Jeder von uns hätte erleben können, was Freddy Kleinschwärzer erlebt hat. Wie alle hat er seinen eigenen Weg in Sachen Kampfsport undkunst erlebt. Er bereiste ferne Länder und engagierte sich als Sportler und Funktionär. Lesen Sie im folgenden seine eigene Erzählung über die Zeichen, die der Budosport in seinem Leben gesetzt hat.
Schlechte Erfahrung in der Schule führt zu ersten Schritten im Kampfsport
Im Alter von 13 Jahren habe ich einen Entschluß gefaßt. Da ich in Auseinandersetzungen immer der Unterlegene war, entschied ich mich, etwas dagegen zu unternehmen. Ich trat in einen Judoclub ein und hoffte, dadurch Selbstsicherheit und vor allem die notwendigen Tritte und Schläge zu erlernen, die mich vor solchen Angriffen schützen sollten. Judo war jedoch ein ungeeigneter Stil dafür. Einige meiner Mitstreiter gingen dorthin, weil die Eltern sie dazu gebracht haben. Ich trainierte sehr viel und traf mich mit anderen Schülern zwischen den regulären Trainingszeiten, um mehr zu üben. Doch plötzlich war sie wieder da, die Situation, die ich eigentlich durch das Judotraining vermeiden wollte. Jemand hat mich mit Tritten und Schlägen in die Flucht geschlagen.
Schlechte Erfahrung bezüglich der Effektivität bringt Wechsel zu einem anderem Stil
Deprimiert habe ich nach einem halben Jahr das Handtuch geworfen und kam per Zufall zum Shotokan-Karate. Als ich das erste Training in der Halle beobachtete, wußte ich, das ist die richtige Technik für mich. Alle waren sehr diszipliniert und hatten ein dem Trainer gegenüber sehr respektvolles Benehmen. Es war beeindruckend, wie sich alle gleichmäßig durch die Halle bewegten und immer wieder diesen kraftvolle Kiai von sich gaben. So begann ich am nächsten Tag. Von da an ging das Schweißtreiben los. Es wurde kein spielerisches Training wie im Judo abgehalten, sondern gleich in die Vollen gegangen. Beim kleinsten undisziplinierten Laut mußte man Liegestütze machen. Nach dem ersten Training bin ich fast aus der Halle gekrochen, so fertig war ich.
Prüfungsangst brachte neue Pause
Kurz vor meiner Prüfung zum Gelbgurt habe ich dann aus mir unbegreiflichen Gründen aufgehört. Ich hatte vermutlich Angst vor der Prüfung – und das, obwohl mir mein Sensei damals bestätigt hatte, ich sei einer der talentiertesten Schüler. Wie auch immer, ich war zu diesem Zeitpunkt gerade 16 Jahre alt. Es folgte eine Pause von fast einem Jahr – welche ich sehr intensiv mit Fußball ausfüllte – bevor ich in der Schule von einem meiner Mitschüler neugierig auf etwas ganz Neues in Sachen Kampfsport gemacht wurde.
Noch immer auf der Suche nach dem passenden Kampfsport
Er lief auf den umgeknickten großen Zehen durch das Klassenzimmer und niemand konnte es ihm nachmachen. Wir alle fragten, ob das nicht sehr schmerzhaft für ihn sei. Darauf erwiderte er, er lerne dies in seinem Kampfsporttraining Kun Tai Ko. Dort muß man lernen, sich selbst zu beherrschen und vor allem Schmerzen zu ertragen. Einige aus unserer Klasse – ich inklusive – fuhren daraufhin nach Brannenburg, um sich das Training anzusehen. Da ich bereits eine kleine Vorahnung von Judo und Karate hatte, dachte ich Ähnliches erwarten zu müssen. Doch weit gefehlt, alles was von den 70 Schülern geübt wurde, kannte ich noch nicht. Mir schien, ich habe das gefunden, wonach ich gesucht hatte. Alleine der Name Kun Tai Ko hörte sich so brutal und exotisch an, das dies eine gute Kampfsportart sein mußte. So trat ich in den TSV Brannenburg ein und begann mit dem KTK-Training.
