Erinnerungen an Sterling Silliphant

Sterling Siliphant
Sterling Silliphant
Sterling Silliphant vor den Postern seiner großen Filmerfolge.

Ein Interview mit Bruce Lees grossem Mentor in Hollywood:
„Bruce Lee hat es ganz allein geschafft!“

Als Produzent und Drehbuchautor wurde der Kampfsportler Stirling Silliphant (1918 – 1996) weltbekannt. Er verstarb nach langer Krankheit am 28. April 1996 in Bangkok. Seinen größten Erfolg feierte Silliphant 1968 als er für sein Drehbuch zu „In der Hitze der Nacht“ den Oscar erhielt. Unter Kampfsportlern wird er sehr geschätzt, weil er Bruce Lee in den letzten Jahren vor seinem tragischen Tod den Weg durch das Filmbusiness bahnte. Er war der erste Mensch aus dem Filmgenre, der das großartige Talent Lees entdeckte und förderte. Der Erfolg von Silliphants Bemühungen, Lee zu einem großen Star werden zu lassen, ist beachtlich, wenn man bedenkt zu welcher Zeit dies geschah. Anfang der siebziger Jahre wollte niemand einen Asiaten als Star haben, die Hollywood-Bosse befürchteten schlechte Einspielergebnisse, zu Zeiten des Vietnamkrieges waren Schlitzaugen einfach nicht gefragt. Außerdem war Kampfsport nahezu unbekannt, nur Sean Connery hatte in seiner Verkleidung als Superagent 007 Kampfszenen beim Film durchsetzen können.
Silliphant schaffte es nicht nur, Bruce auf den Weg zum Star zu bringen, sondern dieses mit dem Budosport in Verbindung zu bringen. Wenn es ihm möglich erschien, nutzte er bei Filmprojekten seinen Einfluß, um für Lee eine Rolle in sein Drehbuch einzuschrieben, die ihm auf den Leib geschneidert waren. So erhielt Lee z.B. seine Rollen in „Marlowe“ und der TV-Serie „Longstreet.“ Konnte er ihn einmal nicht als Schauspieler anheuern, führte er Kampfszenen in die Aktionen ein, für die Bruce als Stunt- und Fightchoreograph verantwortlich zeichnete. Der Film „A Walk in the Spring Rain“ ist ein bekanntes Beispiel für diese Verbindung von Lee und Silliphant.
Der Drehbuchautor zog sich vor einigen Jahren aus dem Filmgeschäft zurück, wanderte nach Thailand aus, wo er im Alter von 78 Jahren starb. In seinem riesigen Archiv hat unser US-Redaktionsleiter John Corcoran ein Interview mit Sterling Silliphant gefunden, das er 1980 mit ihm führte. Zu dieser Zeit war er noch im Film- und Fernsehgeschäft eingebunden. Trotz der langen Zeitspanne seit dem Zustandekommen dieses Interviews, stellt es ein seltenes, klassisches Dokument über den wahren Werdegang von Bruce Lee in Hollywood dar. Silliphant analysiert das Phänomen der Karriere einer Ausnahmeerscheinung, der alleszerfreßenden, schnellebigen Hollywood-Gesellschaft und die großen Probleme Lees. Es hat noch nie ein Interview gegeben, in dem so ehrlich über diese Themen gesprochen.

Wir wissen, daß sie auch mit Bruce Lee Jeet Kune Do trainiert haben. Können sie beschreiben, was ihnen das Training gebracht hat ?

Bruce hat mich verwöhnt. Solange er anwesend war, habe ich mich omnipotent gefühlt. Es gab nichts, was ich nicht tun konnte. Als ich das erste Mal mit ihm trainierte, sagte er zu mir, „Ich werde dir beibringen, wie du gegen Dinge kicken kannst, die zwei Köpfe über dir sind.“ Ich antwortete: „Bruce, ich komme noch nicht mal bis zur Schulter,“ und er entgegnete, „mit ein wenig Übung wird das schon werden.“ Ich trainierte, und wie. Ich lernte, knapp zwei Meter hoch zu kicken als Bruce mit mir fertig war. Man muß bedenken, ich bin gerade 1,78 Meter groß. Bruce schaffte es, daß ich gut 25 cm höher kicken konnte. Nicht mit einem Sprungkick, nein, aus dem Stand. Heute kann ich das nicht mehr. Ich glaube ich habe mit meinem Training aufgehört, als Bruce nach Hong Kong ging. Es gibt etwas an einem Menschen, das einen dazu bringt, an sich zu glauben. Es ist eine ganz besondere Kraft, die nur ein wahrer Meister hat. Bruce konnte diese Kraft einsetzen, in dem er suggerierte, daß man das Unmögliche erreichen kann. Durch seine Anweisungen schien alles möglich, ohne Zweifel.
Es ist die gleiche Kraft, die große Regisseure auf Schauspieler ausüben. Die Meisten Schauspieler haben Lampenfieber, wenn sie vor die Kamera treten. Das hat nicht damit zu tun, ob sie erfahren sind oder nicht. Ich habe sie gesehen und kenne sie fast alle. Sie bekommen richtig Angst davor, daß sie etwas machen, daß für Ewigkeiten festgehalten wird. Das macht sie sehr nervös. Ein guter Regisseur wird ihnen ein Gefühl der Macht geben, daß sie selbst die anspruchsvollste Rolle meistern. Sie machen nicht, was ein schlechter Regisseur tun würde, wenn er Probleme mit einem Darsteller hat. „Hey, du bist so angespannt, entspanne dich,“ kann man einfach nicht sagen. Damit steigert man seinen Glauben an die eigene Angespanntheit. Bruce hätte das nie getan. Er sagte immer: „Wenn du etwas tun willst, dann mach es – jetzt!“
Als ich mit Bruchtests begann, war ich sicher, ich würde es schaffen – zumindest bis zu einem gewissen Punkt. Eines Tages kam Bruce mit vier starken Holzbrettern und forderte mich auf, sie barfüßig zu zertrümmern. „Das kann ich nicht machen, die sind zusammen über 10 cm dick,“ entgegnete ich erschüttert, „selbst wenn ich sie durchschlage, werde ich meinen Fuß verletzen.“ „Denke nicht mal daran,“ warnte er mich. „Wenn du durch diese Bretter schlägst, wirst du durch Luft schlagen, denn die Platten wirst du zerstört haben!“
Ich war entsetzt: „Was, wenn ich sie nicht durchschlage?“ „Es gibt kein wenn,“ antwortete er. „Du wirst es tun, und du wirst es jetzt tun – in den nächsten zwei Minuten. Ich weiß, du wirst es schaffen. Ich hätte die Bretter nicht mitgebracht, wenn ich geglaubt hätte, daß du es nicht schaffst.“ Er hielt die Bretter fest und ich kickte mit voller Kraft und Geschwindigkeit. Das einzige, was ich fühlte, war, wie mein Knochen durch das Holz hindurchschlug. Wenn Bruce nicht gewesen wäre, hätte ich die Bretter nicht durchschlagen, ich hätte mir sicher den Fuß gebrochen.
Als Bruce nach Hong Kong ging, fand ich heraus, daß alles, was er mir beigebracht hatte, nicht für mich funktionierte. Es funktionierte nur für ihn. Für mich war es nur dann sinnvoll, wenn Bruce mich inspirierte. Er zeigte mir seine Techniken, aber ich war nicht in der Lage mit ihnen umzugehen. Dennoch war er ein großartiger Lehrer und ein echter Meister. In den zwei oder drei Jahren, in denen ich unter ihm trainierte, hatte ich stets das Gefühl, das ich alles konnte, was er mir zeigte.
Obwohl ich später mit anderen Meistern und Freunden trainierte, die alle wundervolle und fähige Kampfsportler waren, konnte ich nie wieder diese Illusionen in meine Fähigkeiten wiedergewinnen. Mir wurde klar, daß die eigene Kraft durch die Kraft eines anderen zustandekommt. Ich hatte Glück für drei Jahre mit einem Genie zu trainieren. Heute in meinem gesetzten Alter muß ich nichts mehr mit Kicks und Hieben beweisen. Dennoch muß ich sagen: Wenn Bruce morgen zurück kommen würde, und mich trainieren würde, ich könnte schnell wieder genau das tun, was ich schon damals vollbracht habe, obwohl er solange weg war.

