Judo-Meister Gene LeBell im Kampf des Jahrhunderts
Lange bevor die Ultimate Fighting Championships die Gracies zu einem alltäglichen Begriff in der Welt des Bodenkampfes machten, gab es einen Wettbewerb, der einen national ausgezeichneten Schwergewichtsboxer und einen Weltklasse- Judokämpfer gegenüberstellte. Der Boxer war der Ranglisten-Dritte Milo Savage, der Judomeister war „Judo“ Gene LeBell. Die Herausforderung: 1962, Salt Lake City, Utah. „Ich kann jeden Kampfsportler in der Welt schlagen,“ behauptete der Schwer-gewichtsmeister Milo Savage vor einer Gruppe von Karate-Schülern. Der Schwarzgurtausbilder nahm Anstoß an dem angeberischen Gerede und forderte den Schwergewichtsmeister heraus. Mit einem Schlag brach der mächtige Kämpfer den Kiefer des Karatakas, so daß dieser im Krankenhaus behandelt werden mußte.
Auf diesen Vorfall folgte ein Artikel mit der Überschrift „Judo Bums“ in „Rogue“, einem nationalen Männermagazin. Der Autor Jim Beck drückte seine Verachtung für die Kampfkunst im allgemeinen aus, und er schrieb besonders negativ über Judo, meinte, sie seien „Sissies“ und könnten mit einem Sport für echte Männer, wie Boxen, nicht mithalten. Er schrieb, daß jeder Boxer einen Judomann schlagen könnte und bestärkte seine Behauptung mit einem Angebot von 1.000 Dollar für jeden Judoka, der einen ausgebildeten Boxer schlagen könnte.
Für 1.000 Dollar stieg Gene in den Ring
„Als ich über Becks Herausforderung las, klang das für mich ziemlich gut,“ erinnert sich Judo-Superstar Gene LeBell. „1.000 Dollar waren damals verdammt viel Geld, und außerdem mochte ich die Einstellung dieses Burschen nicht.“ Gene nahm die Herausforderung an. Es wurde beschlossen, daß er gegen Beck kämpfen würde, den Autor der Artikels, der Judo kritisierte. Beck war selbst ein ziemlich guter Boxer. Er schien nicht begeistert darüber, daß sein Angebot so schnell angenommen worden war, aber die Herausforderung war gestellt und beantwortet worden, also war alles, was er nun tun konnte, einige Regeln aufzustellen.
Regeln und Gegner ändern sich
Beck stimmte zu, ein Judo Gi, Boxershorts und -schuhe zu tragen. Als zusätzlicher Anreiz wurde es dem Boxer erlaubt, Speed-Bag-Handschuhe anstelle der üblichen schwereren Boxhandschuhe zu tragen. Die Regeln der National Boxing Association sollten nicht gelten. Der Boxer konnte schlagen, aber nicht treten. Es sollte ein 10-Runden-Kampf werden, und ein Sieger würde deklariert werden, wenn einer der Männer für 10 Sekunden handlungsunfähig oder k.o. war. Gene würde auch einen regulären Judo Gi tragen, aber keine Schuhe oder Handschuhe. Mit diesen Regeln hatte jeder der Männer eine faire Chance, seine indivduellen Fertigkeiten im Ring anzuwenden.
Auf‘s Kreuz gelegt
„Ich sollte also gegen diesen Jim Beck kämpfen, der, wie man mir sagte, ein ziemlich guter Boxer war. Aber als ich nach Salt Lake City kam, fand ich heraus, daß ich gegen Milo Savage kämpfen würde,“ sagt LeBell. „Sie brachten einen Ringer herein. Savage hatte viel Aufmerksamkeit erregt, weil er den Kiefer eines Karateausbilders zertrümmert hatte, also dachten sie, er könnte mich ohne die geringste Anstrengung ausschalten.“ Savage hatte gerade seine sechs letzten Kämpfe durch Knockout gewonnen, den KO in der Karateschule in Utah nicht mitgezählt. „Einen der großen Berichte über diesen Kampf gab es in der Nacht, bevor ich mit Savage in den Ring ging,“ erinnert sich LeBell. „Da war dieser Sportreporter, der mich für seinen Fernsehsender interviewte. Natürlich wollte ich für den Kampf werben, also sprach ich, als er mich fragte, was ich gegen Savage tun würde, über meinen Spielplan. Über den Sender erzählte ich, daß ich einige Schläge und Tritte anwenden wollte, um ihn für meine Judowürfe und submission holds vorzubereiten.