Erste Erfolge brachten gewaltige Motivation.
Sehr schnell erhielt ich meine erste Urkunde zum Bestehen eines Selbstverteidigungskurses (= Weißgurt)! Dies motivierte mich und ich begann mein Training zu intensivieren. Als ich im Dezember 1978 meinen Orangen Gurt schaffte, hatte ich wieder eine Situation zu bewältigen, bei der mir der Kampfsport half. Ein Halbstarker hatte versucht, auf einem dunklen Parkplatz mit einer Eisenkette auf mich loszugehen und in Bruchteilen von Sekunden war die Situation bereinigt. Der Kerl lag vor mir und ich wußte nicht einmal wie. Ich habe mich nur verteidigt und das effektiv. Dieses Erlebnis war ausschlaggebend, daß ich bis zum heutigen Tage bei dieser Stilrichtung geblieben bin.
Ausbildung zum Polizeibeamten, um solche Individuen auch gesetzlich bekämpfen zu können.
Um diese Palette von Menschen nicht nur mit Kampfsport zu bekämpfen, entschied ich mich dazu, eine Ausbildung als Polizeibeamter anzutreten. Nachdem ich mich bei Polizei und Bundesgrenzschutz beworben hatte, begann ich meine Grundausbildung beim Bundesgrenzschutz in Coburg. Eine Welt ist für mich zusammengebrochen, als ich dadurch mein Training aufgeben mußte. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und dieser war 350 km weit zum Trainingsort Brannenburg. Jeden Freitag nach Dienstschluß fuhr ich nach Brannenburg, um zumindest Freitag und Samstag trainieren zu können. Im Dezember machte ich meinen grünen Gurt, bevor es zu einem erneuten Bruch kommen sollte.
Ein erneuter Tiefschlag brachte eine Pause
Meinungsverschiedenheiten zwangen mich dazu mit Kun Tai Ko aufzuhören. Dazu kamen dann noch verschiedene Operationen und ein Tief, weil es sonst nirgends in der Umgebung KTK gab. Mein Stolz hielt mich davon ab, in das alte Dojo zurückzukehren.
Neue Weichen durch neuen Meister gestellt.
Im Januar 1983 eröffnete Adolf Bernard in einem Nachbarort die zweite Schule für KTK. Auch er war wegen Meinungsverschiedenheiten geganen und hat sich auf eigene Füße gestellt. Klar, daß ich mich sofort angemeldet habe. Zudem war ich mit meiner Grundausbildung fertig und endlich in Rosenheim an meinem Heimatdienstort tätig. So half ich Sensei Bernard die Schule aufzubauen. Als ich 1984 meine Meisterprüfung in KTK abgelegt hatte, teilte mir Bernard Sensei mit, er müsse dienstlich (Bundeswehr) von Rohrdorf wegziehen und ich solle den TSV übernehmen.
Erste private Kontakte zu Soke Ott, dem Begründer des KTK
Von da an begann ich, mich mit unserem Soke des KTK, Lucien Victor Ott in Verbindung zu setzen. Ott, der 1957 das KTK zusammen mit Murakamii Sensei in Paris gegründet hatte, hatte nebenbei noch die Internationale Bodyguard Association ins Leben gerufen. Er war Ausbilder verschiedener Polizei- und Militäreinheiten in aller Herren Länder. Außerdem war er Bodyguard in der Elitetruppe um Frankreichs Staatsschef Charles de Gaulle. Dem nicht genug betätigte er sich als Stuntman in amerikanischen und französischen Filmen. Er doubelte u.a. Eddy Constantine. 1987 legte ich in Brüssel unter Soke Ott meine Prüfung zum 3.Dan ab. Drei Jahre später verstarb er an Krebs. Als einer der uniformierten Sargträger neben Bernard Sensei, Shortt Shihan, Kurth Sensei habe ich mir persönlich ein Versprechen gegeben: Ich werde dafür sorgen, daß der letzte Wille Soke Ott‘s, den Namen Kun Tai Ko in aller Welt groß zu machen, durchführen werde. James G. Shortt, der bereits seit langer Zeit Hand in Hand mit Lucien Ott zusammenarbeitete, gelobte selbigen Schwur in Richtung International Bodyguard Association. Ott, dem es viele Sicherheitsorganisationen zu verdanken haben, daß sie auf modernstem Standard fundierter Bodyguard und Sicherheitstraining laufen, wurde nur von einer kleinen Gruppe Kampfsportler zu Grabe getragen. Ermutigt durch den letzten Willen des Begründers, folgten weitere Dojo-Eröffnungen.
