Michael Kuhr – Der Eilbote

Michael Kuhr

Er war gerade 15 geworden, da bestritt der Berliner Michael Kuhr seine ersten Kämpfe. Schon damals meinten viele, in ihm großartiges Talent entdecken zu können; er überzeugte mit extremer körperlicher Fitness, hervorragenden Techniken und unbändigem Kampfgeist. Als Amateur gewann er Welt- und Europameisterschaften. Nun steht er als Profi im Ring und ist seit dem 13.Mai 1990 der erste Deutsche Welttitelträger bei den Professionals. Eigentlich Zeit zum Abdanken, aber daran denkt Michael Kuhr überhaupt nicht; im Gegenteil, er will seinen Titel so oft es geht verteidigen. Hier seine Geschichte.
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Michael Kuhr kickboxer
EM Finale 1986 in Athen: Kuhr (re.) gegen den Polen Bogdan Sawicki. Sieger: Kuhr.

Training, Training, Training … Michael Kuhr, 28 Jahre jung und gebürtiger Berliner, absolviert tagtäglich ein hartes Konditionstraining – und das von Berufs wegen. Er ist Zustellbeamter bei der Deutschen Bundespost und saust frühmorgens durch seinen Berliner Zustellbezirk, um die Post dreimal schneller abzuliefern als seine Kollegen. Nach diesem „Konditionsteil“ übt sich Kuhr in den frühen Nachmittagsstunden in einer weiteren Trainingssession mit knochenhartem Sandsacktraining. Erst am späten Nachmittag gönnt er sich ein wenig Ruhe, um sich auf seine abendliche Traingsphase zu konzentrieren, wobei er zumeist mit seinen Teamkameraden Klemens Willner und Frank Stoldt zum Sparring und Techniktraining in der Berliner Sportschule Blankenburg zusammenkommt. Zwei- bis dreimal die Woche trainiert er mit der Berliner Boxstaffel, der u.a auch der Deutsche Meister Sven Ottke angehört, unter der Leitung von Landestrainer Bubi Dieter. Soviel zu Kuhrs Tages- und Trainigsablauf.

Der Eilbote – Michael Kuhr Erster Deutscher Profi-Weltmeister im Kickboxen

Michael Kuhr
Einer seiner ersten Vollkontakt Kämpfe 1978 in Hamm. Kampfrichter: Georg F. Brückner

Erste Erfolge Alles begann für ihn unter der Leitung von Trainer Peter Blankenburg mit der koreanischen Kampfkunst Tae Kwon Do. Da sowohl Peter Blankenburg als auch er selbst einen engen Kontakt zu Kickbox-Pionier Georg Brückner pflegten, kam Kuhr schon bald mit dem damals noch neuen Kampfsystem des Kickboxen in Verbindung. Mt 15 bestritt Kuhr in Wolfsburg beim Zweiten Ranglistenturnier zur Deutschen Meisterschaft 1977 seinen ersten Kampf im „Vollkontakt Kickboxen“. Damals kämpfte Kuhr noch im Bantamgewicht (-57 Kg). Er gewann diesen Kampf, mußte aber bereits im zweiten gegen Ali Pehlivan antreten. Pehlivan war damals der beste Mann in dieser Klasse, noch eine Nummer zu groß für ihn. Im folgenden Jahr kämpfte sich Kuhr dann weiter nach vorne und erreichte im September in Koblenz seinen ersten deutschen Meistertitel. Zwei Monate später trat er bei der ersten Weltmeisterschaft der WAKO in der Berliner Deutschlandhalle an, wo er immerhin den achten Platz belegte. 1979 erkämpfte er sich seinen zweiten nationalen Meistertitel und nahm erneut an den Weltmeisterschaften teil, die in Tampa im US-Bundesstaat Florida stattfanden. Er besiegte in seinen Vorkämpfen u.a. den in der Schweiz lebenden Spanier Jerome Canabate, der wenige Jahre später bei ISKA und PKA zu Profi-Weltmeisterehren aufstieg, und mußte sich einzig im Finale dem farbigen Briten Howard Brown knapp nach Punkten beugen. Sein Konkurrent Brown erinnert sich noch heute an diesen überaus spannenden Finalkampf: „Michael Kuhr war damals noch sehr jung, aber seine Erfolge waren beeindruckend. Obwohl ich mir meines Sieges von vornherein sicher war, mußte ich viel mehr einstecken als mir lieb war. Michael war der einzige Kämpfer, der mich jemals mit einem „Axt-Kick“ am Kopf getroffen hat“.

