William Cheung, ein dirketer Schüler von Großmeister Yip Man, hat schon viele herausragende Schüler hervorgebracht, die zu angesehenen Sifus avancierten. In unserem Porträt stellen wir einen seiner besten Schüler, Rick Spain, vor, der sich anschickt auch in Europa die Lehren des Wing Chun zu unterrichten.

Seit gut 20 Jahren ist Rick Spain eine respektierte Figur in internationalen Kung Fu Kreisen. Der Sifu ist ein direkter Schüler von Gro?meister William Chueng und Ex-Weltmeister im Kung Fu Sparring. Nachdem er viele Jahre der regionale Leiter der World Wing Chung Association für Australien war, hat Spain kürzlich seine eigene Organisation gegründet, mit Niederlassungen sowohl in Australien als auch in Übersee. Wir trafen Rick Spain auf einem seiner Werbe-Seminare in Europa.
Untypische Entdeckung des Wing Chun
Wenn man einige Dekaden zurückgeht, so kann man sagen, daß Bruce Lee ohne Zweifel der berühmteste Wing Chung Fachmann war und derjenige, der den Stil berühmt machte. Anders als man erwarten würden, war es nicht der kleine Drachen, der Sifu Rick Spain damals in den 70ern mit Wing Chung in Berührung brachte, sondern zwei chinesische Kellner! Eines Tages sah der junge Australier zufällig zwei chinesische Kellner auf einem Platz hinter einem lokalen chinesischen Restaurant Wing Chung trainieren.
Klebende Hände faszinierten
Spain war sofort durch die Schönheit der Bewegungen und die komplizierten Blocktechniken der Klebenden Hände Drills gefangen. Zu diesem Zeitpunkt war Spain 15 und hatte bereits seit seinem zwölften Lebensjahr mit Kyokushin Karate sein Training der Kampfkünste begonnen. Rick war so begeistert von dem, was er gesehen hatte, daß er gleich am nächsten Tag seinen Karate-Unterricht aufgab und sich direkt nach einer Wing Chung Schule umsah. Nachdem er mehrere Lehrer ausprobiert hatte, landete Rick schließlich bei William Chueng. Letzterer war so beeindruckt von dem athletischen Talent und der echten Suche nach Wissen seines neuen jungen Schülers, daß er Rick als seinen persönlichen Nummer Eins Schüler „adoptierte“ (wie es in China üblich ist), um Rick darauf vorzubereiten, eines Tages ein würdiger Nachfolger des Großmeisters zu werden.
Sieben Jahre Training unter William Cheung
Rick trainierte und lebte in William Chuengs Schule, bis er 22 war, und zu dieser Zeit war Wing Chung für Sifu Spain nicht nur zu einem Sport, sondern zu einer Lebensart geworden. All die Jahre folgte Rick einem anstrengenden täglichen Programm von Trainingsstunden unter der Führung des Großmeisters, der den rauhen Diamanten langsam zu einem wertvollen Juwel formte. Das waren harte Zeiten; Spain stand häufig um 4 Uhr früh auf und begann seinen Tag mit Aufwärmübungen, Stretching und einem 15 km Lauf als Konditionstraining. Danach beendete er sein morgendliches Training mit Übungen mit schweren Taschen und hölzernen Dummies, um die Techniken zu beherrschen und seine Unterarme und Schienbeine zu stärken. Nach den harten Unterrichtsstunden beendete Sifu Spain seinen Tag immer mit einer Stunde Full Contact Sparring.
Es schein nicht überraschend, daß Rick sich schnell verbesserte, und 1982 war der Zeitpunkt, an dem alles zusammenkam. In diesem Jahr wurde ein gro?es Freistil Kung Fu Sparringturnier in Hongkong organisiert. Kung Fu, das aus einer großen Zahl verschiedener Stile besteht, ist international nicht so gut organisiert wie z.B. Karate oder Taekwondo. Dennoch waren 1982 die besten Kung Fu Kämpfer aller Stile aus über 30 Ländern nach Hongkong gekommen, um bei den sogenannten „Kung Fu World Championships“ gegeneinander anzutreten. Um es kurz zu machen, Sifu Spain gewann alle Kämpfe im Freistil Kung Fu Sparring und wurde zum Weltmeister des Full Contact Kung Fu Sparring gekürt. Wie erwähnt, ist Sifu Spain ein persönlicher Schüler von Großmeister Cheung. Der Präsident der World Wing Chung Kung Fu Association, William Cheung, ist nicht irgend jemand. Tatsächlich hat er die organisatorische Struktur der Stile in die Wege geleitet und war nach Bruce Lees Tod die treibende Kraft hinter ihrer Verbreitung über die ganze Welt.
Cheung lernte einst zusammen mit Bruce Lee
Großmeister Cheung hat zahlreiche Bücher und Videos über seine chinesische Kampfkunst veröffentlicht, und es ist nicht übertrieben zu sagen, daß der Mann heute weltweit eine führende Kapazität in Sachzen Wing Chung ist. Der Großmeister begann seine Ausbildung 1951 in Hongkong unter dem legendären Yip Man. Derselbe Lehrer unterrichtete auch den verstorbenen Bruce Lee in den feineren Punkten von Wing Chung. Tatsächlich trainierte Großmeister Chueng bis 1958 zusammen mit Bruce Lee unter der Führung Yip Mans.
Hohe Auszeichnungen in Amerika
Chueng erhielt 1983 den Preis als „Black Belt“ Hall of Fame Kung Fu Artist des Jahres und 1989 den des „Inside Kung Fu“ als Kung Fu Ausbilder des Jahres. Er ist außerdem im Guiness-Buch der Rekorde erwähnt für die Ausführung von 8,3 Schlägen in einer Sekunde. Letzteres ist nicht so sehr überraschend, da der traditionelle Wing Chung Stil sehr viel Betonung auf die Handtechniken legt, Kicks dagegen werden nicht sehr viel benutzt.
Neu: Wing Chun mit hohen Kicks
Die Philosophie des Kicking in Wing Chung basiert auf folgendem Punkt: Ein maximales Ergebnis soll mit einem Minimum an Risiko erzielt werden. Daher sind fast alle Kicks in Wing Chung niedrig und unterhalb der Taille. Obwohl Rick die Tradition sehr schätzt, ist er gleichzeitig der Meinung, daß kein System perfekt ist, und daß man immer für neue und andere Wege offen sein sollte. In einigen Situationen können kompliziertere und höhere Kicktechniken wirkungsvoll sein, und deshalb sollten diese Ricks Meinung nach auch den Wing Chung Schülern beigebracht werden. Aus diesem Grund fügte Rick, nachdem er die Zustimmung von Großmeister Cheung erhalten hatte, dem traditionellen Wing Chung Stil einige hohe Kicktechniken hinzu und machte ihn aus seiner Sicht dadurch vollständiger.
Seminare in Europa
Neben dem Unterrichten in seiner eigenen Schule verbringt Rick auch viel Zeit mit Reisen und Seminaren über Wing Chung und Ausbildung im allgemeinen, umso mehr seit er 1996 in Australien zum Kung Fu Lehrer des Jahres gewählt wurde. Ein sehr charakteristisches Merkmal von Spains Methode ist sein wissenschaftlicher Ansatz des Trainings. Immer auf der Suche nach neuen Wegen hat Rick über die Jahre die Ausbildungsschemen vieler Sportarten (auch nicht Kampfsport) studiert. Mit diesem Wissen hat der Sifu für verschiedene Magazine viele Artikel und Analysen über die wissenschaftlichen Aspekte der Kampfkunstausbildung im weitesten Sinne des Wortes geschrieben. Rick erklärt: „Wenn sie Ihre Schnelligkeit steigern möchten, warum dann nicht die Trainingsmethoden des schnellsten Mannes der Welt studieren: des olympischen Sprinters? Benutzen sie die Aspekte dieses Trainings, die auf die Kampfkunst anwendbar sind, und passen sie diese an ihr eigenes Schnelligkeitstraining an.“

