Deutsche Vollkontakt Meisterschaft 1978 Hamm

Michael Kuhr Kickboxen Kampfrichter Georg F. Brueckner beobachtet einen der ersten Kickboxkaempfe des jungen Michael Kuhr (rechts)

In Hamm begann der Wettkampf um die deutsche Meisterschaft im Vollkontakt-Karate 1978. Es war das erste von drei Turnieren! Würden die Kämpfer wieder eine Steigerung zeigen, wie es im letzten Jahr von Turnier zu Turnier zu beobachten war? Man erinnere sich, das deutsche Team war nach nur knapp 6 Monaten Kampferfahrung und den ersten richtigen Trainingsversuchen in diesem neuen Sportkarate bei den Europameisterschaften in Wien das erfolgreichste Team. 6 erste Plätze in 7 Gewichtsklassen! Eine Bilanz, an die keiner geglaubt hatte, die aber bestätigte, daß so ein grandioser Sieg eine hervorragende Motivation für eine neue Saison ist.

Michael Kuhr Kickboxen
Kampfrichter Georg F. Brückner beobachtet einen der ersten Kickboxkämpfe des jungen Michael Kuhr (rechts)

Geht es doch 1978 noch um viel mehr. Für die Deutschen Meister ’78 bedeutet es die Teilnahme an der Weltmeisterschaft am 5. November in Berlin. Auch an der Europameisterschaft können nur die beiden Erstplazierten teilnehmen. Über 130 Kämpfer hatten sich gemeldet. Gestartet sind allerdings nur ca. 100. Die Grippewelle hatte einige schon vorzeitig aus dem Rennen geworfen. Die Zentralhallen in Hamm waren sicher nicht der optimale Austragungsort. Die Haupthalle selbst faßte nur eine Kampffläche. Sie ist aber so gebaut, daß das Publikum hautnah von allen Seiten am Geschehen teilnehmen kann.2 Kampfflächen mußten folglich im Foyer aufgebaut werden, um die große Zahl der Kämpfer in den Vorausscheidungen bewältigen zu können. Dadurch mußten die zahlreichen Zuschauer, hauptsächlich Schlachtenbummler, die mit ihren Kämpfern schon frühmorgens frierend vor der Halle warteten, ständig hin-und herlaufen. Bei der Endveranstaltung um 16.00 Uhr waren dann alle in der Haupthalle versammelt, die, gut gefüllt, eine spannende Atmosphäre und hochgeladene Stimmung bot. Es gab viele interessante und gute Kämpfe, viele Kämpfe, die so richtig nach dem Geschmack begeisterter Zuschauer waren. Das war wieder ein Schritt nach vorn, Kampfgeist und Technik sorgte von Begegnung zu Begegnung für Höhepunkte am laufenden Band. Und noch etwas darf man sagen: Keine Kampfsportart bringt soviel Aktion, soviel Wirbel, Technik und abwechslungsreiche Situationen mit höchstem Nervenkitzel, wie Sportkarate mit Kontakt.

Kickboxen 1978
Ein würdiger Rahmen: Ofizielle, Teilnehmer und Coaches bei der Eröffnung des Turniers in Hamm.

Das Kampfgeschehen
Es war das erste Mal, daß einige Kämpfer mit Übergewicht antreten wollten und mit Erstaunen feststellen mußten, daß sie in Ihrer Gewichtsklasse nicht starten durften. Durch Krankheitsausfälle konnten einige glücklicherweise in der höheren Gewichtsklasse kämpfen. Allerdings ist der Nachteil der, daß Ihnen die Punkte für die Gesamtabrechnung der Deutschen Meisterschaft verloren gehen, wenn sie bei den nächsten Turnieren wieder in ihrer eigentlichen Klasse starten. Viele Namen des Jahres ’77 beginnen sich langsam einzuprägen. Nicht nur weil sie immer wieder dabei sind, sondern weil sie auch immer wieder mit guten Leistungen aufwarten. Im Fliegengewicht sind es Goris Konstantinos, der erst 16jährige Michael Kuhr aus Berlin, Karl Otto Uebel, Sarhan Salman und Ali Phelivan.

Wettkampfregeln
Maurice Moore (links) und Daryll Tyler (rechts) erklären die Regeln und demonstrieren die erlaubten Techniken. Eine Augenweide fuer alle Anwesenden.