Michael Kuhr
Jubel nach dem WM Titelgewinn am 13. Mai 1990 in Mannheim

Mit 17 Jahren war Kuhr also das erste Mal Vize-Weltmeister. Dabei hatte er einen späteren Profi-Weltmeister geschlagen und sich größten Respekt verschafft In Laufe seiner Karriere trat er gegen viele andere Fighter an, die später zu Profi-Champions wurden. So schlug er im folgenden Jahr bei den Europameisterschaften in London den Engländer Howard Brown, der später WKA-Weltmeister wurde. Mt dem Holländer Joao Vierra und dem in Deutschland lebenden Türken Murat Cömert konnte er zwei weitere künftige Champions dieses Verbandes klar besiegen. Auch gegen den ISKA- und PKO-Weltmeister Troy Dorsey aus den USA, der mittlerweile auch um die WM im Profiboxen antrat, hat Kuhr einen Sieg zu verzeichnen.

WM-Sieg im dritten Anlauf
Im weiteren Verlauf seiner Karriere stieg Kuhr 1983 in die nächsthöhere Gewichtsklasse, ins Leichtgewicht (-60 Kg) auf. Hier gewann er auf Anhieb Deutsche und Europameisterschaft und nahm an der WM in der total ausverkauften Londoner Wembley-Arena statt. Bei der WM präsentierte sich Kuhr in einer hervorragenden Verfassung. Er kämpfte gegen enorm starke Gegner und gelangte bis ins Finale. Dort traf er auf den Holländer Romeo Charry, den er drei Jahre zuvor schon einmal geschlagen hatte. Kuhr hatte auch in diesem Kampf zunächst die Nase vorne, mußte aber dann doch den Anstrengungen aus den Vorkämpfen Tribut zollen und baute in der letzten und entscheidenden Runde des Finalkampfes ab. Erneut leider wieder nur Vize-Weltmeister. Zwei Jahre später durfte Kuhr dann aber doch den Erfolg feiern, der ihm bislang vergönnt geblieben war. Bei den vierten Weltmeisterschaften der WAKO gewann er den langersehnten und sicher auch verdienten WM-Titel. Ein wenig Glück war freilich dabei, denn Kuhr wurde in einem Vorkampf vom britischen Kämpfer Bullock so stark im Unterleib getroffen, daß der Plastikbecher seines Hodenschutzes zerbarst. Wie durch ein Wunder blieb Kuhr aber unverletzt und siegte im Finale gegen den Iren Gerry Kidd. Bittere Niederlage Im folgenden Jahr mußte Kuhr dann die bitterste Niederlage seiner ganzen Karriere hinnehmen. Durch seinen Titelgewinn ein wenig überheblich geworden, trainierte Kuhr nicht mehr so wie üblich. Zwar reichte es für die meisten Kämpfe trotzdem, aber die Strafe folgte in Juni 1986, als er in der Irischen Hauptstadt Dublin erneut gegen Gerry Kidd antreten mußte. Kuhr hatte nicht nur zu wenig trainiert, sondern beim Mttagessen vor dem Kampf wie an Weihnachten zugeschlagen. Während Kuhr satt war, hatte Kidd aber richtigen Hunger. Er wollte unbedingt die Niederlage des Vorjahres wett machen. Dafür hatte er sich sechs Monate lang mit hartem Trainig vorbereitet. Der Sechs-Runden-Kampf, bei dem es um den Titel des Mu-Gen-Do Verbandes ging, geriet für Kuhr zum Alptraum. Er mußte viele Treffer einstecken und sogar angezählt werden. Einzig sein enormer Kampfgeist ließ ihn den gesamten Kampf überstehen. Neue Ziele Kuhr hatte schnell begriffen, woran er im Kampf gegen Kidd gescheitert war und trainierte mehr und besser als je zuvor. 1986 gewann er in Athen seinen vierten EM-Titel im Vollkontakt. Zwischenzeitlich kämpfte er auch erfolgreich im Semi- und Leichtkontakt, wo er u.a. Internationaler Deutscher Meister werden konnte und auch bei der US-Army zu Grand-Champion-Ehren gelangte. Ausserdem begann er auch wieder mit dem Amateurboxen. Eine Zeit lang kämpfte er für Berlin in der Bundesliga und sogar für die deutsche Nationalstaffel.

