Sugar Ray Leonard – Bruce Lee’s Leibhaftige Seele

Bruce Lee vs. Sugar Ray Leonard Bruce Lee und Ray Leonard beherrschten ihre Kampftechniken in purer Perfektion.

„Im Boxring wollte ich tun, was Bruce Lee im Film vollbracht hat,“ sagt Sugar Ray Leonard, einer der größten Boxsportler aller Zeiten. In dieser exklusiven Story enthüllt der 5-fache Profi-Weltmeister, wie der König des Kung Fu seine Karriere und seinen Kampfstil beeinflußt hat.
Wird es ihm bei seinem großen Comeback im Februar 1997 gegen Hector „Macho“ Camacho helfen, trotz seiner 40 Jahre, als Sieger aus dem Ring zu steigen?

Bruce Lee vs. Sugar Ray Leonard
Bruce Lee und Ray Leonard beherrschten ihre Kampftechniken in purer Perfektion.

Vor seinem ersten Rücktritt 1982 war er der größte Zuschauermagnet im bezahlten Faustkampf. 37 Millionen US-Dollar strich er bis dahin als Kampfbörsen ein. Ein unvergleichlicher Kampfstil von Sugar Ray Leonard machte es möglich, daß erstmals im Weltergewicht (ca. 67 Kg) Millionengagen gezahlt wurde. 1987 feierte Sugar Ray seinen bislang größten Erfolg, als er den unschlagbar scheinenden Mittelgewichtsweltmeister Marvelous Marvin Hagler nach einer spannenden Vorstellung in Las Vegas entthronte. Allein für diesen Kampf soll er 12 Millionen US-Dollar erhalten haben.

Reflexe einer Raubkatze
Mit den Reflexen ein Raubkatze und der Geschwindigkeit ein Peitsche beeindruckte der 1,80 m große Weltergewichtskämpfer die Massen. Er ist einer der ganz wenigen Kämpfer, die nicht nur ungemein schnell schlagen können, sondern auch hohe Aufschlagkräfte entwickelt. Sein Vorbild war Bruce Lee. „Lee war ein Artist,“ erklärte er 1982 in einem für das US-Herrenmagazin Playboy. „Ich liebe ihn. Ich versuche in meinem Sport über das Übliche hinaus zu gehen. Ich will, das meine Kämpfe wie ein Schauspiel aussehen, mit einem Anfang, einer Mitte und dem Ende.“

Karriere mit Traumbörsen
Leonard erreichte als Amateur einen Kampfrekord von 155 Sie-gen gegenüber nur fünf Nieder-lagen bevor er 1976 in Montreal an den Olympischen Spielen teilnahm. Er gewann die Goldme-daille und wechselte ins Profilager über. Seine Karriere liest sich wie ein Märchenbuch. Als Profi erlitt er nur zwei Niederlagen, gegen Roberto Duran, den er in zwei Rückkämpfen besiegen konnte und gegen Terry Norris, seinen bislang letzten Kampf, 1991. Das Gesamteinkommen aus Leonards Kämpfen schätzt man auf knapp 80 Millionen Dollar. Er ist damit der Bestverdiener unter den Nicht-Schwergewichtlern.

Connection zu Bruce Lee
Es ist die Verbindung zu Bruce Lee, die uns an dieser Stelle besonders interessiert. Wir haben Rick Mandris, den früheren Assistenten des legendären Boxtrainers Angelo Dundee (u.a. M. Ali) angeheuert, um diese Story zu recherchieren. Es stellte sich heraus, daß Leonard im wahren Leben ebenso unnahbar ist wie im Ring. Es dauerte gut acht Monate bis Mandris ein Interview mit Leonard im Kasten hatte, und das, obwohl er ein Bekannter des Boxidols ist. Wir glauben, daß die Einzigartigkeit der Geschichte das Warten wert war.

Bruce Lee gegen Chuck Norris
Die Kampfszenen in „Die Rückkehr der Todeskralle“ zwischen Bruce Lee (li.) und Chuck Norris beeindruckten Sugar Ray Leonard so stark, daß er Bewegungen Lees im Boxring umsetzen wollte.