Fühlten sie, daß Bruce sich im Showbusiness in der hohen Position etablieren würde, wie er es letztlich erreicht hat ?

Ich wünschte, ich könnte das sagen. Jeder, der das neben seiner Frau und seinem engen Familienkreis behauptet, muß ein Lügner sein. Ich kenne die ganze „Hollywood-Meute,“ die sich damals um ihn sammelte. Joe Hyams, Jimmy Coburn und ich standen ihm am nähsten. Ich denke, daß von all diesen Leuten um ihn nur wir drei vor seiner Hong-Kong-Zeit ein echtes persönliches Verhältnis hatten. Jimmy Coburn und ich glaubten an Bruce Lees Schauspieltalent so fest wie keine anderen. Bruce sagte mir einst, „Ich werde größer sein als jeder andere Hollywoodstar bevor ich am Ziel bin.“ Ich sagte damals zu mir selbst: „Bruce, breche nicht dein eigenes Herz. Wie kann ich dir nur erklären, daß du als Chinese in einem kaukasisch geprägten Hollywood nicht weit kommen wirst. Selbst für die Hauptrolle in Kung Fu, die auf den Leib geschneidert gewesen wäre, suchte sich das Warner-Brothers-Studio einen anderen.“ Man wollte unbedingt einen Weißen, der Einschaltquoten wegen. So gefühlvoll und talentiert David Carradine auch war, warum gaben sie nicht Bruce diese Rolle? Ganz einfach: Bruce war Chinese und die Manager der Filmfirmen hielten Asiaten für schlechte Quotenmacher.

Auch nach Bruce Lee?

Glauben sie mir. Meinen sie, man könnte Burt Reynolds vom ersten Platz der Kino-Charts verdrängen? (Anmerkung der Red.: Reynolds war zu diesem Zeitpunkt der Topstar des US-Kinos.)

Fist auf Fury mit Bruce Lee
In „Fist auf Fury“ (auch als „The Boxer“ bekannt schaffte Lee den Durchbruch in Hong Kong

Wie blickt man heute in Hollywood auf Bruce Lee zurück?

Um seinem internationalen Ruf als „Kultfigur“ gerecht zu werden, sagt man, er war eine große Ausnahme. Wenn heute ein Asiate in Hollywood meint, in Hollywood sein Glück suchen zu müssen, braucht er viel Glück. Es ist nicht leicht. Natürlich bekommt man eine Rolle. Vielleicht bekommt man auch gute Kritiken und es gibt eine Fortsetzung des Films, doch dann folgt der Absturz in völlige Anonymität. Was geschah denn mit den sogenannten „schwarzen“ Filmen (ca. 1970). Zwei oder drei Schwarze hatten ihre Hits, dann hörte man nichts mehr von ihnen. Alles läuft im Kreis, ohne Ende. Man darf nie vergessen, daß die Filmindustrie von Weißen regiert wird. Es ist eine große weiße Nation, 280 Millionen Weiße. Was mit Bruce geschah ist ein reines Wunder. Es passierte trotz der Marktsituation und trotz Hollywood – gleichzeitig wurde es nur durch Hollywood möglich. Zuletzt versuchte ich alles, um Bruce in Filmobjekte einzubinden, sei es vor oder hinter der Kamera.

Warum haben sie das getan? Wieso haben sie geglaubt, daß sie ihn fördern konnten?