Laute Sprüche vernichten Genes Taktik
„Nun, am nächsten Tag dann verboten sie eine Menge von dem, was ich anzuwenden geplant hatte, aber zu dem Zeitpunkt wußte ich noch nichts davon. Der Reporter fragte mich dann, wie ich Savage auf die Matte bekommen könnte, wo das doch noch niemandem vorher gelungen war. Ich wollte dem Reporter eine gute Show geben, also begann ich mich wie ein Verrücker aufzuführen und sagte: ´Ich werde ihn packen, ihn über meinen Kopf heben, ihn in den Boden rammen und ihn dann würgen.´ Der Reporter sagte, ´Zeigen Sie mir das.´ Also packte ich den Burschen und nahm ihn in den Würgegriff. Er ließ das Mikrofon fallen und ging aus wie ein Licht. Ich nahm das Mikrofon, er lag da wie in tiefem Schlaf, und ich beendete die Show für ihn.“
Gene für die Niederlage vorbereiten
Der Kampf war vollständig ausverkauft, ein Raum nur mit Stehplätzen, als der Boxer Milo Savage und Judomeister Gene LeBell den Ring betraten. Savage trug eine engsitzende Karatejacke, was nicht der vorangegangenen Vereinbarung entsprach. Es sollte ein Verlierer-Judo-Gi sein. Diese enganliegende Uniform würde LeBell ernsthaft daran hindern, viele seiner bevorzugten Techniken anwenden zu können. „Er hatte auch Messingknöchel unter seinen Handschuhen,“ erinnert sich LeBell. „Ich habe damals mit einer verrenkten linken Schulter gekämpft, und dieser Bursche traf wirklich hart, so daß ich sehr aufpassen mußte, daß ich nicht getroffen wurde.“ Was Savage unter dem Leder hatte, war eine Metallplatte, die seine Hand von den Knöcheln bis zum Handgelenk bedeckte. Gekoppelt mit der Schlagkraft von Savage war das eine potentiell tödliche Waffe. „Sie änderten auch die Runden,“ sagte LeBell. „Es sollte ein 10-Runden-Kampf sein, aber sie änderten das in ein unbegrenztes Ende. Die einzige Weg zu gewinnen war, daß der Verlierer bewußtlos war.“
„Judo Gene“ war jedoch begierig, die Tauglichkeit der Kampfkunst zu beweisen und stimmte trotz all der Änderungen zu, den Kampf weiterzuführen. Um seine verletzte Schulter zu schützen, war LeBell in der ersten Runde sehr vorsichtig. Savage versuchte einige linke Gerade, aber keine traf. Als LeBell versuchte, den Boxer zu Fall zu bringen, war der Judoka überrascht festzustellen, daß Savage wohl eine Anleitung in Judoverteidigung erhalten hatte. Savage umging einige von LeBells Versuchen, ihn zu werfen, indem er ein Jigoti, eine niedere, geduckte Haltung einnahm. Einmal versuchte der Boxer sogar, den Judomeister zu fegen.
„Der Mann war ein guter Kämpfer,“ sagt LeBell. „Und ich mußte vorsichtig sein und vermeiden, mit diesen mit Blei ausgeschlagenen Hand-schuhen, die er trug, getroffen zu werden. In Runde zwei gelang es mir, ihn zu werfen und mich auf ihn zu setzen, aber die Glocke ertönte, bevor ich einen Hebel anwenden konnte. Das war das erste Mal, daß Savage jemals zu Boden gegangen war.“ Auf die Matte gelegt worden zu sein, machte den Boxer in der nächsten Runde sehr vorsichtig. Weil Savage so stark war und nicht gewillt, sich LeBell zu nähern, kam er durch die 3. Runde.
Die Runde, die Kampfkunstgeschichte machte
Savage begann die 4. Runde, indem er sich gegen das Seil lehnte, wodurch er LeBell ermutigte zu kommen und anzugreifen. Dies erwies sich als großer Fehler, denn „Judo Gene“ nahm die Gelegenheit wahr. LeBell schlüpfte unter die linken Geraden von Savage und führte ein explosives Makikomi Haraigoshi aus. In nicht-Judo-Worten, LeBell wickelte seine beiden Arme über Savages rechten Arm, drehte 180 Grad nach links, während er mit seinem eigenen rechten Bein außen an Savages rechtem Bein vorbeifuhr. Sobald Savage auf der Matte war, wendete LeBell einen Würgegriff an, der Boxer wurde bewußtlos, und die Kampftgeschichte war geschrieben. Die Zeitungsüberschriften lauteten: „Judo Gene zähmt die Bestie Savage.“
Der Kampf nach dem Kampf
„Direkt nach dem Kampf brach ein Aufruhr aus,“ sagt LeBell. Die Menge war sehr wütend. Schließlich hatte ich gerade den lokalen Meister geschlagen. Wir mußten uns aus der Stadt schleichen. Aber das war es wert. Ich machte eine Menge Geld und lieferte den Beweis für die Wirksamkeit der Kampfkünste.“
Historische Bedeutung
Steve Uhrig, Geschäftsführer von Gene LeBells Grappling World, faßt den Kampf und seine Bedeutung für uns alle, die ein Gi tragen, zusammen. „34 Jahre später demonstriert ´Judo´ Gene LeBell immer noch die Überlegenheit seines Systems. Ringen hat in letzter Zeit mehr Respekt gewonnen, und die Vorteile des Cross-Training werden immer offensichtlicher. Mit der über die Jahre wachsenden Popularität des Bodenkampfes gibt es ein Who´s Who der Großen der Kampfkunst, die das Grappling praktizierten, einschließlich Bruce Lee, Chuck Norris, Benny Urquidez, Hayward Nishioka, Gokor Chivichyan und Oleg Taktarov, um nur einige zu nennen. Einfach gesagt, Gene LeBell hat uns allen den Weg geebnet. Er tat es zuerst und er tat es am besten.“ Dieser unglaubliche Kampf wurde auf 16 mm Film aufgenommen und Dank der Wunder der modernen Technik vollständig wiederhergestellt und ist nun auf Videoband verfügbar. Er kostet 20 $ plus Versand. Der Kampf des Jahrhunderts kann über die E-mail-Adresse Glebell@aol.com bestellt werden.
Der Artikel erschien in der letzten Ausgabe der Zeitschrift Kung Fu Revue im Herbst 1998. Text und Fotos: Terry Wilson.
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