Dem TSV Rohrdorf folgte eine Schule nach der anderen. 1985 eröffnete ich in Rosenheim das erste KTK-Dojo beim MTV-Rosenheim 1885 e.V., im gleichen Jahr begann ich ein Modelprojekt in einem Heim für schwererziehbare Kinder bei München und ein Jahr später wurde ich durch die US Army Base Bad Aibling als Ausbilder für Selbstverteidigung angestellt. Wenn ich heute zurückblicke, dann ist es für mich unbegreiflich, wie ich all das schaffen konnte. Sechs Jahre habe ich für die US-Army als Instructor gearbeitet. Einige meiner Danträger sind nun in den USA und warten auf eine Gelegenheit, ein Dojo zu eröffnen.
Erste Chance, KTK durch Auslandsdienst über die Grenzen Deutschlands hinauszutragen
1991 trat mein Dienstherr an mich ran und offerierte mir die Möglichkeit als Sicherheitsbeamter für das Auswärtige Amt an einer Vertretung im Ausland tätig zu werden. Nach Absprache mit meiner Frau und meinen Danträgern, die für mich wärend meiner elfmonatigen Verwendung im Ausland das Training übernehmen sollten, habe ich mich dazu entschieden, diesen Schritt zu wagen und kam im März 1992 nach Irland an die Deutsche Botschaft. Zuvor jedoch mußte ich noch eine Spezialausbildung in Bonn absolvieren die durch das BKA (Bundeskriminalamt) geleitet wurde. Ebenfalls im Ausbildungsplan stand Training mit der Elitetruppe des Bundesgrenzschutzes, der GSG 9. Dort wurde einem der letzte Schliff im Auffinden von Sprengstoff und der Umgang mit kriminellen Elementen beigebracht. Die sehr guten Dienstzeiten in Dublin ermöglichten es mir, mich nach geeigneten Trainingsmöglichkeiten umzusehen.
Verfahrene Kampfsportsituation in Irland.
Ich versuchte Tai-Chi Chuan und Taekwon-Do, aber die irischen Kampfsporttrainer sind nicht das, was deren Gürtelgrad verspricht. Die Kampfsportszene ist verwirrender als in Deutschland. Dublin war voll mit Clubs, die in erster Linie Kenpo-Karate und Tae-kwondo anboten. Nachdem ich mir zehn verschiedene Clubs angesehen hatte, war ich mehr als nur deprimiert. In Gesprächen mit den Dojoleitern stellte sich immer wieder heraus: Sie sind entweder von einem Höhenflug befallen oder nur auf Profit aus. Einen echten Trainer aus Überzeugung konnte ich nicht finden.
Erste Gehversuche mit Kenpo-Karate.
Die elfte von mir besuchte Schule, war eine sehr kleine Trainingsgemeinschaft unter der Leitung von Sifu Liam McDonagh. Er wurde allem gerecht, wonach ich gesucht hatte. Nachdem ich seine Kenpo-Stunde beobachtet hatte, fragte ich Sifu Liam, ob er nicht Lust habe, mit mir auf einen Drink zu gehen und wir kamen ins Gespräch. Er entsprach genau meinen Vorstellungen, wie ein ehrlicher Trainer sein soll. So blieb es nicht aus, daß ich bei ihm mit Kenpo-Karate anfing. Fast jeden zweiten Tage habe ich mit ihm trainiert, meine Vorkenntnisse aus den anderen Budobereichen waren hilfreich. Bereits nach 14 Tagen war ich Top-Fit und ging für Sifu Liam und seine Schule zu den ersten Irish Championships. Über 400 Teilnehmer waren in am Start. In meiner Klasse der „Blackbelts“ gab es keine Gewichtsklasse. Alles war vertreten bis hin zum 120-Kilo-Mann aus Donegal. Mit viel Nervosität bestieg ich den Ring und kam immer wieder als Sieger hervor. So holte ich die erste Trophäe. Das Training lief hervorragend und ich stellte mich sehr schnell auf die für mich ungewöhnlich runden jedoch sehr harten Schläge und Tritte ein.