Todeskralle beeindruckt Leonard
1974 nahm Leonard Lee das erste Mal in Augenschein. Er sah „Die Rückkehr der Todeskralle,“ in dem die zur Legende gewordenen Kampfszenen mit Chuck Norris im Colloseum von Rom zu sehen sind. „Ich sage euch,“ erklärt Leonard, „ich war entzückt von dem, was ich sah. Ich bewunderte die Bewegungen von Bruce, seine Einstellung und die wissenschaftlich korrekten Techniken, die er ausführte. Ich wollte ihn nachmachen. Ich wollte im Boxring tun, was er im Film vollbrachte.“
Das ist genau das, was Leonard beim Boxen versuchte. Er setzte im Ring um, was Bruce Lee in seinen Szenen zum Helden wachsen ließ. Mit einem großen Unterschied natürlich: Lees Szenen waren choreographiert, Leonard mußte sich blitzschnell auf Kampfsituationen einstellen. Mit der Nachahmung von Lees Artistik hätte es ihm in einem Boxkampf schnell den Kopf kosten können. Andererseits war er ebenso wie sein großes Vorbild ein talentierter Kämpfer, der es sich leisten konnte, selbstmörderische Aktionen zu vollbringen, ohne daß ein Gegner ihm dabei gefährlich werden konnte. Selbst der berüchtigte Panamese Roberto Duran, seiner Zeit ein gefürchteter Schläger – Kritiker sagen: „Ein legaler Killer, den die Gesellschaft nur im Ring duldet“ – konnte Leonard nicht in die Knie zwingen.

Kopierte Lees Kampfstil
Sugar Ray gibt zu, daß er Lees Kampfstil kopiert hat, vor allem seine Geschmeidigkeit, Technik und Schnelligkeit. Er hat alles verfeinert, damit es für ihn und seine körperliche Statur die erwünschten Vorteile bringt. Durch Lees Einfluß traf Sugar Ray präziser: „Ich mochte den Effekt, daß Lee großes Selbstvertrauen hatte und alles kontrollierte,“ führte er im Interview mit dem Playboy fort. „Er würde sich zurücklehnen und ganz Gentleman sein, und er war gar nicht vorlaut. Er wußte dennoch, daß er es jederzeit mit jedem aufnehmen konnte. Er hatte blitzschnelle Reflexe und konnte sich bewegen und dabei überlegen, wie er seinen Gegner auseinandernehmen würde. Mein linker Jab kommt irgendwie von ihm. Durch ihn wurde ich viel präziser beim Treffen mit meinen Techniken. Mit dem Jab habe ich immer auf die Nase oder zwischen die Augen gezielt. Auch einige Bewegungen – offensive und defensive – habe ich ihm abgeschaut. Z.B. würde er einen Punch auf sich zukommen lassen, und erst wenn dieser gut drei Zentimeter vor seinem Gesicht ankam, würde er ausweichen oder abducken. Ich wollte das auch so können. Bruce spielte eine bedeutende Rolle in meiner Entwicklung als professioneller Fighter.“

Angelo Dundee mit Sugar Ray Leonard
Sugar Ray Leonard bereitet sich mit Trainer Angelo Dundee in der Rundenpause auf einen Überraschungsangriff mit blitzschnellen Kombinationen vor.

Bruce hilft, Hearns K.o. zu schlagen
In welchen Kämpfen hat Bruce Lee ihn am meisten beeinflußt? „Da war bestimmte Fights. Zum einen gegen Marcus Geraldo und der Rückkampf mit Roberto Duran. Entscheidend waren die seitlichen Bewegungen. Dennoch war es hauptsächlich eine Sache der Einstellung. Ich habe schon immer gewußt, daß es zwischen dem Boxen und der Kampfkunst große Kompatibilitäten gibt. Ich konnte das im Ring beweisen.“ Wie wahr. Sein Stil und seine Fähigkeit, die geistige Einstellung zu verändern, haben im eine weites Spektrum gegeben, das er in all seinen großen Kämpfen gezeigt hat. Das bekannte amerikanische Sportmagazin „Sports Illustrated“ schrieb 1981 nach seinem spektakulären K.o.-Sieg über den bis dahin ungeschlagenen „Hitman“ Thomas Hears: „Hearns war geblendet von Leonards Agilität und Schnelligkeit. Es schien, als wollte er eine Staubwolke einfangen, nur, daß die Wolke darauf mit Blitz und Donner antwortete.“ … „Er war irritiert durch Leonards Schnelligkeit und gelähmt durch seine unerwartete Kraft. Lassen sie sich nicht durch Leonards Baby-Face und seinem himmlischen Lächeln auf den falschen Weg bringen, in ihm wohnt dieselbe gemeine Bestie, die in allen großen Kämpfern zu finden ist.“ Leonard war nicht nur der erste Boxer gewesen, der Hearns eine Niederlage zugefügt hatte, er hatte es vollbracht den 17 cm größeren und enorm schlagstarken Detroiter aus dem Konzept zu bringen und ihn rückwärts in die Seile zu treiben, aus denen er in der viertzehnten hilflos hängend nicht mehr rauskam.