Superleichtgewicht
Ali Phelivan, eine Kampfmaschine, dem man endlich und dringend mehr Technik wünscht, mußte wegen Übergewicht im Superleichtgewicht kämpfen. Auch in dieser Klasse war er eine echte Konkurrenz. Nach einem Unentschieden gegen Bottin aus Bielefeld, einem Freilos und einem Sieg über Alex Whitney aus Bockhorn stand er unter den ersten dreien. Hier mußte gelost werden unter 3 Kämpfern, die alle durch überragende Leistungen schon bekannt sind; Rafik Jamali, Berlin, der an diesem Tag in der Form seines Lebens war und allen seinen Gegnern den Kampf zur Hölle machte und Jörg Schmidt, Berlin, der seit Wolfsburg um gute 6 Kilo an Gewicht verloren hat. Jamali fegte Günebakan aus Remscheid wahrlich von der Matte, machte dann kurzen Prozeß mit Bottin aus Bielefeld und deklassierte den talentierten Klaus Friedhaber aus Mannheim. Jörg Schmidt, der zu allen Wettkämpfen bisher mit irgendwelchen Handicaps antreten mußte und sein wahres Können noch nie richtig voll ausspielen konnte, hatte sich zu diesem Wettkampf beim Training mit einem Boxer einen Riß im Trommelfell zugezogen. Trotzdem wollte er den Wettkampf nicht absagen. Er gewann überlegen gegen Sezer, Düsseldorf, so daß Martin Giesselmann, sein nächster Gegner, der ein Formtief hatte gegen ihn gar nicht erst antrat. Schmidt mußte dann gegen seinen Stallgefährten Christian Petermann ganz schön loslegen, um den Kampf zu gewinnen. Die Auslosung Phelivan — Jamali —Schmidt brachte für Jamali ein Freilos, der sich dann schonen und seinen Endkampfgegner in Ruhe studieren konnte. Es herrschte Spannung: Phelivan ließ sich nicht beeindrucken. Er nahm jede Gelegenheit wahr anzugreifen oder zurückzuschlagen. Der beste Techniker wird es immer schwer haben, gegen den tierischen Kampfgeist von Phelivan anzukommen. Jörg Schmidt wurde immer wieder in wilde Schlagabtausche verwickelt. Er traf Phelivan mit gezielten Schlägen und Fußstößen, die jeden lange ins Reich der Träume geschickt hätten, doch Phelivan nahm und schluckte alles, er schlug zurück, wild und unkontrolliert, stürzte nach vorn als ginge es ums Überleben. Das Publikum raste. Es gab Tumulte als das Kampfgericht Schmidt mit 41:38 Punkten zum Sieger erklärte. Sicher war so eine Schlacht echt nach dem Geschmack des Publikums, aber die Schiedsrichter haben gewürdigt und berücksichtigt, was beide Kämpfer geboten haben. Der bessere Mann hat gewonnen, wenn auch nur mit einem Punkt Unterschied pro Schiedsrichter. Aber dieses Urteil berücksichtigte nicht nur die vielleicht ausgeglichene Anzahl der Treffer, es hatte auch die Technik zu bewerten, und da war Schmidt klar der Bessere. Dieser Kampf hat Jörg Schmidt sicher Kraft gekostet, die ihm im Finale mit Jamali dann fehlte. Im Endkampf konnte Rafik Jamali, voll ausgeruht, seine große Tagesform endgültig beweisen. Er schlug Jörg Schmidt schon in der ersten Runde entscheidend und konnte sich somit an die Spitze der Rangliste stellen. Einen sehr guten Eindruck hinterließ in dieser Klasse auch Klaus Friedhaber, der sicher weitergekommen wäre, hätte er nicht so früh gegen Jamali kämpfen müssen.

Leichtgewicht
Im Leichtgewicht gab es gleich die erste Überraschung des Tages. Der Deutsche und Europameister ’77 im Superleichtgewicht, Hansi Jaensch, Berlin, kämpft jetzt im Leichtgewicht. Er hat das ewige Hungern satt. Er traf auf Heinz Klupp, Erding, im ersten Kampf und wurde geschlagen. Nicht entscheidend, nicht klar, aber das Gesamturteil verkündete für ihn das „Aus“. Wie soll er jetzt noch Meister werden? Der deutsche Meister Kemal Zeriat, Berlin, gewann seinen ersten Kampf gegen Zogaj, Dortmund, souverän. Im zweiten Kampf hieß sein Gegner Klupp aus Erding. Alle wußten, das war der vorweggenommene Endkampf. Kemal Zeriat mußte das Schicksal von Hansi Jaensch teilen. Auch er verlor gegen diesen großen Unbekannten aus Erding mit knapper Entscheidung. Damit war diese Gewichtsklasse klar entschieden.

Heinz Klupp
Der Erdinger Heinz Klupp (rote Hose) draengt nach vorne während Kampfrichter Al Dacascos zusieht.

Halbmittelgewicht
Große Beteiligung gab es im Halbmittelgewicht. Peter Harbrecht, Deutscher Meister und Europameister ’77 in phantastischer Form, kam, kämpfte und siegte. Doch in dieser Klasse wird bis zur Endabrechnung im September sicher noch einiges geschehen. Hervorragende Kämpfer wie Stefan Kessler, Schifferstadt, Ekrem Basdas, Bielefeld, Gerhard Jobst, Berlin, Klaus Lutze, Mannheim und einige andere, werden hier sicher noch ein wichtiges Wort mitreden wollen. Ihre Leistungen zeigen deutlich, daß hier noch einiges zu erwarten ist.