„Es ist schön, wieder Schüler zu sein.“
Eines Abends fand ich in meinen Unterlagen die Adresse des irischen Bodyguard-Repräsentanten. Ich hatte die Adresse vom Direktor der International Bodyguard Association, Sir James G. Shortt. Nach dem Tod von Lucien Ott hat er sich auf die professionelle Ausbildung von Bodyguards spezialisiert. Auch ich bin seit 1984 Mitglied in der IBA und trainiere sporadisch mit James Shortt. Also habe ich mich aufgemacht, diese Adresse zu finden. In der Tat traf ich beim zweiten Anlauf auf Mr. Anthony Carrick. Wie sich herausgestellte, einem 4.Dan im System Ryoi-Shinto Ryu Jiu-Jitsu. Er bat mir an, bei ihm mitzutrainieren. Nach der Frage, wer denn sein Shihan sei, antwortete er James G. Shortt. Shortt ist Träger des 7.Dan RSRJJ und direkter Schüler von Hachimoto Sensei. Ich wußte zwar, daß Shortt ein hochrangiger Meister in Sachen Kampfsport war, dennoch war mir nicht bekannt, welches System er trainierte. Da ich in verschiedenen Stilen des Ju-Jutsu bereits Erfahrung hatte, nahm ich diese Einladung wohlwollend an. Bereits beim ersten Training mußte ich feststellen, daß es tatsächlich noch einen weiteren ehrlichen und anständigen Trainer neben Sifu Liam in Dublin gab. So waren meine freien Zeiten nun völlig mit Training belegt. Ich trainierte jeden Tag abwechslungsweise RSRJJ mit Sensei Carrick und Chuan-Fa unter Sifu McDonagh. In kurzer Zeit reifte ich in beiden Systemen bis zum obersten Level. Ich war lernbegierig wie lange nicht mehr. Es tat sehr gut, mal wieder „Schüler sein zu dürfen“!
Ernennung zum Repräsentanten der Internationalen Bodyguard Association durch James G. Shortt aus England
Im Januar 1993 wurde ich auf einem Bodyguard – Fortbildungslehrgang in Dublin von James G. Shortt zu einem seiner offiziellen Repräsentanten für Deutschland ernannt. Mein Ziel soll es sein, Interessenten Auskunft über Bodyguard-Training und Trainingsmöglichkeiten zu geben. Ich soll von Deutschland aus koordinativ tätig werden. Nach elf Monaten Dienstzeit mußte ich Abschied nehmen. Man veranstaltete mir zu Ehren eine kleine Abschiedsfeier, bei der ich gleich von drei Institutionen geehrt wurde. Von der Irish Martial Arts Commision erhielt ich die Lehr-befähigung als Trainer für Chuan-Fa und von der Irish Ju-Jitsu Federation mein Instructor-Diplom als Trainer für RSRJJ. In den vergangenen 11 Monaten habe ich insgesamt vier nationale Turniere in den Stilen Kickboxen, WUKO-Karate, Kenpo-Karate und Taekwon-Do bestritten und gewonnen. Außdem drei Formenwettbewerbe, welche ebenfalls zu meinen Gunsten ausfielen. Seit mei- nem Weggang von Irland sind meine Bindungen zu den offenen und freundlichen Leuten dieser Insel sehr stark.
Auf zu neuen Ufern
Wieder zurück in Deutschland, eröffnete ich ein neues Dojo in dem ich die Stilarten Kenpo, Kun-Tai-Ko und Kickboxen unterrichtete. Ob Danträger oder Farbgurte, alle waren begeistert von der Schnelligkeit und Härte des Kenpo (Chuan Fa) und von den Infighttechniken des RSRJJ.
