Kreation, Engagement und Perfektion, dies sind die drei Schlagworte, mit denen man die 17. Ocean State Grand Nationals im US-Bundesstaat Rhode Island umschreiben kann. Der „kreative“ Kopf im Hintergrund war wie immer WAKO-US-Präsident Don Rodrigues, der sich wieder zahlreiche Neuerungen einfallen ließ, die dieses Turnier von allen anderen NASKA Turnieren abhebt. Auch „engagierten“ er und sein Team sich für eine Teilnahme möglichst vieler ausländischer Teilnehmer. Es ist eines der am „perfektesten“ vorbereiteten und durchgeführten Großturniere Amerikas.
Qualifikation für WM in Polen
Dies war bereits am Freitag, den 11. April 1997 zu sehen, als im Rahmen dieser Veranstaltung die US-Ausscheidungen für das WAKO-WM-Team in Polen durchgeführt wurden. Nach sehr intenisv geführten Kämpfen und knappen Formenentscheidungen, immer unter dem wachsamen Auge von Rodrigues, der auch US-Coach ist, stand am Schluß fest, daß Amerika 1997 eines der stärksten Teams seiner Geschichte stellen wird. Dabei sind u.a.: Pedro Xavier, Mike Pombeiro, Jon Valera, John Payton, Casey Marks und Richard Branden. Dies war aber nur das Vorprogramm an diesem Abend, im Anschluß fand die MACHO-TEAM-CHALLENGE statt. Begonnen wurde hier mit dem Team-Formenwettbewerb, den überraschend das Team aus Südafrika gewinnen konnte, die mit ihrer traditionellen Karate-Kata das Team Paul Mitchell mit Mike Chat und Jon Valera mit 2/10 Punkten unterschied auf Platz zwei verwiesen. Gleich darauf ging es mit Semikontakt weiter. Deutschland war auch dieses Jahr durch Roland Conar, Martin Kilgus und Zvonko Griebl vertreten, die sich erst im Viertelfinale knapp geschlagen geben mußten. Der Sieg ging an diesem Tag eindeutig an das Team Paul Mitchell, das zur Zeit in den USA nicht zu besiegen ist.
Toller Zeitplan: 1.500 Sportler in 6 Stunden bewältigt: Am Samstag wurde das Convention Center von Providence, der Hauptstadt von Rhode Island von 1.500 Teilnehmern gestürmt, die das Organistionsteam immer fest im Griff hatte. Pünktlich um 9 Uhr wurde auf 25 Kampfflächen begonnen und so unglaublich es auch klingen mag, um 15.00 Uhr war dieses Turnier inklusiv Finalkämpfen beendet.
Deutsche im Pech
Leider lief der Tag für die Deuten nicht so gut. Bei den Formen belegte Sandra Heß nur Platz 6 und Andreas Dieckmann den 5. Rang. Im Semikontakt verlor Roland Conar (umstritten) im Finale gegen Ronald Brady und belegte somit „nur“ Platz 2. Martin Kilgus scheiterte hingegen schon am Einzug ins Finale und mußte sich mit Platz 3 zufriedengeben, ebenso Svonko Griebl der einem Medaillenrang schon in den Vorrunden ade sagen mußte.
Auf zur Nighttime Show
Nach Beendigung der Ausscheidungen schlossen sich die Tore des Convention Centers für alle Teilnehmer und öffneten sich erst wieder nach diversen Vorbereitungen und Umbauarbeiten um 19.30 Uhr zur „Nighttime-Show“. Eröffnet wurde diese von den Team-Kata-Champions des Vortages aus Südafrika, die nocheinmal ihre perfekte Synchronkata vorführten. Weiter ging ess mit dem Damen-Formen-Grandchampion, den die Kalifornierin Anita Lopez mit einer hervorragenden WU-SHU Form für sich entschied. Auch bei Programmpunkt 3 wurde wieder ein Formen-Grandchampion ausgetragen, diesmal bei der Jugend. In 1997 noch ungeschlagen demonstrierte der Kalifornier Jimmy Pham sein Können und gewann vor Casey Marks Pokal und Preisgeld.
Dem Publikum, das bereits jetzt in bester Stimmung war, wurde aber noch mehr Formen-Kost serviert, denn jetzt ging es noch um den Waffen-Grandchampion der Erwachsenen. Klarer Favorit war hier John Valera, der bei den Vorausscheidungen schon Mike Chat besiegte. Nach einer unglaublichen Darbietung, die das Publikum zu Standing-Ovations begeisterte, machte John alles klar und ging mit seinem ersten (aber noch nicht letzten) Grandchampion-Titel nach Hause.