Ich fand ihn fantastisch, er war etwas besonderes. Ich glaubte, er würde eine bekannte Persönlichkeit im Filmgeschäft werden. Verstehen sie mich bitte nicht falsch, wenn ich vorher sagte, daß er keine Chance gehabt hätte. Alle glaubten, daß er es weit bringen würde, doch niemand hielt es für möglich, daß er es soweit schaffen würde. Bruce Lee hat einen höheren Bekanntheitsgrad und den Anspruch, eine Legende zu sein, als alle anderen Hollywoodstars. Ich reise viel um die Welt und überall sehe ich seine Poster. Paul Newman, Steve McQueen oder Clint Eastwood Poster sind bei weitem nicht so verbreitet. Er bleibt uns immer erhalten.
Bruce hat es geschafft. In den Augen der Weltöffentlichkeit trägt er die Anerkennung als genialer Superstar. Damit meine ich nicht nur die Vereinigten Staaten, nein, die ganze Welt. Das war sein großes Ziel, das er erreicht hat.
Ich habe Bruce beim Film gefördert, weil ich seine Explosivität und Dynamik bewunderte. Er war irgendwie anders. Er war wunderbar in „Marlowe,“ dem Pilotfilm zur Serie „Longstreet.“ Dennoch wußte ich schon damals, daß es nie soweit kommen würde, daß Bruce Lee als Co-Star, sagen wir von Faye Dunaway, auftreten könnte. Darüber hinaus muß man eingestehen, daß kein Kampfsportfilm mit der Ausnahme von „Der Mann mit der Todeskralle“ jemals den Durchbruch geschafft hat (Anmerkung der Redaktion: bis auf „Karate Kid“). Man hat solche Filme nur im Autokino gezeigt, selten sind sie ein Renner in der Eröffnungswoche. Der Markt ist offensichtlich nicht so groß.

Wäre der Markt vielleicht da, wenn man keine Kampfsportler in die Hauptrollen stecken würde?

Typische Kampfsportfilme haben nur Action, bzw. Rachegeschichten zum Inhalt.

Silliphant-Witwe Tiana mit Produzent Oliver Stone, mit dem sie den Film „From Hollywood to Hanoy“ produzierte

Und die Action in meist nonstop Kämpfen?

Vergessen wir nicht die Augen, die rausfallen. Gute Kampfsportfilme sollten mehr sein wie z.B. „Rocky,“ „Bad Day“ oder „Black Rock.“ Vielleicht kommt eine Liebesgeschichte in Frage, ein mystischer Streifen oder ein Thriller. Der Background der Martial Arts ist das Wichtige an einem Kampfsportfilm. Die Schauspieler dürfen nicht einfach „kick ass-“ Typen sein. Das durfte auch nie mit Bruce geschehen. Ich wollte nicht, daß er in zweitklassigen Streifen in Autokinovorstellungen enden würde. Als es Zeit für ihn wurde, Raymond Chows Angebot anzunehmen um nach Hong Kong zu kommen, sah man ihn in den USA aus einem anderen Blickwinkel. „The Boxer“ war der erste Film, den er in Hong Kong drehte. In den USA hatte er einen anderen Titel …
Etwa: Fist of Fury?

Ja, genau: es war „Fist of Fury.“ Bruce bekam nur eine ganz kleine Gage um den Film in Hong Kong zu drehen. Als wir kurz vorher in Jimmy Coburns Haus nach einem Training zusammen saßen, sagte ich zu Bruce: „Bruce, nimm das Angebot nicht an, geh nicht, bleib hier. Du fängst gerade an heiß zu werde.“ Die erste Episode „The way of the intercepting Fist“ aus der TV-Serie „Longstreet“ lief gerade beim großen Sender ABC. Ted Tannenbaum, der Boß der TV-Produktionen bei Paramout begann sich für Bruce zu interessieren. Auch Ted Ashley von Warner verliebte sich in seine Fähigkeiten, obwohl man ihm nicht die Hauptrolle in der Kung Fu Serie geben wollte. Auf einen Schlag erhielt Bruce drei oder vier Angebote von den großen Studios. Er war von uns so desillusioniert, weil wir ihm sagten, daß er in Hollywood keine große Chancen hätte, so daß er dem Establishment nicht vertrauen wollte.
Wir alle liebten ihn und er wußte, daß wir ihm helfen wollte. Unserer Meinung nach wäre eine eigene TV-Serie der große Lift für seine Karriere gewesen. Ich fühlte, daß er immer heißer wurde, später hätte er echte Charakterrollen übernehmen können. Das war die Strategie, die wir verfolgten. Aber Bruce sagte: „nein, das will ich nicht, ich will Hauptrollen.“ So entschloß er sich, nach Hong Kong zu gehen. Da hatte er die Gewißheit, ein großer Star zu werden. Das wollte er einsetzen, um später triumphierend als großer Star zurückzukehren. Er wollte nach Hollywood heimkehren und zeigen, daß es sein Weg war. Wenn sie jemals den Spruch hören, „die haben Bruce Lee gemacht,“ vergessen sie es. Er hat es ganz allein geschafft. Er war genau die Person, die perfekt an sich glaubte. Er hat nie an sich gezweifelt. Selbst als er Probleme hatte, seine Miete zu bezahlen, hat er seine Einstellung nicht geändert. Er wußte, er würde die größte Persönlichkeit der Welt werden. Wenn irgendjemand der Hollywood-Leute behauptet, er hätte die Karriere Lees vorhergesehen, muß ich dennoch an deren Aufrichtigkeit zweifeln. Wenigstens habe ich nie ein Anzeichen davon gesehen, daß ihm jemand in Hollywood eine Chance geben wollte.
Es gabe Leute wie ich, die an ihn glaubten und wußten, daß er Erfolg haben würde. Keiner von uns dachte jedoch, daß er es soweit bringen würde, wie er es letztlich schaffte. Nur der liebe Gott, zu dem wir gebetet haben, wußte, daß er es vollbringen würde. Dennoch: Niemand hatte den ehrlichen Glauben daran.

Sie sind der erste, der das zugibt!