Beauftragter für Selbstverteidigung im Bundesgrenzschutz
Da sich meine erfolgreiche Zeit in Irland schnell rumgesprochen hatte, trat mein Dienstherr an mich heran,die Leitung der SV-Ausbildung beim BGS-Rosenheim zu übernehmen. Kurz zuvor hatte ich ein zweites Dojo in Bad Aibling aus der Taufe gehoben. Ein rein auf Kickboxen ausgerichtetes Training einem Body-Fitness Center; zweimal die Woche wird dort trainiert unter den besten und modernsten Voraussetzungen.
Ein Traum wird wahr – Peking als neuer Auslandsdienstort
Bereits einen Monat später bekam ich einen neuen Job im Ausland angeboten. Nun galt es, wieder eine Vertretung zu finden, die für elf Monate das Training für mich gestaltete. Nachdem diese Suche erfolgreich ausfiel, konnte es wieder losgehen. Man hat mir erst nicht gesagt, wohin es gehen soll. Nur, daß ich erst mal einen weiteren Speziallehrgang für das nächste Land zu absolvieren hätte. Als dies im November geschehen war und ich eine Tropentauglichkeitsuntersuchung hinter mich gebracht hatte, bekam ich meinen nächsten Verwendungsort mitgeteilt. Ich konnte es nicht glauben, aber es war tatsächlich Peking! Das Beste, was einem Kampfsportler passieren kann. Da trainiert man die Künste des Kampfes und zieht das große Los nach China zu dürfen, ohne dafür etwas zahlen zu müssen. Die Weichen waren gestellt, alles zuhause abgeklärt und es ging los in den asiatischen Teil dieser Welt. Wie man sich denken kann, hat die Bundesrepublik Deutschland eine große Botschaft in Peking und die Arbeit als Sicherheitsmann ist um ettliches anspruchsvoller als in Irland. So war meine Freizeit nicht gerade reichlich bemessen.
Auf der Suche nach dem ersten Meister
Dennoch machte ich mich bereits in der ersten Woche auf, mich nach einem Meister der Kampfkünste umzusehen. Hatte ich doch von einem chinesischen Lehrer, der in München lebt, eine Referenz zum Vizepräsidenten der Chinese Wushu Federeation bekommen. Ich rief Meister Xia Bo Hua an, und hoffte auf ein Treffen mit ihm. Leider stellte ich ernüchternd fest, daß die Menschen in China nur sehr wenig oder gar kein Englisch sprechen, eine unüberwindliche Barriere. So zog ich aus, um in den Parks einen Meister zu finden. Jedoch waren diese nicht sehr erfreut über meine Frechheit, sich als Ausländer einfach daneben zu stellen und mitzumachen. Ein alter Chinese, der sogar gebrochen englisch sprach, fragte mich im ersten Satz „How Much?“ Er wollte Geld von mir. So erging es mir noch zweimal bis ich zu dem Schluß kam, aufzugeben. Ich ging mit Kollegen in das Fitness Center des Beijing Swisshotel Honkong Macau Center um zumindest meinen Körper in Schuß zu halten. Zu meinem Erstaunen hing im Fitnesstudio ein Sandsack, der nicht von anderen benutzt wurde. So habe ich nach meinem Gewichtstraining den Sandsack zum Partner genommen.
Erster Kontakt mit Kampfsport in Peking
Eines Tages beobachtete mich ein junger Mann und kommt mit mir ins Gespräch. Sein Name war Iliya Tsai aus Usbekistan. Er ist seit acht Jahren in China und arbeitet als Generalmanager für eine Fluggesellschaft. Auf seine Frage hin, ob ich mit ihm Sparring machen wolle, habe ich dies natürlich getan. Er ist Danträger in Shotokan-Karate mit Erfahrung in Sanda (Vollkontakt-Boxen des Wushu) und Taekwon-Do. Seine Techniken sind vom Feinsten und er kämpft einen sehr agressiven Stil. Aber er liebt nicht nur das Kämpfen, sondern ist immer noch auf der Suche nach mehr. So hat er im Gespräch mit mir herausgefunden, daß ich Trainer in verschiedenen Stilen bin und mich gebeten, ihn darin zu unterrichten. Wir begannen mit Ju-Jutsu, da dies ein Stil ist, den er nie betrieben hat. Er saugte förmlich alle Hebel – und Wurftechniken auf. Iliya ist ein Kampfsporttalent, wie ich es noch nicht gesehen habe. Wir haben jeden dritten Tag trainiert und er hat sich dazu entschieden, in dem Stil Kun Tai Ko in naher Zukunft heimisch zu werden, sowie diesen in Usbekistan vorzustellen. Jetzt war ich wieder in der Rolle des Lehrers gefangen, bin ich doch im Lande des Ursprunges.