Pedro Xavier holt Grandchampion Trophäe
Nach einer kleinen Pause, in der diverse Ehrungen durchgeführt wurden (in Amerika ist dies sehr beliebt, hier wird jeder von jedem für etwas geehrt) startete man mit den Herren-Semikontakt-Grandchampions. Im ersten Kampf um den Lightweigt-GC trat Favorit Pedro Xavier gegen den Newcomer Askia Allison an und hatte nicht die geringsten Probleme sich den Titel zu holen. Mit hervorragenden Hand- und vor allem Fußtechniken übte er von Anfang an Druck auf Allison aus und ließ diesem keine Chance zu punkten. Weitaus spannender ging es im Kampf um den Middelweight-GC zu. Der Newcomer im Team-Paul-Mitchell Mike Pombeiro stand hier Routinier Ronald Brady gegenüber. Beide legten schon zu Beginn ein sehr hohes Tempo vor und die Punktezahl beider kletterte unaufhörlich nach oben. Letztendlich entschieden aber Mike Pombeiros schnelle Kicks das Match und so ging die Trophäe mit 16:14 Punkten an den sympathischen Kalifornier. Nun sollte eigentlich der Kampf um den Heavyweight-GC folgen, leider konnte dieser aber nicht ausgekämpft werden, da sich Qualifikant Steve Babcock tagsüber verletzte. Der Sieg ging kampflos an John Payton aus Massachusetts.
Kevin Thompson muß in „Rentner-Klasse“ starten
Die nächste Überraschung erwartete die Zuschauer im Senioren-Semikontakt-GC wo sich Champion Kevin Thompson, der seit letztem Jahr in dieser Klasse kämpfen „muß“, da man in Amerika nach Überschreiten der 34-Jahre-Grenze nicht mehr in den unteren Kategorien starten darf, erstmals einem Gegner aus Italien gegenübersah. Dieser, eigentlich als Coach des italienischen Teams, rund um WAKO-Präsident Ennio Falsoni, angereiste „Oldie“ kämpfte sich tagsüber durch zahlreiche, recht harte Ausscheidungen und stand verdient im Grandchampion. Leider hatte der zwar um mindestens zwei Köpfe größere Italiener nicht mit dem trickreichen Kampfstil von Thompson gerechnet. Dieser ließ ihn bei Angriffen immer ins Leere laufen und konterte nach belieben. So kam es, daß der Italiener mit einer 8:0 Niederlage von Thompson regelrecht abgefertigt wurde. Na ja, immerhin im Grandchampion-Finale steht man trotzdem nicht jeden Tag.
Premiere: Team-Weltmeisterschaft USA gegen Italien
Wie bereits erwähnt kam auf Einladung von Don Rodrigues ein 15-Mann(Frau) starkes Team aus Italien nach Amerika und 3 Mitglieder dieses Teams, genauer Markus Zadra, Marco Ferrarese und Emanuele Bozzolani sollten an diesem Abend gegen das Team von Don Rodrigues bestehend aus den drei WAKO-PRO Weltmeistern, Pedro Xavier, John Payton und Chris Rappold um den ersten WAKO-PRO-TEAM-TITEL kämpfen. Das Publikum in der Halle war in der richtigen Stimmung und so wurde beiden Teams zuerst einmal ein frenetischer Beifall gespendet. Man spürte die Anspannung in der Halle, die bei dieser Premiere sowohl von Kämpfern als auch von den Zuschauern ausging. So standen sich in Kampf eins WAKO-WM Emanuele Bozzolani und John „Iceman“ Payton gegenüber. Da die Amerikaner immer noch den Fehler machen, die Europäer zu unterschätzen, kassierte Payton gleich zu Beginn von Bozzolani vier Punkte, was die Amis natürlich schockte und den Geräuschpegel in der Halle sofort sinken ließ. Aber Payton revanchierte sich bald und so stand es nach Runde eins nur 5:3 für Italien. In Runde zwei war eindeutig klar, wer diesen Kampf dominierte und Bozzolani machte den Sack endgültig zu. Kampf eins ging somit an Italien. Hockstimmung im italienischen Lager, Diskussionen auf amerikanischer Seite. Es folgte Kampf zwei. WAKO-PRO-WM Markus Zadra stand hier Chris Rappold gegenüber. Der um