Vollkontakt Koblenz 1978

Peter Harbrecht Peter Harbrecht in Aktion (Archivfoto)

Am 16. September 1978 treten in der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz Deutschlands Karate-Athleten im Vollkontakt zum letzten Duell der Jahresmeisterschaft an. Das Finale der deutschen Meisterschaft bedeutet gleichzeitig die Entscheidung, wer unser Land bei der Weltmeisterschaft vertreten wird. Der Endspurt zur WAKO Weltmeisterschaft im Fullcontact 1978.

Peter Harbrecht
Peter Harbrecht in Aktion (Archivfoto)

Man darf mit gutem Gewissen sagen: Die Vollkontakt-Sportler haben grosse Fortschritte gemacht. Innerhalb eines kurzen Jahres ist ein Leistungsstand erreicht worden, der Anerkennung verdient. Das Abschneiden bei der Europameisterschaft in Wolfsburg spricht fuer sich allein. Es darf ebenfalls gesagt werden, weil sich die besten Sportier aus allen Teilen dieses Landes rekrutieren. An Mut und Kampfgeist hat es den Kampfern nie gefehlt. In der Anfangsphase des letzten Jahres gab es zwar noch deutlich sichtbare schwache Punkte, aber die Unerfahrenheit und Konditionsschwachen, Mangel an Wissen und Methodik beim Training weichen immer mehr einem positiven Erscheinungsbild. Vor allem die Spitzenkampfer zeigen ein Leistungsvermogen, mit dem sie ein Turnier spielend durchstehen, selbst wenn sie 4-5 Kampfe mit 8-10 scharfen Runden im Vollkontakt innerhalb weniger Stunden an einem Tage zu bewaltigen haben. Die beiden Ranglisten-Turniere dieses Jahres in Hamm und Esslingen mit einer Beteiligung von jeweils ca. 100 Kampfern haben bewiesen, dal Vollkontakt-Karate nicht nur eine kurzlebige Angelegenheit ist, in der ein paar beherzte mal feststellen wollen, was sie wohl drauf haben, wenn es tatsachlich mal darauf ankommt. Es hat sich herausgestellt, dag die uberwiegende Zahl der Kampfer immer wieder dabei ist. Nur wenige betrachten die Gelegenheit als einmaligen Anlag, die Probe auf’s Exempel zu machen. Sicher sind etwa 100 Kampfer im Vollkontakt keine besonders groge Zahl, gemessen an der Existenz von vielleicht weit mehr als 100 000 Karatesportlern in unserem Land. Aber dieses kleine Haufchen weist Dynamit auf. Ein einziger Kampf im Vollkontakt Obertrifft oft die Spannung von ganzen Turnieren herkommlicher Art. Das wichtigste aber, so meine ich, ist die Tatsache, dal, diese Athleten sichtbar machen, was im Karate an Technik und Kampfverhalten wirklich von echter Bedeutung ist. Ein LernprozeR also, der deutlich werden lagt, dag in den vielen als harteste Kampf- oder Selbstverteidigungssysteme gepriesenen Stilarten manches nicht ganz der Wahrheit entspricht. Dieses Jahr brachte nicht nur eine bedeutende Leistungssteigerung, es brachte auch in alien Gewichtsklassen eine unerwartete Turbulenz. Meister wurden entthront, Unbekannte drangten nach vorn. Urn jeden Platz wurde hart und mit vollem Einsatz gekampft.
Die Ausgangssituation vor dem Finale der Meisterschaft 1978 sieht so aus: Im Schwergewicht, das Kunibert Back 1977 klar beherrschte, haben ihm zwei Neulinge das Jahr recht schwer gemacht. Manfred Vogt aus Neustadt, der jetzt in der Rangliste führt, und der Senkrechtstarter aus Berlin, der erst mit dem 2. Turnier seinen Einstand gab: Tom Rissmann aus Berlin. Tom hat in Esslingen sogar beide geschlagen und im Europa-Cup ebenfalls als Sieger die Halle verlassen. Ein bärenstarker Junge, der mit 95 kg eine enorme Beweglichkeit aufweist. Wenn er in Koblenz seine Serie fortsetzen kann, dann ist er sicher unser Mann bei der WM. Aber Manfred Vogt will sich revanchieren, und ob Kunibert Back das einfach so gelassen hinnimmt, das glaubt niemand. Es ist also alles offen.
Im Halbschwergewicht ergibt sich ebenfalls eine neue Situation. Werner Kryszewski, Sieger ’77, dem es sicher an geeigneten Trainingsmöglichkeiten fehlt, hatte im ersten Kampf ein bißchen Pech. Er gab resigniert auf. Thomas Born, den man gern mal wieder kämpfen sehen würde, hat durch den Aufbau seiner Schule nicht genug Zeit, sich für den Wettkampf richtig vorzubereiten. So wäre diese Klasse fast eine klare Sache für Maurice Moore geworden, wenn nicht auch hier ein neues Talent, Dirk Peter aus Berlin, mit beachtlichen Leistungen auf sich aufmerksam machte. Dirk konnte Moore in Hamm mit knappem Punktvorsprung besiegen, mußte allerdings in Esslingen dem cleveren Moore die Punkte überlassen. In beiden Partien erntete er jedoch vielfachen Beifall, als er mit sicherem Auge und Geschicklichkeit den schlagstarken Moore immer wieder auspendelte. Der Platz im WM-Aufgebot dürfte ihm kaum zu nehmen sein. Ob er jedoch die Meisterschaft