Einen Meister des Wu-Stiles gefunden
Es sollte doch möglich sein, einen chinesischen Lehrer zu finden. Ebenfalls im Honkong Macau Center des Swisshotels traf ich dann nach zwei Monaten Sifu Jianxin Wu. Ein sehr junger aber guter Kampfsportler, der noch die alten Überlieferungen lernte. Der Wu-Stil ist ein verbreiteter Taiji-Stil und stammt aus dem Süden Chinas. Meister Wu ist 27 Jahre alt und spezialisiert im Kurzschwert sowie Chinese Boxing. Zwar habe ich viel mit ihm trainiert, doch blieb mir durch meinen Schichtdienst an der Botschaft ein Intensivieren dieser Techniken versagt. Zumindest gab mir Meister Wu erste Einblicke in ein neues System, welches meinen Horizont im Bereich Kampfsport wesentlich erweiterte.
Knochenhart und faszinierend zugleich.
Durch einen Freund erfuhr ich von einem 3.Dan des Goju-Ryu Karate aus Aberdeen (Schottland). Er arbeitet in China als Generalmanager für eine amerikanische Ölbohrfirma. Colin Whitehead, so sein Name, ist Schüler des legendären Steve Morris aus England. Da ich dieses System bisher noch nicht live erleben konnte, machte ich mich auf, Colin Whitehead zu finden. Im Sheraton Fitness Club wurde ich fündig. Nachdem er sich gerade eine Stunde mit Aerobic aufgewärmt hatte, begann er mit „Conditioning.“ Ich hätte das als Abhärtetung bezeichnet. Ich beobachtete sein schmerzhaftes Training. Immer und immer wieder hat er mit seinen Unterarmen und Schienbeinen gegen harte Eisenstangen der Hantelgeräte geschlagen. Ich konnte den Schmerz förmlich fühlen. Als er endlich mit dieser Tortur fertig war, ging er über in die Ausübung der Goju-Ryu Kata. Es war sehr interessant, diese völlig neuen Aspekte zu sehen. Im Anschluß an sein Training habe ich mich ihm vorgestellt, worauf er nur sagte, er habe bereits von mir gehört und wollte ebenfalls schon seit einiger Zeit mit mir in Verbindung treten. Leider mußte er für einige Wochen nach Dallas fliegen. Letztendlich kamen wir doch zusammen und konnten die eine und andere Trainingseinheit zusammen trainieren. Der Kampfstil von Colin war für mich als langjährigen Kickboxer sehr ungewöhnlich. Er kämpfte sehr defensiv und in der Goju-typischen Auslage (Sanchin-Dachi). Es war zwar leicht ihn in der oberen Region, sprich der Kopfgegend zu treffen, dennoch startete er gegen mich los – als ich mein Bein gerade nach oben kickte – bis ich am Boden lag. Wir begannen, uns gegenseitig die jeweils stilspezifischen Katas zu zeigen.