Pech in München
Im Vollkontakt folgte jedoch wieder ein Rückschlag: Die heute schon legendäre 5. WAKO Weltmeisterschaft, ausgetragen 1987 in der Münchener Olympiahalle, sollte eigentlich zu einem weiteren Höhepunkt in seiner Karriere werden. In seinem ersten Ausscheidungskampf fiel Kuhr jedoch einer krassen Fehlentscheidung der Punktrichter zum Opfer und schied aus. Sieger in seiner Gewichtsklasse wurde der in Deutschland lebende Amerikaner Mike Anderson, der im Jahr zuvor schon einmal gegen Kuhr hätte antreten sollen.

Kampf gegen Anderson
1988 hatte Kuhr dann in der Berliner Bruno-Gehrke-Halle Gelegenheit gegen den US-Boy anzutreteten. Kuhr fügte Anderson eine so empfindliche Niederlage bei, daß dieser zum Rückkampf in Amsberg gar nicht mehr antrat. Als Ersatz für Anderson mußte der Ranglisten-Erste der WKA, Murat Cömert in sechs Runden herhalten (Anmerkung: Cömert war damals erst 16 Jahre alt und hatte nur 2 Tage Vorlaufzeit). Obwohl Cömert später bei der WKA Weltmeister werden konnte, mußte er gegen Kuhr eine Niederlage einstecken. Er wurde von Ringrichter Baaden viermal angezählt.

Gustav Baaden
1988: Kuhr siegt im Clash mit dem amtierenden WAKO Weltmeister Mike Anderson. Kampfrichter: Gustav Baaden.

„Ami-Killer“
Seinen nächsten Riesenerfolg feierte Kuhr im März 1989 vor rund 5.000 Zuschauern in der Berliner Deutschlandhalle. Im Rahmen eines Vergleichskampfes zwischen Deutschland und den USA, kämpfte er gegen den amtierenden ISKA-Profi-Weltmeister Troy Dorsey. Obwohl Kuhr sich für diesen Kampf in die nächstniedrigere Gewichtsklasse gehungert hatte, konnte er einen Punktsieg erzielen und wurde von seinen Fans und von der Berliner Presse als „Ami-Killer“ gefeiert. Einen Monat später trat Kuhr noch einmal in Stockholm gegen den Amerikaner Dorsey um die WM-Krone der PKO an. Kuhr hatte erst vier Tage zuvor den Kampf akzeptiert, nachdem der ursprünglich vorgesehene Gegner Dorseys, Dennis Sigö, sich im Training die Hand gebrochen hatte. Kuhr hungerte innerhalb dieser vier Tage sieben Kilo ab und lieferte dem Ami dennoch einen hervorragenden Kampf, den er nur knapp verlor. (Siehe: Kuhr vs. Dorsey)
Der Titelgewinn Am 13. Mai 1990 war es für Kuhr dann endlich soweit. Er konnte in seiner Gewichtsklasse, dem Leichtgewicht (-60 Kg) als Weltranglisten-Erster gegen den Zweiten, Dennis Sigö aus Schweden, über zehn Runden um die WM der PKO antreten. Kuhr hatte sich auf seinen Kampf sehr intensiv vorbereitet und präsentierte sich in der Form seines Lebens. Aber auch Sigö befand sich in bestechender Form und bedrängte Kuhr bis zur achten Runde enorm. Erst in den letzten Runden konnte er seine hervorragende Kondition ausspielen und den Kampf endgültig für sich entscheiden.