Blitzschnelle Kombinationen
Es gibt ein anderes Spiel, das ihn bekannt machte. Zu Beginn einer Runde sprintete er unmittelbar nach dem Gongschlag in die Ecke des Gegners um ihn mit Salven von blitzschnellen Kombinationen einzudecken, bevor dieser überhaupt wahrnahm, daß die Runde bereits begonnen hatte. Es ist das Prinzip der Unvorhersehbarkeit, das Bruce Lee in seinen Filmen zeigte und seinen Jeet Kune Do Schülern lehrte. Überraschtes Publikum: Leonard zeigt sich amüsiert: „Die Leute sind überrascht, wenn ich sage, daß ich einige Bewegungen aus den Kampfkünsten übernommen habe. Es überwältigt sie, wenn sie sehen, daß das Boxen die den (fernöstlichen) Martial Arts verbunden werden kann.“ Wenn man früheren Beratern glauben kann, hat das nicht immer reibungslos funktioniert. Schließlich bleibt die Frage offen, warum er keinen Unterricht in Karate nahm, wenn ihm die Martial Arts so gefallen haben: „Ich wollte Karate Unterricht nehmen, als ich noch ein Amateur war, doch man riet mir davon ab, denn man befürchtete, daß ich durch das Training steif werden würde.“

Über Kickboxer: Gute Kondition
Hier kommt das Problem auf, das man in den frühen Jahren des Kickboxens beobachten kann. Nur ganz wenige Vollkontaktkämpfer können wirklich boxen. Sie haben oft mit traditionellem Karate und Taekwondo begonnen, und können sich nur schwer an das klassische Boxen umgewöhnen. Das wesentliche Problem ist eine gewisse Steifheit im Oberkörper, die in den harten Stilen für die Ausführung von Faustschlägen (Tsuki) nötig ist. Bei den weichen Stilen findet man es seltener, doch sie Zahl der Tai Chi oder Wing Chun Stilisten, die zum Boxen wechseln, ist ohnehin verschwindend gering. Dazu Leonard: „Ich habe vor kurzem Kickboxen im TV gesehen. Die Jungs wissen nicht, wie sie mit guten Boxtech-niken zurechtkommen. Mit Kicks haben sie keine Probleme. Eine Sache an ihnen gefällt mir: ihre Kondition ist beeindruckend.“

Die Leute wollen Dramatik und Sprüche
Heute gefällt ihm am Sport, „ . . . daß immer einer gewinnt! Die Boxer gehen mehr aus sich raus, reden mehr, so wie Ali und ich es getan haben. Es hat unserem Sport sehr geholfen. Die Leute mögen dramatisierte Presseerklärungen solange sie nicht aus den Händen gleiten.“
Kopfschutz aus dem Karate: Zahlreiche Fotoaufnahmen aus dem Training von Leonard belegen, daß er lieber Kopfschützer aus dem Karate/Kickboxen getragen hat, anstelle der großen Lederkopfschützer, wie sie beim Boxsparring üblich sind. Ist das nicht ungewöhnlich? „Erstens ist ein Karate-Kopfschutz leicht und hält länger. Außerdem verringert er das Trauma bei Schlageinwirkung, ich denke er absorbiert Schläge besser. Ich habe herausgefunden, daß ich besser sehe. Die ganze Zeit habe ich ihn (im Training) getragen.
Obwohl Sugar Ray Leonard nie Kampfkunst betrieben hat, schickte er seinen Sohn Ray jun. zum bekannten Instruktor Jhoon Rhee ins Training. Leonard empfiehlt sowohl Boxen als auch die Martial Arts für Kinder: „Ich denke beides übt sie in Disziplin – sie rauchen nicht, trinken nicht, usw. Es sind zwei großartige Sportarten um den Stolz und das Empfinden für Fairneß eines Heranwachsenden aufzubauen. Beide sind gut, ich denke nicht, daß eins besser ist als das andere.“
Tribut an Bruce Lee: So endet ein weiterer Artikel, der dokumentiert, wie ein Kämpfer auf der Leinwand einen echten Fighter inspiriert hat. Es ist ein extraordinäres Kapitel im Leben und Vermächtnis des großen Bruce Lee.

Rick Mandris

Über den Autor:

Rick Mandris ist ein bekannter Fachautor der nordamerikanischen Fachpresse. Mitte der siebziger Jahre zählte er zu den ersten Fullcontact-Kämpfern Kanadas. Folgend auf seinem Umzug nach Miami, Florida, assistierte er über 14 Jahre beim legendären Boxtrainer Angelo Dundee. Als Kickboxtrainer stand er u.a. in der Ecke der Weltmeister Branko Cikatic, Steve Sheperd, Przemyslav Saleta, Scott Ashley, u.v.a.

Fotos:EOBL, Dundee’s Inc.

 

 

Hansi Hinz

Dieses Feature erschien in der Ausgabe 01-02 1997. Es war die meistverkaufte KICK Ausgabe mit einem deutschen Sportler auf dem Titelbild.
Text: John Corcoran und Rick Mandris.