Kontakt nach Japan
Eines Tages betrat ein großer Japaner das Fitness-Center im Swisshotel. Er hat mich beobachtet, wie ich mit dem Usbeken Iliya trainierte und fragte mich in perfektem Englisch woher ich stamme und welche Stilart ich hier betreibe. Er stellte sich vor mit Kinshiro Oyama, wobei ich natürlich gleich an den legendären Oyama Masutatsu gedacht habe. Aber Kinshiro Oyama San ist nicht mit ihm verwandt, er betrieb lange Jahre Shotokan-Karate in Deutschland wie sich später rausstellte. Als ich ihm sagte ich bin für die Deutsche Botschaft tätig, sprach er mich in fast akzentfreiem Deutsch an. Meine Verwunderung war mir förmlich auf das Gesicht geschrieben. Er betonte, er habe mich schon des öfteren hier beobachtet und findet meine Technik sehr interessant. In Tokio hat er eine große Firma, mit mehreren tausend Angestellten. Darunter auch verschiedene Meister der unterschiedlichsten Stile. Einen dieser Meister ließ er extra für mich einfliegen. Leider hatte ich ausgerechnet an diesem Tage Dienst, so daß dieses Training ausfiel.
Verbindungen mit Meistern und Großmeistern
Wie schon in Irland, versuche ich auch hier Freunde des Kampfsportes zu finden, die an einer länderübergreifenden Zusammenarbeit interessiert sind und die Vorteile eines sehr familiär geführten verbandes genießen wollen. Ein solcher Kontakt kam zustande mit einem mexikanischen Wushu Spezialisten Namens Tony Flores. Vorgestellt wurde mir Tony durch Colin Whitehead. Er ist 34 Jahre alt, lebt seit nun 9 Jahren in Peking und ist der erste Ausländer, der von der Physical Education University of Beijing als im Hauptfach Wushu Sportlehrer ausgebildet wurde. Mit ihm arbeite ich eng zusammen, wenn es darum geht, Gruppen nach China zu vermitteln oder Meister für Seminare nach Deutschland zu holen. Er versprach mir eine enge Zusammenarbeit mit meinem Verband und den angeschlossenen Mitgliedern.
Selbstverteidigungsausbilder im BGS
Im November 1994 endet meine Verwendung als Sicherheitsbeamter an der Deutschen Botschaft in Peking. Dann geht es erst mal zurück nach Deutschland, bevor ich zu Betreuungsreisen in die USA, nach Irland, die Türkei und evtl. Liechtenstein reise. In USA stehen Prüfungen auf dem Programm, sowie Gespräche mit anderen Verbänden fü zukünftige Zusammenarbeit. In Irland, der Türkei und Liechtenstein werde ich Seminare geben. Dies alles während meines fast dreimonatigen Urlaubes. Im Anschluß gilt es, sich auf die polizeispezifische SV-Ausbildung der Beamten zu konzentrieren und die PVB‘s auf den neuesten Stand der Techniken zu bringen. Dazu hat mich mein Dienstherr ein eigenes neugestaltetes Dojo einrichten lassen, das seit Bestehen voll ausgelastet ist. Somit sind die Voraussetzungen für eine qualifizierte und effektive Ausbildung geschaffen.
Dieser Bericht könnte bestimmt noch mehrere Ausgaben füllen. Er würde nur umreissen, was alles in 20 Jahren Kampfsport passieren kann, wenn sich jemand dafür einsetzt und engagiert. Viele Fakten wie Turniere auf internationaler und nationaler Ebene mit Erfolgen bis hoch zu Spitzenplätzen oder weltweit abgehaltenen Seminaren in verschiedenen Stilen wurden konnten in diesem Bericht nicht beachtet werden. Es soll nur ein globaler Einblick in meine Arbeit als BGS-Beamter oder Sicherheitsbeamter an Deutschen Vertretungen im Ausland sein, sowie die Ideen und Wünsche eines Kampf-sportlers in Bezug auf den Aufbau eines freundschaftlichen Weltverbandes wiederspiegeln. Wenn jemand Interesse an einer Zusammenarbeit mit der WKBA haben sollte, dann würde es mich sehr freuen diesen Personen mit Info-Material assistieren oder anderweitig hilfreich zur Seite stehen zu können. Eine sehr alte chinesische Weisheit wurde für mich zum Erfolgsrezept und zugleich zum Leitspruch im Kampfsport: „Der längste Weg ist nicht lange mit einem Freund an deiner Seite.“
Diese Reportage erschien in der Ausgabe 12/1995. Wer sich für Freddy Kleinschwärzer interessiert, kann ihn hier erreichen:
http://www.kleinschwaerzer.eu/