Europa hervor. Nun, die Japaner sehen das weniger kritisch, und wenn eine Veranstaltung von Rings auf dem Program steht, sind die Hallen meist voll. Viele der Zuschauer kommen auch um die holländischen Topstars Dick Vrij und Hans Nijman in Aktion zu sehen. Beide trainieren, wie übrigens auch Bas Rutten, in Amsterdam, beim „König des Ringes“ Chris Dolman, seines Zeichens mehrfacher Samboweltmeister, der erst voriges Jahr mit über fünfzig Jahren seinen Abschied nahm. Diese reiche Wettkampferfahrung gibt er an seine Schüler weiter, die nun ihrerseits in Japan alles niederreißen, was sich ihnen in den Weg stellt. Vrij kommt aus dem Kickboxen, Nijman vom Karate, und so werden die meisten der Partien durch Lowkicks oder Kicks zum Kopf entschieden. Besondere Leckerbissen für die japanischen Fans sind die Kämpfe zwischen Vrij und dem japanischen Superstar Maeda Akira, der in Amsterdam damals Dolman unterlag. Mittlerweilen trafen die beiden drei Mal aufeinander, wobei Maeda zweimal als Sieger aus dem Ring steigen konnte. Die Entscheidung wurde jedesmal durch Würgegriffe herbeigeführt, ein Gebiet auf dem Vrij noch nicht so Sattelfest zu sein scheint. Der Käse allein macht’s doch nicht aus. Nichtsdestotrotz waren es keine leichten Siege für Maeda, denn bevor er Vrij zu Boden zwingen konnte, mußte er einiges einstecken.

Hans Nijman, rechts.

Dick Vrij
Dick Vrij arbeitet mit allen Mitteln
Dick Vrij, Freefighter

Voller Erfolg auch beim ITF Taekwondo
Doch nicht nur im Profisport, auch im Amateursport sind die Holländer auf den vorderen Plätzen zu finden. Vor kurzen fanden in Tokyo die 7. All Japan ITF Taekwondo Championships statt. Gesponsert von dem koreanischen Nudelhersteller Moranbon auch als Moranbon Cup bekannt. Obgleich der koreanische Nationalsport im Karateland Japan verständlicherweise nicht nur Beifall findet, haben sich die Zahlen der Taekwon Doka in Japan, laut Aussagen der ITF-Offizielen zumindest, beträchtlich vermehrt. Trotz allem fand man in den fünf Gewichtsklassen, in denen beim Moranbon Cup gekämpft wurde, kaum Japaner, auch solche koreanischer Abstammung, auf dem Siegerpotest. Allein eine einzige Klasse konnte das Gastgeberland für sich beanspruchen. Eine Klasse ging an Kanada, und die Sieger in den drei restlichen Gewichtsklassen stellte, na, richtig! Holland. Die Taekwondo-Gebrüder Tapilatu mit Vornamen Pattipal und Stefan konnten die beiden untersten Gewichtsklassen gewinnen. Mit Ihren blitzschnellen Chagis konnten sie ihre Gegner regelrecht von der Matte fegen, und den wohlverdienten Sieg mit nach Hause nehmen.

Kickboxer im TKD Finale
Die größte Überraschung bot aber die Hyperklasse über 85 Kg. Dort konnte man den Kickboxer Perry Ubeda in Aktion sehen. Der 73 Kilo schwere Holländer vom Dojo Chakuriki bewies, daß er mehr kann als nur Lowkicks kicken. Im ersten Kampf bezwang er seinen japanischen Gegner klar nach Punkten. Auch mit dem Litauer Ramnes Petraichis wurde kurzer Prozeß gemacht. Während der um einen Kopf größere Litauer nach einigen Faustattacken Ubedas noch benommen auf der Matte lag, machte sich der Holländer auf zum Finalkampf. Für den Japaner Nakahara Shinskei wurden diese drei Minuten zu den längsten seines Lebens. Nicht weniger als fünf Mal mußte er nach den Attacken Ubedas zu Boden bevor die Zeit abgelaufen war. Die zum Teil zu harten Kicks zum Körper und zum Kopf Nakaharas und Faustangriffe des Niederländers sorgten dafür, daß der Finalkampf im Hypergewicht etwas Abwechslung zum normalen ITF Taekwondo brachte. Der Japaner rappelte sich aber immer wieder nach einem Niederschlag auf, und kämpfte mehr oder weniger beherzt weiter, was ihm letztendlich den Tapferkeitspreis einbrachte. Der Sieg ging aber an Perry Ubeda, der wieder einmal bewies, daß die Holländer in Japan immer für eine Überraschung und eine Plazierung auf den ersten Plätzen gut sind.

Perry Ubeda
Die Tapilatu-Brüder, Perry Ubeda und Thaibox-Coach Thom Harinck präsentieren die Trophäen bei den ITF Japan Open
Niedergestreckt: Die Gegner Ubedas fanden sich schnell am Boden wieder.


Ubeda
Kickboxer Ubeda trat problemlos in Thaiboxhosen an, kaum zu glauben wie offen man in Japan ist
Tapilatu
Einer der Tapilatu-Brüder attackiert mit hohen Kicks

 

Nebenbei
Die Fotos zeigen es, die Japaner sind gar nicht so traditionell wie man es in Deutschland so gerne behauptet. Kampfsport bedeutet im Land der aufgehenden Sonne vor allem Entertainment, und das soll nicht zu Lasten von Regeln auf der Strecke bleiben.

 


Mike Chaturantabut

Dieser Artikel wurde von Horst Kalcher verfasst und erschien in der Oktober Ausgabe 1996.