Schlagdistanz
auf Japanisch
Zweiter Weltkrieg: Während der letzten Monate des zweiten Weltkrieges bereiteten sich die Japaner auf ein letztes Aufbäumen gegen die Invasionstruppen der Amerikaner vor. Sie wußten, es ging um Leben und Tod. Jeder Mann, jede Frau und auch jedes Kind war bereit für den Kaiser und das Land zu sterben. Genau zu dieser Zeit begann der junge Takayuki Kubota mit dem Kampfsport.
„Mein Vater lehrte mich das Kendo und zeigte mir die Grundtechniken des Judo. Ich hatte keinen Anzug, nur einen Gürtel. Als der Krieg sich zum Nachteil von Japan wendete und die Invasion der Amerikaner unmittelbar bevorstand, lernten wir, Kämpfe um jeden Preis zu gewinnen.“
Terry Wilson porträtiert den ungewöhnlichen Lebenslauf des großen Meisters.
Kubotas Training begann bereits im Alter von fünf Jahren. Zwei Flüchtlinge aus Okinawa, die bei seiner Familie Unterschlupf suchten, unterrichteten ihn. Es waren Tokunaga-sensei und Terada-sensei, beide Kampfsportexperten des „to-te“. „Damals lernte ich nur um zu töten. Es gab keine Kunst dabei, keine Kata. Es waren hauptsächlich Schläge, nur wenige Kicks. Das Training der Handtechniken war sehr wichtig. Ich hielt lange, schwere und scharfe Felsstücke um einen stärkeren Tsuki (jap. für Faustschlag) zu bekommen. Ich schlug mit einem Hammer auf meine Hand um sie abzuhärten. Das gleiche machte ich mit meinen Füßen und mit meinen Schienbeinen. Über viele Stunden schlug und kickte ich gegen das Makiwara. Meine Hände und Beine wurden sehr stark und fest wie ein Felsen. Sie wurden zu tödlichen Waffen, die nur darauf abgerichtet waren, amerikanische Soldaten umzubringen. Uns wurde gesagt, daß wir bei einem Kampf den Gegner töten mußten oder er würde uns töten. Deshalb haben wir so hart trainiert.“
Mit 13 Jahren auf dem Weg nach Tokio
Glücklicherweise endete der Krieg ohne eine Invasion und Kubotas tödlicher Schlag fand niemals ein Ziel im Zorn. Obwohl die Zielsetzung für sein Training verschwunden war, freundete er sich mit dem Karate weiter an. Nach dem Krieg verschlug es den erst 13jährigen nach Tokio. Dort wollte er weiteren Unterricht nehmen. Zu seinem Mißfallen mußte er feststellen, daß Tokio nach dem Krieg durch Zerstörung und Armut gezeichnet war. „In Tokio herrschte ein riesiges Durcheinander. Überall waren amerikanische Soldaten, nur wenige Japaner. Essen war sehr rar. Ich mußte vor Sonnenaufgang aufstehen um bei der Brotausgabe in der Schlange zu stehen. Viele Leute waren obdachlos, es war schwierig zu überleben.“
Training für japanische Polizisten
Kubota begann in der örtlichen Kampfkunstzentrale zu arbeiten. Sein Wissenshunger war immens. Zufällig konnte er unter Großmeister Kanken Toyama, dem Träger des zehnten Meistergrades (Begründer des Toyama-ryu Bojutsu) trainieren. Danach studierte er viele unterschiedliche Stile, erreichte Schwarz-gurtgraduierungen im Karate, Judo, Aikido, Kendo, Taihi-jitsu und Giya-kute-jitsu. Unter den zahlreichen Kampfsportmeistern, die er zu dieser Zeit kennenlernte, gehörte auch der legendäre Mas Oyama, der bekannt dadurch wurde, daß er Bullen mit bloßen Händen töten konnte und unvorstellbare Bruchtest durchführte. „Mr. Oyama war total in den Kampfsport vernarrt. Wir verstanden uns echt gut. Wir tauschten Ideen über Abhärtungstechniken am Makiwara aus. Eines Tages erzählte er mir, daß er meine Hand für eines seiner Bücher haben wollte. Ich stimmte zu. So, in einem seiner Kyokushinkai Bücher gibt es ein Foto meiner Hand.“
Baton-Techniken für die Polizei in Tokio
Irgendwann pausierte Kubota für eine Weile. Er traf einen Polizisten in Tokio, mit dem er eine Freundschaft aufbaute. „Detective Karino ist bis heute ein guter Freund geblieben. Er zeigte mir das erste richtige Dojo. Er war es auch, der mir half Leute zu finden, denen ich Baton-Techniken lehrte.“ Zu dieser Zeit hatte der junge Kubota bereits seit vielen Jahren mit dem Baton, einer kurzen Stockwaffe, geübt. Als die Polizisten seine Techniken sahen, waren sie begeistert. Sie tauschten ihre Kenntnisse aus, wodurch Kubotas Grundlage für seine heute so bekannten Baton Techniken gelegt wurden.