Es ist völlig normal, daß man die Wahrheit verschönt um sein Image aufzubessern. Man versucht sich hinterher besser darzustellen, ist doch klar. Ich bin jedoch der einzige, der die Wahrheit kennt und sie äußert. Seien wir gnädig, sagen wir einfach, daß sich nicht jeder so genau an die Sache erinnert wie ich.
Ich sagte zu Bruce: „Raymond Chow wird dir nicht genug Geld bezahlen.“ Ich weiß, er wollte ihm nur 10.000 Dollar geben. Ich hätte ihm dasselbe für einen Fernsehauftritt besorgen können. „Du wirst doch nicht etwa nach Hong Kong fliegen für 10 Riesen? Hat er dir überhaupt deinen Flug bezahlt und was ist, wenn du dein Hotel selbst bezahlen mußt?“ warnte ich Bruce. Dabei kannte ich Raymond Chow damals überhaupt nicht. Ich kannte nur seinen Ruf als gierigen Produktionsmanager bei Run Run Shaw, der keinesfalls dafür bekannt war, gut zu bezahlen. Ich argumentierte: „Bruce, niemand kennt die Chinesen besser als du. Du weißt, daß sie sehr trickreich sind bei diesen Geschäften auf lange Distanz. Sie können selbst arabischen Pferdehändlern noch Tricks beibringen. Wie willst du dich gegen sie schützen? Was machst du, wenn das Drehbuch schlecht ist und sie deinen Rückflug nicht bezahlen wollen?“ „Das werden sie mir nicht antun!“ antwortete er und flog nach Fernost. Wie ein kleiner Junge sagen würde, „der Rest ist Geschichte.“
Bruce Lee hat es ganz allein geschafft. Weder ich noch Jimmy Coburn haben ihn gehalten, noch irgendjemand sonst. Er spielte für eine ganz kleine Gage. Wie ich später hörte, hat er zumindest eine kleine Erfolgsprovision auf Prozentbasis bekommen.
Als der Film in Hong Kong eröffnete – kurze Zeit später kam ich dorthin um mir den Film mit Bruce anzuschauen – war ich gleichermaßen erstaunt und von Stolz erfüllt. Bis zu diesem Punkt war „Sound of Music“ der erfolgreichste Film, der in Hong Kong über die Leinwand geflimmert war. Das Einspielergenisse erreichte rund 300.000 US-Dollar, umgerechnet ca. 1.2 Millionen HK-Dollar. Bruce‘s kleiner Film, der für Peanuts und Reiskörner gedreht wurde, übertraf diesen Rekord bereits nach zehn Tagen. Noch bevor der Film in Japan, Singapore und Taiwan durchgelaufen war, lagen Einspielergenisse von zwei Millionen Dollar vor. Bruce war auf dem richtigen Weg. Übernacht wurde er die Sensation in Fernost. Er drehte zwei weitere Filme mit Raymond Chow und dann, natürlich, „Der Mann mit der Todeskralle.“ Mit diesem Film schaffte er den internationalen Durchbruch. Lassen sie mich an dieser Stelle meine Behauptung, niemand hätte in Hollywood an Bruce geglaubt, modifizieren. Freddie Weintraub (Co-Produzent von „Der Mann mit der Todeskralle“) glaubte an ihn – aber erst nach dem Erfolg in Hong Kong.
Nach diesem Erfolg habe ich die Karriere von Bruce aus dem Auge verloren. Wenn ich über ihn spreche, meine ich immer die Zeit, bevor er Goodbye sagte um nach Hong Kong zu fliegen für „The Boxer.“ Freddie und Raymond haben danach fest an Bruce geglaubt. Sonst hätten sie nie die Todeskralle produziert. Freddie wäre sicher ein ausführliches Interview wert. Er ist nimmt eine ganze Seite auf einer Bruce-Lee-Münze ein. Ich hatte nur in der Anfangsphase Einfluß auf ihn.

Wie hat sich das Leben Bruce Lees verändern, als er die USA verließ? Wie hat der Erfolg ihn verändert?

Wie ich schon sagte, ich traf Bruce Lee später bei einer Weltreise in Hong Kong. Es waren viele Journalisten dabei. Damals sah ich mir mit ihm „The Boxer“ an. Wir gingen vom Lunch direkt ins Kino, tausende von Fans verfolgten uns. Sie schrien und wollten ihm nahe sein. In den Vereinigten Staaten habe ich sowas das letzte Mal gesehen, als Marilyn Monroe für einen Auftritt nach New York gekommen war. Man muß natürlich sagen, daß so etwas bei uns einfach nicht mehr vorkommt, höchstens noch bei Rockstars. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, daß bei uns soviele Leute in ein Restaurant kommen, um jemand beim Essen zuzusehen. Alle waren sie da, ob jung oder alt. Bruce war das personifizierte China. Er hatte bewiesen, daß die Chinesen keine minderwertige Rasse waren. Jeder vierte Mensch auf dieser Welt ist statistisch gesehen ein Chinese. Da kann man kaum von einer Minderheit sprechen.

Silliphant auf Reisen mit Gattin Tiana

Bruce war für die Leute etwas Besonderes. Bruce hatte viel Spaß, er trug einen Anzug von Brioni und ging wie ein König. Es war schön, anzusehen. Wir aßen und gingen ins Kino. Das Lichtspielhaus war voll. In Hong Kong sind die ersten vier Reihen billiger als die anderen Plätze, so saßen die Jungs von der Straße, die richtig harten Kerle. Wenn man wirklich wissen will, ob ein Film gut ist, muß man nach Hong Kong kommen und ihn dort vorspielen. Wenn es den Leuten nicht gefällt, schneiden sie einem die Kehle durch. Diese Jungs aus den ersten vier Reihe sagen ohne Umschweife ihre Meinung. Sie schreien während der Vorstellung, werfen Sachen gegen die Leinwand – oft müssen die Cops sie rauswerfen. Bei Bruce‘s Film waren sie ruhig. Niemand konnte sie wahrnehmen. Sie liebten es, wie er die Japaner verprügelte.

