Der Anfang der Kata
von Hiroki Otsuka
Der japanische Großmeister Hiroki Otsuka zählt zu den ganz großen historischen Meistern des traditionellen Karate. Bereits mit sechs Jahren begann der 1892 geborene Otsuka mit dem Jiu Jitsu, trainierte unter Meister Nakayama Yoshin Ryu und lernte spКter vom berühmten Shotokan-Begründer Gichin Funakoshi. 1934 machte Otsuka sich mit seiner eigenen Karate Interpretation, Wado Ryu, selbstständig. Wichtiger Bestandteil seines defensiven Systems war das Meiden gegnerischer Angriffe. Kata wurde in diesem Stil zu einem wichtigen Trainingsinstrument. Otsuka stellte schon damals fest: Qualität ist wichtiger als Quantität. Aus seinen historischen Aufzeichnungen erfahren wir mehr über seine Ansichten und seine Trainingsweise.
Pin-an
Zuerst habe ich die Pin-an Kata eingeführt. Es gibt viele Katas, die weder Namen noch einen Ursprung haben. Das liegt daran, daß sie einst geheim und esoterisch waren. In Japan wurden die Kampfkünste von Mund zu Mund weitergegeben, weil man befürchtete, daß viele Leute das Karate in aller Öffentlichkeit mißbrauchen würden. Auf Okinawa, wo Waffen verboten waren, wurde Karate nur geheim trainiert. Daher wurden nur wenige Texte überliefert. Pin-an beginnt mit Shodan und geht weiter bis Go-dan. In den späten Jahren der Meiji Ära wurde Karate bekannter, obwohl man von einem Karateexperten Ing Shu Ho sagte, daß er die Pin-an erfunden hatte. Auf Okinawa gab es etwas ähnliches, das man „Chan-an“ nannte, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Natürlich gibt es einige Abweichungen der Form von Okinawa. Wie auch immer, was ich zeigen will, sind Bewegungen die ich aus meiner eigenen Erfahrung und aus meinem Wissen heraus ausgeführt habe.
Von den fünf Pin-an Katas, ist die Ni-dan relativ einfach. Dennoch legt sie der Grundstein für das Training. Es gibt Leute, die Pin-an als „Hei-an“ aussprechen und Ni-dan als „Sho-dan“ und anders herum. Das spielt hier jedoch keine Rolle, eine Abweichung ist unausweichlich. Nach Pin-an fährt man gewöhnlich mit Kushanku fort. Das war der Zuname eines reichen Mannes, der vor rund 220 Jahren lebte. Die Kata ist sehr ähnlich der Pin-an. Man sagt, daß sie so stark ähnelt, daß die Pin-an Kata vielleicht sogar von ihr abstammt. Hier stellt man sich vor, daß der Gegner direkt vor oder hinter einem steht oder von der Seite angreift.
Dann folgt Naihanchi. Ihren Stand gibt es in den Kampfstilen Japans eigentlich gar nicht. Die bekanntesten Stile nehmen heute den Shimata-dachi Stand aus dem Sumo Ringen. Natürlich war es in Wirklichkeit ein Stand für das Karate und nicht für das Ringen. Der einzige Anlaß, einen Schritt auszuführen, war, sich von einer Seite zur anderen zu bewegen. Man erhielt dies wahrscheinlich von Ing Shum, der seinen riesigen Körper bewegen mußte. Wenn jemand den Shimata-dachi Stand anstelle des Naihanchi-Standes ausführt, dann ignoriert er jedoch die wichtigen Fundamente der Kata. Der Shimata-dachi Stand gehört ins Sumo, nicht ins Karate.
Jede Technik hat einen ganz bestimmten Zweck. Ich persönlich bevorzuge Naihanchi. Es ist nichts fürs Auge und es ist sehr schwierig anzuwenden. Es wird immer schwieriger, je länger man es übt. Es ergibt jedoch einen tieferen Sinn. Es ist grundlegend für jede Bewegung, die eine Reaktion benötigt. Einige Leute mögen meine Meinung als verrückt betrachten, aber ich ziehe dies allen anderen Varianten vor. Es gibt drei weitere Katas, Shodan, Ni-dan und San-dan, von denen die letzten beiden nahezu nutzlos sind. Nach Naihianchi folgt man gewöhnlich mit Sei-shan, was Bewegungen in alle Richtungen erfordert. Später wird es unabdinglich Chinto in das Training einzubeziehen. Wer Chinto vollständig beherrscht findet hier seinen Endpunkt. Alle anderen Katas sind lediglich Schritte („sleeping Stones“) auf dem Weg zu Chinto. In meinen Bewegungen kenne ich nur neun Kata. Es ist falsch, zu glauben, daß man ein Meister wird, wenn man soviele Kata wie möglich beherrscht. In den alten Tagen kannte man nur ein oder zwei, höchstens drei Kata. Dabei ist es eine schwierige Aufgabe allein eine Kata richtig und effizient zu meistern. Man muß wissen, daß es mehr auf die Qualität als auf die Quantität ankommt, egal welche Kata man ausführt.