Rick Spain integriert auch gesprungene Kicks
in sein eigenes Wing Chun System.
Technik geht über Kraft
Rick erklärt uns, da? der chinesische Name Wing Chung?wunderschöner Frühling“ bedeutet, und da? dies der Name eines Mädchens war. Der Einfluß dieser Frau ist in fast allen Wing Chung Techniken deutlich spürbar, und es ist kein Zufall, daß das Syste überhaupt nicht auf physischer Kraft, sondern nur auf Technik basiert. Tatsächlich ist Spain der Meinung, daß Wing Chung gar keine Kampfkunst ist, sondern ein stilvolles Selbstverteidigungssystem. Ein weiteres klares Merkmal von Wing Chung ist, daß Aktion und Reaktion eins sind; Blockieren und Gegenschlag sind eine fließende Bewegung, ohne Verlust von Zeit oder Energie. Wenn man Rick Spain in Aktion erlebt, bekommt man in der Tat den Eindruck, daß all seine Bewegungen in einen kontinuierlichen Fluß einer asiatischen, friedvollen Schönheit und Tiefe überzugehen scheinen. Wie Rick sagt: Wenn Sie Ihren Stil auf Kraft begründen, können Sie logischerweise nur schwächere oder bestenfalls gleichstarke Gegner besiegen. Durch Anwendung von Wing Chung, das auf Technik und nicht auf Kraft basiert, können sie im Prinzip jeden schlagen, unabhängig von der Stärke Ihres Gegners. Wing Chung lehrt sie, mit dem Fluß zu gehen, die Kraft und Aggression ihres Gegners gegen ihn selbst einzusetzen, sehr ähnlich, wie das in Systemen wie Aikido gemacht wird.

Dieses kurze Porträt erschien in der letzen Ausgabe der Kung Fu Revue im Dezember 1998. Autor: Kostas Argyriadis.