Es ist gut ein Jahr her, als Drehbuchautor Sterling Silliphant im Alter von 78 Jahren an den Folgen eines Krebsleidens starb. In Kampfsportkreisen wurde er dafür geschätzt, daß er Bruce Lee in seinen ersten Jahren als Schauspieler in Hollywood als Mentor unterstützte. Im ersten Teil unseres bislang unveröffentlichten Interviews, das unser Mitarbeiter John Corcoran mit ihm führte, verriet Silliphant unseren Lesern, wie er Bruce Lee kennenlernte, mit ihm trainierte und versuchte seine Karriere positiv zu beeinflussen. In der folgenden Fortsetzung spricht er über das Drehbuch zu „The Silent Flute“ einem Film, an dem er, Jimmy Coburn und Bruce Lee gearbeitet hatten. Es sollte der ultimative Kampfsportfilm werden, doch wenige Tage bevor die drei die Planung zu dem Film angehen wollten, fand Lee sein tragisches Ende. Ferner erzählt Silliphant über seine persönliche Beziehung zu Lee und den Dreharbeiten zu seinem ersten Film und großen TV-Auftritt, einer Gastrolle in der Serie „Longstreet.“

Haben sie Bruce regelmäßig in Hong Kong gesehen ?

Nein. Es war das letzte Mal als wir uns seinen Film in diesem Theater zusammen angeschaut haben. Später haben wir miteinander telefoniert, denn ich wollte ihn überreden zurückzukommen um mit uns „Silent Flute“ zu drehen (Anm.: dieser Film gelangte als „Circle of Iron“ später in die Kinos). Aber der Preis für Bruce war in hohem Grad gestiegen. Er hatte mit gesagt, daß Dino de Laurentis ihm gerade eine Million für einen Film angeboten hatte (Anm.: Dinos Tochter Raffaella De Laurentis produzierte „Dragon, The Life Story of Bruce Lee.“).
Bruce hatte einen gigantischen Stolz, er erinnerte sich gut, wie Hollywood ihn vernachlässigt hatte. Er hätte niemals einen Film für eines der großen Studios gemacht, wenn der Preis nicht gestimmt hätte. Es war seine Form der Vergeltung für die Erniedrigung, die er erfahren mußte als er vor den Türen der Büros stand und von den örtlichen Geschäftsleuten ignoriert wurde. Ich hätte dasselbe getan. Ich hätte meinen Triumph ausgekostet wie er es tat. Ich war immer der Auffassung, das dies eine Phase war, die er durchlaufen mußte. Er wäre auch so raus gekommen, denn Bruce war immer in Bewegung und auf der Suche nach Perfektion.
Bruce wurde empfindlich. Ich bin sicher, er wußte, er müsse etwas eigenes schaffen um an die Spitze zu kommen. Er war der einzige der sich selbst am besten verstand. Ein durchschnittlicher Drehbuchautor wäre nie in der Lage gewesen ein Skript zu verfassen und Bruce einfach in die Handlung einzugliedern. Nur Bruce wußte, was er als Schauspieler drauf hatte und was er als Kampfsportler umsetzen konnte. Ich redete zweimal mit ihm am Telefon um ihn für „The Silent Flute“ zu gewinnen; Jimmy Coburn flog sogar nach Hong Kong um mit ihm darüber zu verhandeln. Aber wir konnte ihn nicht dazu überreden, diesen Film zu drehen. Wir waren in seiner Vergangenheit, er hatte uns überholt.
Mich beschlich das Gefühl, daß aus diesem Film vielleicht nie etwas werden würde, bis ich eines Abends zusammen mit Sy Weintraub (Produzent der Tarzanfilme) „Der Mann mit der Todeskralle“ sah. Auch Sy kannte Bruce persönlich und er hatte auch schon mit ihm trainiert. Er sagte mir: „Wir müssen dich und Bruce wieder zusammen bekommen. Du mußt „The Silent Flute“ mit ihm machen.“ Sy glaubte an den Erfolg des Filmes. Wie sie wissen haben Bruce, Jimmy Coburn und ich über ein Jahr an diesem Drehbuch gearbeitet. Eigentlich war es der Film von Bruce Lee, es war sein Geist.
Sy rief also Bruce an, es war ein Dienstag oder Mittwoch. Er verabredete sich mit ihm für Freitag, damit wir über das Wochenende über den Film reden konnten. Bruce war einverstanden. Einen Tag bevor wir flogen, erhielten wir die Nachricht von seinem Tod.

Wir sind erstaunt darüber, daß dies nie an die Öffentlichkeit gelangt ist, obwohl schon soviel über Bruce geschrieben wurde.