gewinnt, wird sicher eine Frage sein, ob er Moore wieder schlagen kann oder zumindest ein Unentschieden gegen ihn erreicht. Trotzdem könnten Rolf Kürschner, Hamm, Alexander Tilef, Solingen, aber auch der begabte Clyde Atherley aus Bielefeld immer noch gefährlich werden. Im Mittelgewicht stehen heute drei Namen fast gleichwertig an der Spitze, von denen jeder noch Sieger werden kann. Die Rangliste wird von Dieter Herdel, Neustadt, angeführt vor Daryll Tylor und Bernd Eggert, Berlin. Bei den Europameisterschaften in Wolfsburg konnte Tylor in einem dramatischen Endkampf den Neustädter bezwingen. Herdel wiederum konnte vom Glück reden, er wäre um ein Haar von Bernd Eggert geschlagen worden. Eggert mußte infolge einer Augenverletzung den Kampf gegen ihn abbrechen, bei dem er bis zu diesem Zeitpunkt kurz vor Schluß führte. Drei große Kämpfer, darüber besteht kein Zweifel. Aber auch Namen wie Stephan Kessler, Schifferstadt, Georg Gadris, Bielefeld, Milan Milanovic, Wiesbaden oder Frank Kaulen hätten das Zeug dazu ganz nach vorn zu kommen. Eine ziemlich eindeutige Sache ist weiterhin das Halbmittelgewicht. Peter Harbrecht, Deutscher- und Europameister 1977, Europameister ’78 dürfte seinen Titel sicher wieder auch in diesem Jahr ungefährdet nachhause bringen. Obwohl Klaus Lutze, Mannheim, ihm noch bedrohlich nahe gekommen ist. Hätte Stephan Kessler wegen Gewichtsschwierigkeiten in beiden Turnieren nicht in zwei verschiedenen Gewichtsklassen gekämpft, wer weiß wie die Situation heute aussähe. Auch in dieser Gewichtsklasse haben wir eine Reihe von Kämpfern, die von dem Gesichtspunkt der Techniker besondere Leckerbissen für die Zukunft versprechen. Es handelt sich um Talente wie Udo Nacke, Marl, H. J. Hirschgänger, Koblenz, Gerhard Jobst, Berlin, Jürgen Gorak, Solingen, Ekrem Basdas, Bielefeld, Ivan Ferkula, Berlin und auch Lothar Semmlinger aus Marloffstein. Die größten Veränderungen hat es im Leichtgewicht gegeben. Kemal Zeriat, Berlin, Deutscher Meister und Vize-Europameister 1977, der bereits als Halbprofi in Frankreich einen Namen hat, steht in diesem Jahr in unserer Rangliste auf Platz 12. Alfred Blum, zweiter im letzten Jahr, hat bisher nicht gekämpft. Jörg Schmidt, Berlin, ist ins Super-Leichtgewicht gerutscht. Dafür kam Hansi Jaensch, Deutscher- und Europameister 1977 im Super-Leichtgewicht, neu in diese Gewichtsklasse. Obwohl er gleich im 1. Kampf dieses Jahres verlor, konnte er sich noch auf den 2. Platz hocharbeiten. Der Mann dieses Jahres jedoch, die große Überraschung, das ist Heinz Klupp aus Erding. Er gewann alle seine Kämpfe, teilweise in hervorragender Manier. Leider konnte er für uns im Europa-Cup nicht starten, weil er sich auf sein Abitur konzentrieren muß. Wir können nur hoffen, daß wir ihn in Koblenz und auch in Berlin in dieser Form wiedersehen. Die Situation im Superleicht und auch im Fliegengewicht ist schwierig, wenn man bedenkt, daß bei der WM für unser Land nur Deutsche nominiert werden können. Rafik Jamali, einer der stärksten Kämpfer dieses Jahres im Super-Leichtgewicht, ist bereits mit Sicherheit Meister. Da Jörg Schmidt den Sport bereits ganz aufgegeben hat, kann Rafik niemand mehr gefährden. Allerdings kann es noch spannende Kämpfe in der weiteren Rangfolge geben. Klaus Friedhaber, Mannheim, steht nach dieser Situation zwar hinter Jamali, aber im Vollkontakt fehlt ihm einfach die Härte. Jeder weiß, wie gut er als Techniker ist, aber ob das reicht? Vielleicht erleben wir noch eine Überraschung. Im Fliegengewicht müßte sich Ali Phelivan, Koblenz auch weiterhin durchsetzen. Es gibt kaum einen Kämpfer, der so robust ist wie er. Es gibt kaum einen Kämpfer, der so erbittert fighten kann wie er. Sicher werden Goris Konstantinos, Hamm, Michael Kuhr, Berlin, Sarhan Salman, Stuttgart oder auch Karl Otto Uebel aus Kempfeld noch ihr ganzes Können aufbieten. Sicher werden wir in dieser Klasse noch viele schöne Kämpfe sehen, aber wer soll uns auf der Weltmeisterschaft vertreten? Der 16. September muß uns darüber Aufschluß geben. Eine erfreuliche Mitteilung zum Schluß für alle Freunde der WAKO. Anläßlich einer Tagung bei der ersten Sommerschule auf Sylt, Ende Juni, konnte aufgrund der guten Situation der WAKO-Germany, der Jahresbeitrag auf DM 15,— herabgesetzt werden. Dies ist sicher ein großer Anreiz für unsere vielen Freunde, die Mitgliederzahl weiterhin beständig ansteigen zu lassen. Denn, was die WAKO in so kurzer Zeit bereits geschaffen hat, hat ihr nicht nur Achtung sondern auch eine Menge Vertrauen eingebracht.
Text: G. F. Brückner
Fotos: Bullmann