Vale Tudo 1995

Vale Tudo
Rickson Gracie zwingt Nakai mit einer Würgetechnik zur Aufgabe.

In Brasilien war das Vale Tudo ein großes Kampfereignis mit den besten Kämpfern des Landes. Die Fights finden in einem herkömmlichen Boxring statt, nicht etwa in einem Octagon, wie die bekannten Ultimate Fights in den Staaten. Man kennt die Vale Tudos in Brasilien aber auch unter der Bezeichnung „Lutta Livre“, eine hervorragende Möglichkeit des Gracie Clans das Können unter Beweis zu stellen. Heute findet das Vale Tudo nicht mehr in Brasilien, sondern in Japan statt

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Die jüngste, zweite Auflage dieses martialischen Spektakels fand am 20. April in der bekannten Nippon Budokan Hall in der Hauptstadt Tokio statt. Die 60.000 Dollar Siegprämie zog Fighter aus vielen unterschiedlichen Kontinenten und aus unterschiedlichen Stilen wie z.B. dem Shootfighting und dem Wrestling, an – unter ihnen der Vorjahressieger Rickson Gracie. Die Regeln sind einfach: Es gibt keine Gewichtsklassen und alles ist erlaubt. Die Gladiatoren tragen leichte Handschützer ähnlich einem Sandsackhandschuh, bzw. den Handschuhen, die Bruce Lee in seinem bekanntesten Film „Der Mann mit der Todeskralle,“ getragen hat.

Rickson Gracie
Rickson Gracie

Rekord: 470 Siege
Rickson Gracie ist in Japan bereits eine Legende. 470 Straßen- und Ringkämpfe hat er vorzuweisen, alle ohne Niederlage. Der Grund für seine Bekanntheit und den Umzug des Vale Tudos nach Japan liegt darin, daß Rickson in Brasilien keine Gegner mehr fand, und nun gegen die Besten regellosen Fighter der Welt antritt. Zusammen mit dem Begründer der japanischen Shooto Organisation Satoru Sayama, der selbst einige der besten Shootfighter trainierte (u.a. Yori Nakamura), wurde im letzten Jahr das erste Vale Tudo im Land der aufgehenden Sonne organisiert.
Kampf hinter verschlossenen Türen
Ein weiterer Grund für Ricksons große Bekanntheit in Japan liegt in einer Begebenheit, die sich nach seinem ersten Vale Tudo Sieg in seiner Heimatstadt Los Angeles ereignete, begründet. Der japanische Top Shootfighter Yoji Anjo wollte Rickson zeigen, daß die Japaner doch die besseren Fighter sind, und suchte ihn in seinem Dojo in Los Angeles auf. Hinter verschlossenen Türen kämpften Rickson und Anjo eine unbarmherzige Schlacht ohne Regeln, über deren Verlauf niemand etwas weiß. Man weiß nur, daß Anjo völlig blutüberströmt am Boden lag und sein Gesicht nicht mehr zu erkennen gewesen sein soll, als die Türen des Dojos geöffnet wurden. Eine Lektion für alle, die an Ricksons Vormachtstellung in diesem Budozweig zweifeln.
Samurai der Neuzeit
Für viele Japaner sind die Gracies die Samurai der Neuzeit. Durch ihre eindrucksvollen Kämpfe haben sie die Herzen der Japaner erobert. Genau gesehen hat auch das Gracie Jiu Jitsu seinen Ursprung im Land der aufgehenden Sonne. Den stileigenen Charakter haben die Gracies durch ihre immense Kampferfahrung später beigefügt. So mag es kaum verwundern, wenn jedes Jahr mehrere Hundert japanische Jiu Jitsu Fans nach Brasilien und Kalifornien reisen, um von den Gracies zu lernen.
Ab ins Hospital
Als Rickson Gracie die Budokan Arena betritt, jubeln ihm tausende Zuschauer zu, die ihn als den letzten der Samurai anhimmeln. Seinen ersten Kampf des Abends bestreitet er gegen den bekanntesten Shauwrestler des Landes, Yoshihisa Yamamoto. Während es dem Japaner zunächst gelingt, Gracie mit Thaiboxtechniken auf Distanz zu halten, wirbelt ihn Gracie in der dritten Runde zu Boden und beendet den Kampf mit einer Würgetechnik (Hadaka Jime). Yamamoto sinkt nach der Würgetechnik Gracies bewußtlos zusammen, er wird ins Krankenhaus abtransportiert.
Im Halbfinale muß Rickson erneut gegen einen „Shooter“ antreten. Kouichiro Kimura ergreift mit einem spektakulären Kata Guruma die Initiative. Gracie kontert schnell und bringt die Auseinandersetzung auf dieselbe Art zu Ende wie schon gegen Yamamoto.
Nakais Weg ins Finale
Yuki Nakai heißt der Finalgegner für Rickson Gracie. Er ist der Champion der Shooto Federation, versiert in allen Kampfkünsten. Im Viertelfinale hatte er den Thaibox/Savate-Champion Gerard Gordeau, ein ehemaliger UFC-Teilnehmer, bezwungen. Und das, obwohl der Franzose zunächst führte, mit harten Faust- und Fußtechniken traf. Schließlich hatte Nakai das Bein des Thaiboxers zu fassen bekommen, ihn zu Boden geschleudert und ihn mit einem schmerzhaften Beinhebel außer Gefecht gesetzt. In seinem zweiten Fight besiegte der Japaner den 140 Kilo schweren Graig Pitman, der trotz guter Treffer nach einem Armhebel aufgeben mußte.
Kurzer Prozeß
Kurz, aber dennoch schmerzhaft verläuft der Endkampf, zumindest für Nakai. Noch schwer gezeichnet von seinen Kämpfen mit Gordeau und Pitman wird der Japaner bereits nach wenigen Sekunden zu Boden geworfen. Rickson Gracie macht mit ihm kurzen Prozeß und beendet den Fight mit einem Würgegriff.

Rickson Gracie
Rickson Gracie (mitte) feiert seinen Sieg zusammen mit Ehefrau Kim und Bruder Royler sowie den Coaches

60.OOO Dollar Prämie
Einen Scheck über 60.000 US-Dollar erhält Rickson Gracie für seinen Sieg an diesem Abend. Total fit und locker feiert er die ganze Nacht im Hard Rock Cafe seinen Sieg, bei dem er sich kaum eine Schramme geholt hat. Und genau das ist es, was dem japanischen Publikum an ihm so gefällt. Er ist ruhig und selbstsicher ohne jedoch arrogant zu wirken. Er ist ein Meister, der total an seine Techniken glaubt. Er ist der König des Budokan.
Gracies helfen neue Stile zu etablieren
Dank der Gracie-Familie finden die Japaner heute wieder großes Interesse an ihrer eigenen Kampfkunst des Jiu Jitsu. Darüber hinaus findet man in Japan sogar erste Mischformen aus dem Gracie Jiu Jitsu und dem Karate, das man allgemein als Kopo bezeichnet. Die Gracies sind in Japan und weltweit als hervorragende Fighter anerkannt. Sie reden nicht nur, sie kämpfen auch. Das ist es, was man nicht nur in Japan an ihnen schätzt.


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Diese Reportage erschien in der August Ausgabe 1995. Verfasser waren Franco Vacirca, Dialy N´Diaye, welche uns diesen Artikel zur Verügung überließen. Die Fotos schossen: T. Tushin, Dialy N`Diaye und die Firma WOW Promotion.