Man hat dieses Thema nie speziell angesprochen. Sie hätten es von Jimmy Coburn erfahren können oder von Sy Weintraub oder wenn sie mit Tom Tannenbaum oder mir gesprochen hätten. Natürlich wußte auch Steve McQueen davon, doch an ihn heranzukommen, war sehr schwer. Aber das ist alles nicht so wichtig. Es zählt nur, was wirklich passiert ist.
Es gibt eine ganze Menge Leute ausserhalb der Kampfsportszene, mit denen man über Bruce reden kann. Es ist unproduktiv, wenn man mit Kampfsportlern über Bruce spricht. Sein Schatten schwebt bis heute über dem Budosport. Alle Sportler profitieren von seiner Legende, von seinem Ruhm. Er hat erreicht, von dem alle anderen träumen. Ich habe noch nie einen Kampfsportler getroffen, der nicht davon geträumt hätte, ein Filmstar zu werden. Wenn es solch einen Menschen geben sollte, habe ich ihn zumindest nie getroffen. Es ist egal, ob jemand 14 Beine und drei Köpfe hat und häßlich ist, jeder denkt, er wäre der nächste Bruce Lee. Mir scheint, als wäre das eine Obsession quer durch alle Kampfstile. Wie können solche Leute mit irgendeiner Wärme über jemanden sprechen, den sie erreichen wollen, aber nie erreichen werden? Das ist sehr schwer.
Das trifft selbst auf seine Freunde zu. Wer ihm wirklich nahegestanden hat, hat nicht unbedingt darüber gesprochen. Es gibt da eine Sache, die ich jedoch gerne loswerden würde. Es ist das erste Mal nach all den Jahren, daß ich ohne Ablenkung darüber reden kann. Bis heute, aus irgendeinem Grund, war es eine sehr persönliche Sache für mich. Ich wollte nie meine Zeit mit Bruce an die Öffentlichkeit bringen. Ich denke, daß viele seiner Freunde aus dem Kampfsport ähnlich denken.
Dennoch habe ich alles, was ich über Bruce sagte, mit Liebe und Hingabe sowie unterwürfigem Respekt geäußert. Mir liegt sehr daran, daß die Leute wissen, Bruce hat gegen alle Widrigkeiten einen unmöglichen Traum wahr werden lassen. Dabei hat er nie seine Würde verloren. Ich bin sicher, daß es in seinem Leben mit seiner Frau Linda Momente gegeben hat, in denen er sagte: „Ich weiß nicht, ob es das wert ist? Ich weiß nicht, was passieren wird?“ Aber das weiß nur Linda. Und laßt mich noch eins dazu sagen: Gegenüber allen Menschen, die außerhalb seines persönlichen Umfeldes lagen und seinen Freunden außerhalb der Martial Arts verlor er niemals auch für nur eine Sekunde den Ausdruck der unendlichen Selbstsicherheit.
Einmal ging ich mit Bruce zum Haus von Steve McQueen. Er lehrte Steve das Jeet Kune Do. Wir zeigten Steve den Entwurf des Drehbuchs zu „The Silent Flute“ und präsentierten es ihm als ein potentielles Filmprojekt. Wir sagten ihm, wir wollten einen Film drehen, den es noch nicht gegeben hat. Bruce verkaufte ihm die Idee so, daß er und Steve die Hauptrollen spielen würden und ich das Drehbuch dazu schreiben würde. Steve zeigte keine Begeisterung. Er reagierte liebenswürdig und nett, denn er machte sich etwas aus Bruce. Er war einer der Sargträger bei der Beerdigung von Bruce, muß man wissen. Aber Steve wollte sich zu diesem Film nicht verpflichten lassen! Eigentlich ist das auch nicht sein Art. Er wollte nicht gleich sagen: „Na klar, da mache ich mit.“ Er mußte immer ganz sicher sein. Wir haben ihm nur eine Idee vorgestellt, die noch nicht ausgreift war.
Als wir sein Haus verließen, war Bruce ungemein zornig. Er hatte die Vermutung, daß Steve vielleicht doch absagen würde. Mir gegenüber hatte er sein Gesicht verloren, weil er sich vorgestellt hatte, er würde mit mir zu einem Superstar gehen und mit einem Deal wieder aus der Tür spazieren. Er dachte, Steve würde sagen „Okay, macht das Drehbuch fertig und wir drehen.“ Können sie sich nun vorstellen, wie gigantisch groß das Selbstvertrauen von Bruce Lee war?
In diesem Moment sagte Bruce zu mir, „Ich werde viel größer als Steve McQueen. Wer meint er eigentlich, zu sein, mir sagen zu können, daß er den Film vielleicht nicht macht? Ich werde viel größer als er!“
Wochen später ging ich zu einer Party von Freddie Fields, damals Geschäftsführer von CMA (Creative Management Associates). Viele Stars waren da: Barbara Streisand, Sue Mengers (Hollywoods größte Talentsucherin) und Jimmy Coburn. Es war das erste Mal, daß ich Jimmy traf. Ich ging auf ihn zu und sagte: „Ich habe gerade ihren Film ,Unser Mann Flint‘ gesehen und ich muß ihnen sagen, daß sie sehr flexibel sind und einen guten Stil bei ihren Fußtechniken haben. Wo haben sie das gelernt?“ Er antwortete: „Hölle, nein, das habe ich nie gelernt. Ich habe keine Ahnung von Karate. Das gefällt mir überhaupt nicht. Hier und da habe ich etwas aufgeschnappt. Dennoch danke, daß sie denken, daß es gut aussieht.“
Darauf sagte ich: „Wirklich? Sie kicken verdammt gut. Wollen sie nicht Kampfsport von einem Meister lernen?“ Coburn: „An wen denken sie?“ Ich schlug vor: „Bruce Lee.“

1969: Sterling Silliphant (m.) trifft mit seiner Gattin in Indien ein. Bruce Lee holt ihn ab, damit sie kurze Zeit später herausfinden, daß ihr Traumfilm „The Silent Flute“ nicht auf dem Subkontinent gedreht werden kann. Lee entscheidet kurz darauf, in Hong Kong sein Glück zu suchen.

Ich arrangierte ein Meeting. So kamen Bruce und Jimmy zusammen. Jimmy mochte Bruce sofort, denn auch er ist ein geistig versierter Mensch. Er war tief mit Zen und anderen östlichen Geistes- wissenschaften beschäftigt – und das für viele Jahre. Er und Bruce zogen sich richtig an. Das wiederum brachte uns dazu, zu dritt an „The Silent Flute“ zu arbeiten. Ich bezweifele, daß jemand vor unserem Interview wußte, daß Bruce Steve McQueen als erstem das Mitwirken in einem ultimativen Film über Kampfsport angeboten hatte. Es war jedoch die Koalition zwischen Bruce, Jimmy und mir, die dazu führte, daß das Projekt weitergeführt wurde. Nun ja, da sind wir von der ursprünglichen Frage etwas abgewichen.

Das ist perfekt, denn sie haben gleich unsere nächsten drei Fragen beantwortet. Wir wissen um einige Schwierigkeiten bei dem Projekt, z.B mit dem Drehort Indien. Können sie uns aufzeigen, wie es bis zum Eintritt von David Carradine weiterging?