einige Kilo leichtere Rappold, mag wohl einer der am meisten unterschätzten Fighter sein, hier kämpfte er aber so stark wie nie. Konterstark wehrte er so jeden Angriffsversuch Zadras ab und machte seine Punkte. Zadra ließ sich aber nicht so leicht auspunkten und hielt den Kampf durch schnelle Punkte offen. Erst in Runde zwei zog der Amerikaner mit Unterstützung des tobenden Publikums unaufhaltsam davon und gewann diesen Kampf mit 13:10 Punkten. Ein wahrer Leckerbissen des Semikontakts wurde im letzten Kampf aufgetischt. Pedro Xavier und WAKO-EM Marco Ferrarese standen sich gegenüber. Hier wurden nicht nur von den Kämpfern Höchstleistungen gezeigt, auch die Kampfrichter wurden aufgrund des hohen Tempos aufs äußerste gefordert. Beide Kämpfer ließen das komplette Technikprogramm vom Stapel und zeigten Semikontakt in höchster Vollendung. Auch das Publikum war mittlerweile nicht mehr auf den Sitzen zu halten und feierte jeden Punkt des Amerikaners ausgelassen. Man kann zwar nicht sagen, daß Xavier diesen Kampf kontrollierte, trotzdem war es der Amerikaner, der von Anfang an dominierte. Ferrarese punktete ebenfalls häufig und nicht weniger spektakulär, er konnte Xavier aber eigentlich nie ernsthaft geführden. Am Ende von Runde zwei ging dann auch dieser Kampf an die USA. Somit, nach Addition aller Punkte besiegte die USA Italien mit 34 zu 30 Punkten und war somit neuer WAKO-PRO Team Titelträger. Als Besonderheit dazu wäre noch zu sagen, daß diese Veranstaltung Chuck Norris Aktion „Kick Drugs out of Amerika“ unterstützte und pro erzielten Punkt US-$ 25,— an dessen Organisation weiterleitete.
John Valera schlägt Mike Chat mit Höchstnoten
Den Abschluß der Show bildeten zwei weitere Formenkategorien. Als erste wurde der Jugend-Waffen-GC ausgetragen. Hier ist es immer wieder erstaunlich zu welchen Leistungen schon die jüngere Elite Amerikas fähig ist. Sieg und Prämie ging auch hier, wie bereits im Vorjahr an die Favoritin Casey Marks, die mit ihrer sehr emotional vorgetragenen Bo-Form die Kampfrichter ein ums andere mal überzeugt und so bereits heute zu einer der erfolgreichsten Formenläuferinnen Amerikas zählt. Nun war es Zeit für die Königskategorie der Formen, den Herrn Formen-Grandchampion. Hier betraten die Gewinner der einzelnen Kategorien der Vorausscheidungen nacheinander die Bühne: Alan Sandorn (Soft-Style), Mike Chat (Musical), Kevin Thompson (Senior), Rick Jacobs (Traditional) und Jon Valera (Korean). Favoriten waren Mike Chat und John Valera. Zwar zeigte der Rest des Teilnehmerfeldes hervorragende Leistungen, entschieden wurde die Sache aber zwischen den beiden Kaliforniern. Mike Chat war an diesem Tag wie immer brillant, zeigte hohe Sprungkicks, elegante Techniken und absolute Synchronität. Trotzdem – John Valera war an diesem Tag einfach „heiß“ auf den Titel. Er begeisterte Publikum und Kampfrichter gleichermaßen mit blitzschnellen Kicks, Drehungen und Sprüngen, die im Ablauf teilweise nicht mehr zu verfolgen waren. Als John wieder auf dem Boden „aufsetzte“ erhielt er von 6 der 7 Kampfrichter die Höchstnote und nahm Titel Nummer zwei an diesem Tag in Empfang.
Eine Reise wert
Bei der anschließenden Party wurde noch kräftig bis in die frühen Morgenstunden gefeiert und alle Teilnehmer gingen mit dem Gefühl nach Hause, ein großartiges Wochenende verbracht zu haben und Kampfsport vom feinsten erlebt zu haben. Für einen Trip zu einem US-Turnier können wir die Ocean State Grand Nationals bestens empfehlen.
Diese Reprtage erschien in der KICK Ausgabe 08/1997, verfasst von Rüdiger Miller aus Österreich.