Erster Lehrauftrag
Mit 19 Jahren erhielt Kubota den Auftrag, die Polizei von Kamata zu trainieren und in den Kampf-künsten zu unterrichten. Seine Spezialtechniken dieser Zeit stellten den Grundstein für seinen eigenen Stil dar. „Ich zeigte ihnen, wie sie sehr hart und sehr schnell zuschlagen konnten. Das ist Gosoku Ryu, mein Stil des hart und fest. Es ist ganz einfach zu gewinnen, man muß nur schnell und hart zuschlagen.“
Er ging zusammen mit den Polizisten auf Streife. Auf die Frage, ob er seine Techniken in echten Notfallsitua- tionen unter Beweis stellen mußte, zieht er sein Gi-Oberteil hoch: „Schauen sie her (zeigt dabei auf einige Narben). Das ist von einem Messer. Hier ist eine Einschußstelle, die ich mir bei meiner Arbeit als verdeckter Ermittler eingefangen habe. Es war eine verdammt gefährliche Arbeit.“ Seine Kampfkünste haben Kubota im Kampf gegen den japanischen Mob, Yakuza, am Leben gehalten. Trotz ihrer Expertise im Messerkampf konnten die Gangster Tak Kubota nicht ins Jenseits befördern.
Gosoku Ryu gleich hart und schnell
„Ich habe in jedem Gebiet mit hoher Kriminalität meinen Dienst verrichtet. Dadurch habe ich meinen Stil „hart-schnell“ perfektioniert. Meine Gegner waren oft mit einem Messer oder einer Schußwaffe bewaffnet. Einmal hat mich ein Gangster mit einem Messer angegriffen. Anstatt seinem Angriff auszuweichen, habe ich die Klinge seiner Waffe ergriffen und sie so festgehalten, daß er mich damit nicht schneiden konnte. Dann habe ich ihn schnell und hart mit einem Fausthieb außer Gefecht gesetzt.“
Ein hochrangiger Polizist hat diese Begebenheit als Augenzeuge verfolgt. Er konnte erst gar nicht glauben, was er da gesehen hatte. Er setzte sich sofort dafür ein, daß Kubota zum Trainer der Polizei von Tokio bestellt wurde.
Aufbruch nach Amerika
1958 wanderte Kubota in die Vereinigten Staaten aus. Er ließ sich in Los Angeles, Kalifornien, nieder, wo er schnell als Ausbilder in Militärbasen und Polizeistationen Verwendung fand. 1964 erregte er zum ersten Mal nationales Interesse durch eine Vorführung bei der ersten Auflage des Karate Turniers von Ed Parker, den Internationals in Long Beach. Verantwortliche der Polizei von Los Angeles zeigten sich davon besonders begeistert und engagierten Kubota von der Stelle weg als neuen Ausbilder. Neben seinen Handtechniken begeisterten sie sich vor allem für seine Kunst mit Waffen umzugehen. Hier lernte der Meister seine Fertigkeiten aus dem kriegerischen Japan an die Vorschriften der Exekutive anzupassen. Er schuf eine Reihe von Technikkombinationen mit dem Baton und Schlagstock, die unter den Officern sehr beliebt wurden.