Jimmy Coburn, Bruce und ich reisten nach Indien. Das geschah auf Veranlassung von Warner Brothers, die die Option auf mein Drehbuch hielten. Jim und ich gingen mit Angst und Zurückhaltung nach Indien, denn wir waren schon mal da. Ich hatte nicht das Gefühl, daß der Subkontinent für unseren Film geeignet war. Bruce war sehr aufgeregt, denn er wollte diesen Film unbedingt machen, da er seinen großen Durchbruch darstellen sollte, was er auch geworden wäre, hätten wir damals drehen können. Es hätte der klassische Martial Arts Film werden können. Sie müssen mir einfach glauben. Das original Drehbuch und die Schauspielerei von Bruce Lee und Jimmy Coburn wäre etwas gewesen, an das sich alle erinnert hätten. Der Grund für meinen Pessimismus zum Drehort Indien lag darin begründet, daß wir im Drehbuch nicht von dieser Location ausgegangen waren. Der Film sollte ursprünglich in der Sahara, auf Sri Lanka und im Norden von Japan gedreht werden. Das wären die typischen Orte gewesen. Indien ist ein großes, elendes Durcheinander. Es gab einfach keinen akzeptablen Ort in diesem Land. Jimmy wußte das auch. Bruce konnten wir das aber nicht sagen, denn wer weiß, vielleicht hätten wir doch ein Fleckchen gefunden. Der Grund für unsere Reise war ein wirtschaftliches Problem von Warner. Man hatte Geld in Indien blockiert, was man nur dort ausgeben konnte, also sollten wir in Indien drehen. Wenn wir gesagt hätten, „o.k., wir machen den Film hier,“ hätten wir sofort anfangen können, doch Jimmy und ich sagten, „nein, es wäre falsch.“
Bruce hat unsere Entscheidung nicht verstanden. Er war der Auffassung, daß wir die Probleme mit dem Drehort hätten umgehen können. Das lag daran, daß er damals noch nicht viel über die Prozeduren beim Filmdrehen wußte. Diese negative Entscheidung seiner Freunde hat ihn sehr enttäuscht und verletzt.
Die Persönliche Verbindung zwischen uns hat darunter sehr gelitten. Für ihn waren wir jetzt Leute, die nein gesagt hatten zu seinem Traum, der für ihn alles bedeutet hat. Ich bin sicher, es war die Entscheidung, „The Silent Flute“ nicht in Indien zu drehen, die ihn dazu bewogen hat, nach Hong Kong zu gehen.
Okay, er ging. Den Rest kennen sie. Wir wollten den Film neu aufrollen – doch dann starb Bruce. Danach verschwand das Drehbuch in den Regalen. Nach den Tod von Bruce gab es keinen Grund für diesen Film, auch nicht für Jimmy.
Einige Jahre später bekam ich einen Anruf von Elmo Williams von Fox, der eine Option auf das Drehbuch ausüben wollte unter der Voraussetzung, daß wir mit dem Iran als Drehort einverstanden waren. Fox hatte mit dem Iran ein Projekt für mehrere Produktionen ausgearbeitet, was diese Konstellation hervorbrachte. Möglichkeiten für Drehs in Japan wurden eingeräumt, so daß dem nichts im Weg stand. Ich änderte das Skript, denn ohne Bruce war das auch nötig.
Fox erstellte einen Budgetplan und stellte fest, daß die Kosten über dem sicheren Limit für einen Kampfsportfilm liegen würden. Für solche Filme geben die Studios nicht mehr als 2,5 bis 4 Millionen Dollar aus. Wenn sie in ein Studio gehen und für so einen Film ein Budget von 10 Millionen avisieren, wird man sie gleich erschießen. In dem Büro, in dem sie sich trauen, so dreist zu sein, würde man die Waffe auf ihren Kopf halten und sofort abdrücken. Damit war das Ende von „The Silent Flute“ besiegelt. Wieder kam man etwas später auf mich zu und fragte nach einer neuen Option. Es waren David Carradine und Jeff Cooper, die sich darum bemühten. Ich kannte Jeff seit einigen Jahren. Als ich für Metro (Goldwin Mayer) arbeitete, plante ich einen Film über die drei Musketiere. Jeff sollte die Rolle des D‘Artagnan erhalten.
Jeffs Karriere verlief für einige Zeit auf dem Abstellgleis, so daß er für einige Jahre nach Südafrika ging. Er und David waren gute Freunde. David gefiel „The Silent Flute“. Man betrachtete das Drehbuch als einen Cult und das erweckte sein Interesse. Er und Jeff gingen zu Sandy Howard, die ich noch von ihrer Zeit bei Fox kannte. Jimmy Coburn und ich sprachen darüber und willigten ein. Unsere Zeit war vorbei, wir hatten mit dem Thema abgeschlossen. Wir verkauften das Drehbuch an Sandy Howards Produktionsfirma. Wir waren froh darüber, daß der letzte Traum von Bruce Lee zum Leben erweckt wurde.
Jimmy Coburn und ich hatten mit der Filmproduktion nichts mehr zu tun. Der Film wurde eine große Enttäuschung. Aber es wäre auch eine große Enttäuschung geworden, wenn es ein großer Erfolg geworden wäre, denn nur mit Bruce hätte der Film zu dem werden können, für das er konzipiert wurde. Eigentlich sind wir die letzten Leute, die es wagen dürfen, über diesen Film zu sprechen. Für die Öffentlichkeit behielten wir jedoch Recht, denn wenn sie die Einspielergebnisse der 10.000 besten Filme durchschauen, werden sie „The Silent Flute“ („Circle of Iron“) nicht finden können. Der Film versank wie Eisen, schlecht. Wir hätten ihn als einen Traum in Erinnerung bewahren sollen.

Viele Kampfsportler glauben, daß der Pilotfilm zur TV-Serie „Longstreet“ den Erfolg der eigentlichen Serie deutlich übertraf. Wie können sie sich das erklären?

Ganz einfach. Anders als „The Silent Flute“ und „The Killer Elite“ – wo ich nichts mit der Produktion zu tun hatte – traf ich bei der „Longstreet“-Episode alle Entscheidungen selbst. Das mag sich egoistisch anhören, doch die besten Filme entstehen immer aus der Idee einer Person. Sie lassen sich nur durch die Hingabe dieser Person optimal vorantreiben – nicht durch die Entscheidungen einer Versammlung.
Die erste Episode von „Longstreet“ – Titel: „The Way of the Intercepting Fist“ – war eine Vision, die Bruce und ich teilten. Niemand störte uns bei der Arbeit. Bruce und ich vollbrachten Magie. Er ließ mich denken, alles vollbringen zu können, selbst den ultimativen einstündigen Kampfsport-Epos. Mit „Longstreet“ geschah folgendes: Ich verkaufte ABC eine zweistündige Produktion als „Movie of the week“. Regie führte Joe Sargent. Später bekamen wir den Auftrag, daraus eine Serie zu machen. Man wies uns an, 20 einstündige Folgen zu drehen. Da der Pilot für eine Serie besonders wichtig ist, haben wir uns für unseren ersten Auftritt mächtig ins Zeug gelegt. Tatsächlich war „The Way of the intercepting fist“ nicht der Pilotfilm, sondern die erste Folge nach dem zweistündigen Film der Woche.