Deutsches Team
Tampa 1979 – das deustche WM Team am Strand: Michael Kuhr, Klaus Friedhaber, Ferdinand Mack, Bernd Wichmann, Dieter Herdel, Hans Harbrecht.
Sven Ottke
Kuhr mit Boxtrainer Bubi Dieter und Sven Ottke

1. Titelverteidigung
Demnächst will Kuhr seinen PKO-Titel in der Berliner Sömmeringhalle gegen den Polen Bogdan Sawicki verteidigen. Obwohl er 1986 Sawicki schon einmal hat schlagen können, weiß Kuhr um die Gefährlichkeit des Polen. Sawicki konnte 1990 immerhin WAKO-Weltmeister werden und auch den Schweden Dennis Sigö schlagen. Sawicki verfügt über hervorragende Boxtechniken sowie über einen ausgeprägten Killerinstinkt. Wie besseren bereitet sich Kuhr auf seine erste Titelverteidigung vor. Für den Kampf gegen den Polen erhält Kuhr, der prozentual am Umsatz der Veranstaltung beteiligt ist, mit rund DM 20.000,- seine erste größere Gage. Sie liegt damit weit über dem Durchschnitt der übrigen Champs, ist jedoch völlig gerechtfertigt, beachtet man, daß Kuhr nicht nur der erste Deutsche Profi-Champ ist, sondern darüber hinaus in seiner Heimatstadt Berlin einen hohen Bekanntheitsgrad besitzt. So wurde er beispielsweise vom Rundfunksender „Hundert, 6“ nach seinem Titelgewinn im Mai zum Sportler des Monats gewählt.

Demnächst um ?
Sollte Kuhr seinen Titel erfolgreich verteidigen, hofft er ihn im Mai gegen den farbigen Amerikaner Santae Wilson oder den Polen Piotr Siegoszynski verteidigen zu können. Auch strebt Kuhr an, demnächst um den Titel der ISKA im Federgewicht anzutreten. Zur Zeit wird der Titel noch von Jerome Canabate blockiert, der, obwohl er selbigen seit über zwei Jahren nicht mehr verteidigt hat, nicht zurücktreten will. Ein weiterer Kampf, der Kuhr reizt, ist die langerwartete Auseinandersetzung rät dem Holländer Gilbert Ballentine. Bereits seit langer Zeit redet man über ein Aufeinandertreffen dieser beiden Top-Fighter, aber bislang sind die Verhandlungen, obwohl hervorragende Angebote interessierter Promoter vorlagen, immer an sportpolitischen Differenzen gescheitert. Dennoch behaupten viele Fachleute, daß die ganze Publicity um diesen Kampf künstlich hochstilisiert wird. Ballentine ist zwar im Thai-Boxen sehr erfolgreich, jedoch hat er in seinen großen Kickboxfights gegen Jerome Canabate und Steve Demencuk bittere Niederlagen erlitten. Seine Siege gegen Mamadeus und Angot waren auch nicht gerade so deutlich wie erwartet. Autobiografie Als Endziel für seine sportliche Karriere hat sich der 28-jährige Berliner Sunnyboy den Rücktritt nach 100 Kämpfen gesetzt. Bei 87 bestrittenen ist er schon und alle kommenden sollen ausschließlich um WM-Titel gehen. Die Geschichte seiner Karriere will er „im Ruhestand“ in einer Autobiografie festhalten, und eventuell eine eigene Sportschule eröffnen, in der er seine Erfahrungen an den Nachwuchs weitergeben kann. Bis dahin hat Kuhr aber noch mindestens 13 Kämpfe vor sich, die alle nur gegen Kämpfer der Weltelite ausgetragen werden sollen. Und Erfahrungen hat er inzwischen wahrlich reichlich sammeln können, meist gute, aber auch ein paar schlechte. Aus letzteren kann man lernen! Das hat er mit Erfolg getan.

 


Dieser Artikel erschien in der Erstausgabe des Kicksider Magazins 1991

Michael Kuhr verteidigte danach seine Titel und erkämpfte sich einen weiteren WM-Titel im Lager der ISKA. Auch kämpfte er gegen den Holländer Gilbert Ballentine bevor er sich 1995 vom aktiven Kampfsport zurückzog. Heute betreibt Michael Kuhr eine bedeutende Security Firma in Berlin, die u.a. den Zoologischen Garten, Hotels und Gechäfte bewacht: Kuhr Security. Weitere infos: https://www.michael-kuhr.de/