Mittelgewicht
Im Mittelgewicht siegte Darryl Tyler, Stuttgart. Er gewann seine Kämpfe meistens dadurch, daß seine Gegner nicht antraten, nachdem sie gehört hatten, gegen wen sie kämpfen sollten. Nur Frank Kaulen, Duisburg, und Georg Gadris aus Bielefeld ließen sich die Chance nicht nehmen, gegen diesen Klassemann ihr Können zu erproben. Frank Kaulen, der gegen Clyde Atherly, Bielefeld, und Bernd Eggert, Berlin, gewann, zeigte gegen Tyler keinen Respekt. Er setzte Tyler sogar nach einer der hohen Fußtechniken mit einem klassischen Feger auf die Matte. Wenn er die Erfahrung schon gehabt hätte, daß man im Fullcontact ganz besonders auf die Deckung achten muß, wer weiß, wie die Partie verlaufen wäre. So mußte er immer wieder Treffer einstecken, die er nicht schnell genug verdauen konnte. Schließlich verlor er in der 2. Runde nach heftiger Turbulenz durch k.o. Aber Frank Kaulen hat angedeutet, daß er das Zeug zu einem ganz Großen hat. Gadris besiegte Franke und auch den grippegeschwächten Dieter Herdel. Aber auch er konnte den glorreichen Tyler nicht stoppen. Er versuchte alles, fand aber zu keiner Zeit des Kampfes ein Mittel, um den Champion zu gefährden. Aufmerksamkeit erregte Bernd Eggert, Berlin, der sich leider bei seinem haushohen Sieg über Chambalu, Hamburg, zu sehr verausgabte, um dann gegen Frank Kaulen knapp zu verlieren.

Halbschwergewicht
Vier Kämpfer verdienten große Beachtung im Halbschwergewicht. Maurice Moore, Stuttgart, der Held des letzten Jahres schien nicht die gewohnte Form zu bringen. Er schaffte gegen Milanovic, Bielefeld, nur ein Unentschieden und siegte aber gegen Tilef klar. Rolf Kürschner, Hamm, gewann gegen Atherley, Bielefeld, und auch gegen Milanovic. Es war Dirk Peter, Berlin, der sein erstes Turnier bestritt. Er deklassierte Rojahn im ersten Kampf in einer Manier, die nur ein ganz großes Talent bieten kann. Es war eindeutig, daß er auf den Endkampf zusteuern wollte. Maurice Moore war gar nicht wohl beim Anblick eines solchen Kämpfers. Peter siegte dann über Kürschner und konnte Moore die erste Niederlage beibringen. Zwar ein knappes Ergebnis, aber wenn dieser Junge mit 19 Jahren noch ein wenig mehr Erfahrung hat, dann dürften sicher große Kämpfe von ihm zu erwarten sein. Er bekam sogar mehrfach Sonderapplaus, als er die Schläge und Schlagserien von Moore wie ein Routinier einfach auspendelte.

Schwergewicht
Frischer Wind im Schwergewicht und echte Konkurrenz für Kunibert Back entstand durch neue Kämpfer. Thomas Schmidt, Berlin, und Franz Staudinger, Heilbronn, sind zwei Namen, die nach vorne drängen. Aber die ganz große Überraschung ist Manfred Vogt aus Neustadt. Schmidt schlug Horst Bandow aus Hamburg und Staudinger den Esslinger Jürgen Roos. Doch dann mußten sie gegen Vogt antreten. Manfred Vogt, aus der Schule von Kunibert Back, siegte über Sigge, Hamm, danach über den beherzten Franz Staudinger und ebenfalls über Schmidt, der einen sehr guten Kampf lieferte. Damit stand er im . Endkampf. Kunibert hatte leichtes Spiel mit Rene Starcevic aus Fürth, Löhning aus Berlin verzichtete auf einen Kräftevergleich, dann kam Peter Kuttelwascher, der noch eine alte Rechnung begleichen wollte und auf Angriff setzte. Allerdings hat er die Reichweite von Backs langen Beinen unterschätzt und lief prompt in den hoch heruntergezogenen Hacken, was für ihn das „aus“ bedeutete. Der Endkampf Back/Vogt zeigte zum ersten Mal, welche Schwäche unser Kunibert doch hat. Vogt verstand es ausgezeichnet, Backs gefährlichen Fußstößen auszuweichen und mit vielen Techniken teilweise den Kampf zu bestimmen. Das Unentschieden war gerecht. Dank des besseren Ergebnisses aus den anderen Kämpfen wurde Vogt Sieger des Tages.

Schwergewichtler Manfred Vogt (links) gegen Kunibert Back.

Bericht: Brückner
Fotos: Bullmann

Anmerkung: Das zweite Ranglisten Turnier fand in Koblenz statt und das dritte in Esslingen.