Spielte Bruce bereits im Pilotfilm mit?

Nein. Wir sollten mit der Serie auf Sendung gehen. Man erwartete von mir, gleich 20 Episoden zu drehen. Der Druck bei der ersten Folge ist groß, denn die Kritiken über den Auftakt entscheiden über den Erfolg der gesamten Serie. Es muß einfach die beste Show werden. Genau gesagt muß man in den ersten sechs Folgen seine besten Szenen unterkriegen. Wenn die ersten Aufnahmen nichts werden, landet man auf dem Friedhof.

Sterling Silliphant (re.) mit unserem Mitarbeiter John Corcoran (Foto: Ikuta)
Sterling Silliphant (re.) mit unserem Mitarbeiter John Corcoran (Foto: Ikuta)

Es war offensichtlich, daß für mich damals der Kampfsport und die Vertretung von Bruce Lee die wichtigste Sache war. Ich suchte Bruce auf und sagte ihm: „Ich möchte einen Film mit dir drehen, aber du mußt darin dich selbst spielen. Du mußt einem blinden Polizisten Jeet Kune Do beibringen. Die Geschichte ist ganz einfach. Einige Kerle schlagen ihn zusammen und du rettest ihn. Er ist davon so beeindruckt, daß er dich bittet, ihm das Kämpfen beizubringen. Du lehnst jedoch mit der Begründung ab, daß er es nur dazu verwenden würde um sich an diesen Kerlen zu rächen. Irgendwie überredet er dich doch, es ihm beizubringen. Du spielst gut eine Stunde. Ich will, daß du den Leuten die wahren Werte des Jeet Kune Do vermittelst. Nenne es eine persönliches Monument.“
Bruce zeigte sich begeistert. Wir arbeiteten beim Drehbuch eng zusammen. Obwohl es mein Skript ist – ich habe es konzipiert und geschrieben – stellt es nichts anderes dar als die Gefühle von Bruce Lee über die Martial Arts und seinen Standpunkt.
Der Film war eine Verkörperung von Bruce Lee. Es war seine Show. Er spielte einen Antiquitätenhändler, der durch seine Techniken eine neue Entwicklung in Jimmy hervorbringt. Bruce war einfach wunderbar in dieser Rolle, in der er sich selbst spielte, was für viele Schauspieler die schwierigste Aufgabe darstellt. Alles, was ich als Schüler von Bruce Lee erlernt hatte, mußte jetzt der blinde Franciscus lernen. In den ersten Monaten meines Trainings mit Bruce fühlte ich mich blind, so daß der Vergleich durchaus gültig ist. Es gab keine Möglichkeit, daß die Episode von „Longstreet“ nicht funktioniert hätte. Es war eine dieser segensreichen Begegnungen. Alle guten Ideen sind einfach. Sie werden aus einem magischen Konzept geboren. Sie fließen zur richtigen Zeit vom richtigen Ort, und das war hier der Fall: es war pure Magie. Als wir drehten, konnte die Crew nicht glauben, wie gut alles lief. Sie applaudierten Bruce, denn sie liebten ihn. Liebe und Hingabe flossen zusammen.
Es gab viele Leute, die später kamen und „Wow“ sagten. Aber ich muß ihnen sagen, als ich zum ersten Mal mit der Idee zu Paramount ging, mußte ich mir anhören, „was? Kampfsport? ein Chinese? sind sie verrückt?“ Sie ließen mich den Film machen, als sie sahen, daß die Sache doch einigermaßen sicher war, denn wir hatten ja eine Menge weißer Katzen drinn. Sie wußten damals jedoch nicht alles, was ich vor hatte. Ich muß sagen, daß sie trotz ihrer voreiligen Vorurteile völlig begeistert waren, als sie die Folge zum ersten Mal sahen. Sie wußten, daß sie wie Dynamit einschlagen würde.
Als Resultat dieser ersten Folge wurden wir mit Fanpost überhäuft. Bruce bekam tausende Briefe. „Welcher Kampfstil war das?“ „Wer ist dieser Kerl?“ Die Telefone liefen heiß. Tom Tannenbaum (damals) von Paramount arrangierte sofort, daß Bruce in vier weiteren Folgen mitspielen sollte. Aus Zeitgründen war ich leider nicht in der Lage für diese weiteren Folgen das Drehbuch zu schreiben. Ich wünschte, ich hätte es tun können. Wenn wir heute in der Lage wären, uns diese alten Folgen anzuschauen, würden sie erkennen, daß aus Bruce nur noch eine chinesische Katze, die gut kicken kann, geworden ist. Damit fiel alles in sich zusammen.
Aber, sie sehen, in der einen Folge, die Bruce und ich zusammen machten, sagte mir Bruce, wie alles zuasmmenkommt. Wann immer sie etwas mit viel Gefühl und Hingabe auf die Beine stellen, kommt es auch zum Vorschein. Es explodiert praktisch auf dem Bildschirm oder auf dem Papier. Das ist der Grund dafür, warum soviele Kampfsportfilme Scheiße sind. Sie werden ganz ohne Leidenschaft gemacht. Sie werden gedreht um schnell ein paar Mäuse einzuspielen und sie werden trotz einer guten Besetzung von den falschen Leuten gemacht. Die guten Schauspieler darin verstehen nicht, was die Leute um sie herum falsch machen.
Die Kampfsportfilme sind ein Genre, das gerne mißbraucht wird. Filmemacher nutzen nur die Vorteile. Es ist schade, daß es so ist, das ist zumindest meine Meinung.


Dieser Beitrag wurde in der zweiten Ausgabe der Kung Fu Illustrierten veröffentlicht. Author: John Corcoran.