Neuer Gebrauch für antike Waffen
Durch den meisterlichen Umgang mit dem Tonfa, einer Waffe aus dem alten Okinawa, inspiriert veränderte die Polizei von Los Angeles in Zusammenarbeit mit dem Großmeister ihre Spezialwaffe PR-24, mit der amerikanische Polizisten gegen Messerstecher vorgehen. Auch andere Polizeireviere machten sich damit vertraut und so findet man das PR-24 heute als Standardausrüstung bei jeden Polizisten in den Vereinigten Staaten von Amerika. „Ich habe sehr vielen Polizisten den Umgang mit dem PR-24 gezeigt. Es ist sehr effektiv, wenn man einen Schlag blocken will oder sich gegen ein Messer verteidigen muß. Um seine Möglichkeiten voll auszunutzen braucht man ein gutes Timing. Es ist nicht nötig, daß man es sehr schnell bewegt. Das Timing ist wichtiger, denn man schlägt damit zurück, richtig, nicht etwa nur zum zurückstoßen einer Person. Man setzt es ein wie eine Faust zum Hieb. Man muß es kraftvoll und zum richtigen Zeitpunkt einsetzten,“ erklärt Kubota den einfachen Umgang mit seiner Wunderwaffe.
Spezialwaffemit Teleskop
Um vor allem kampfsporterfahrene Angreifer zu bekämpfen hat Kubota zusammen mit einem Freund eine neue Form für das PR-24 entwickelt. Das neue Design ist fast identisch mit dem alten, jedoch läßt sich durch die längere Form ein größerer Abstand zum Gegner einhalten. „Meine neue Variante hat eine 65 cm lange Verlängerung,“ erklärt er, während er die Waffe blitzschnell vorführt. „Schauen sie, das wird jeden überraschen!“
Kubotan – die kleine Waffe mit großer Wirkung
Eine andere Waffe, durch die Großmeister Kubota weltbekannt wurde, ist das Kubotan, ein kurzer Stab, der am Schlüsselbund befestigt wird. Diese Waffe wird heute weltweit durch Budohändler vertrieben. Durch den richtigen Umgang wird diese Miniwaffe zu einer mächtigen Bedrohung für jeden Aggressor.
Der Unterschied zwischen Japan, Europa und den USA
Der Ruhm von Großmeister Tak Kubota wächst seit vielen Jahren, ebenso sein Wissensstand. Unter seinen Schülern zählte er viele Prominente wie z.B. den Schauspieler Charles Bronson und den Oskarpreisträger Stirling Silliphant, ein Drehbuchautor, der als Mentor von Bruce Lee bekannt wurde. Trotz der bekannten Namen hat Kubota am meisten das Training mit unterschiedlichen Polizeieinheiten gereizt. Natürlich gab es für ihn Unterschiede zwischen dem, was in Japan üblich war, und dem, was in anderen Ländern als legal betrachtet wurde, zu überwinden. „Eine Technik, über die man in Japan nicht mehr als einmal nachdenkt, kann in Amerika oder Frankreich zu großen Problemen führen! Es gibt einen großen Unterschied zwischen der Selbstverteidigung, die man einem normalen Schüler beibringt, und der Selbstverteidigung, die ein Polizist erlernt. Polizisten müssen sich an bestimmte Regeln halten. Einige dürfen bestimmte Schläge nicht ausführen, teilweise dürfen sie auch nicht kicken. Viele Würgetechniken sind verboten. Aufgrund dieser Einschränkungen versuche ich meinen Schülern beizubringen, wie sie Auseinandersetzungen kontrollieren können ohne tödliche Schläge einzusetzen.“
Selbstverteidigungüsselbund
Kubota wird mit der rechten Hand am Kragen gepackt (1-2). Er hält das Kubotan in der rechten Hand, ergreift mit der linken Hand das Handgelenk des Gegners (2), und schwingt dreimal den Schlüsselbund gegen den Kopf des Angreifers (3-5). Besonders wirkungsvoll ist es, wenn man gegen die Ohren schlägt. Wichtig: das Handgelenk des Gegners festhalten, damit dieser nicht entkommen kann.
Wieder wird Kubota mit der rechten Hand am Kragen gepackt. Mit der rechten Hand schlägt er mit dem Kubotan schnell und hart zur Brust (1), damit der Gegner losläßt. Er ergreift die Hand, und setzt mit dem Kubotan einen Hebel an (2). Wichtig hierbei ist die richtige Haltung der Daumen (3). Jetzt zieht er den Gegner zu Boden (4-5) und hebelt gegen Hand, Arm und Schulter bis der Gegner aufgibt.
Der Beitrag von Terry Wilson wurde in der Ausgabe 10 / 1998 veröffentlicht.