Jede einzelne Bewegung einer Kata wurde erschaffen um ohne einen Gegner üben zu können, dennoch sollten die Schritte in ihrer Gesamtheit verstanden werden und nicht nur als einzelne, aneinandergefügte Bewegungen. Die wichtigste Grundlage ist dabei, nicht das Gleichgewicht zu verlieren, das der Körper besitzt, wenn man einem Fußstoß vom Gegner zurückzieht. Beim Üben muß man stets darauf achten, sich seinen Gegner vorzustellen und sich an den Zweck der Bewegungen zu erinnern.
Kata ist etwas Lebendiges nichts Totes. Man muß es ständig im Kopf behalten, daß Kata lebendig ist. Eine tote Kata ist nutzlos. Nach einer bestimmten Zeit fließt man von einer Kata zu nächsten, so daß man ein Gefühl für die Bewegung erfährt und alles besser versteht. Z.B. die Bewegung Nummer acht der Pin-an San-dan. Der Shuto verliert sein Gefühl, weil er manchmal zu schnell in die nächste Bewegungen gleitet und man dazu neigt die Arme schneller zu öffnen um besser vorbereitet zu sein. Außerdem sollte man auf keinen Fall nachdenken müssen, was vorher war oder danach kommt – alle Bewegungen zusammen machen eine Kata zum Ganzen. Es gibt natürlich ein paar kontinuierliche Kombinationen (z.B. die Bewegungen acht und zwölf der Pin-an Go-Dan) auf die das nicht zutrifft. Nichtsdestotrotz, muß man alle Techniken korrekt ausführen. Stelle dir einen Gegner vor und übe solange bis du nicht mehr haderst und sich der Fluß einstellt. Einfach gesagt: um Kata zu meistern muß man trainieren und immer wieder trainieren.
Kushan-Ku
Diese Kata wurde vor 200 Jahren von einem Mann namens Kushanku begründet. Heute kennt man unterschiedliche Interpretationen. Bei dieser Kata wird der Körper nach vorne, hinten und zu beiden Seiten gedreht, dabei werden Hand- und Fußtechniken ausgeführt. In gewissem Sinne ähnelt sie der Pinan. Sobald man Pinan beherrscht, macht es Sinn diese Kata als nächstes zu üben. Man muß in der Lage sein, den Körper leicht in alle Richtungen zu drehen. Jede einzelne Bewegung muß stimmen um schnell ausgeführt zu werden. Die Drehungen sind das Wichtigste.
Naihanchi
Der Naihanchi-Stand existiert nicht in den japanischen Stilen, dennoch ist er legitim und effektiv. Die Grundlagen sind klar, doch die Kontrolle ist sehr schwierig. Es heißt nicht umsonst, daß es mehr als ein Leben dauern kann, bis diese Kata komplett beherrscht wird. Naihanchi beinhaltet Shodan, Nidan und Sandan, aber es genügt, wenn man Shodan intensiv übt. Es gibt zahlreiche Abweichungen und Interpretationen dieser Form abhängig vom Meister, bei dem trainiert wird. Naihanchi im Wado stammt vom Ryu Ryu, was heute in Japan sehr ungewöhnlich ist. Selbst im Ryu Ryu benutzen nur wenige diese Kata, was daher kommt, daß sie nicht sehr schön aussieht. Wie auch immer, sogar heute gibt es einige Katas, die bestimmte Bewegungen aus dieser Form adaptiert haben.
Es heißt, daß Naihanchi von einem Ryu Ryu Meister namens Kibe Choki gelehrt wurde. Ich habe etwas hinzugefügt und abgewandelt, denn Kibe war sehr konservativ, er wollte alles unverändert lassen. Ich halte dieses Format für gültig. Von Naihanchi sollte man zu Seishan und dann weiter zu Chinto fortfahren um die ehrenwerten japanischen Kampfkünste zu praktizieren.
Beginne mit Pinan, Kushanku, Seishan und ende mit Chinto.
Dieser Artikel ist ein Exzerpt aus „Wado Ryu Karate“, einem Buch das von Wado Ryu Begründer Hiroki Otsuka geschrieben wurde. Es ist der dritte Band einer streng limitierten Auflage von Übersetzungen aus dem Japanischen ins Englische des kanadischen Verlages Master Publications. Der erste Band ist „To-Te Jitsu“ von Gichin Funakoshi gefolgt von „Okinawan Kempo von Choki Motubo. 1998 folgt ein vierter Band „Goju Ryu Karate Do Kyohan“ von Gogen „The Cat“ Yamaguchi. Mit 1.200 Zeichnungen wird es in zwei Bänden mit einem exklusiven Schuber ausgeliefert. Weitere Informationen zu den Büchern erhält man im Internet. Weiterführende Beschreibungen Otsukas und des Wado Ryu: Die großen japanischen Karate- und Kobudomeister, Werner Lind, Sensei Verlag, 1992, Kernen.)
Dieser Artikel erschien in der letzten KICK Ausgabe Anfang 1998. Don Warrener’s Master Publications veröffentlicht den folgenden Download: Wado’s Otsuka.