ES GIBT NUR SEHR WENIGE KICKBOXER, DIE IN DREI UNTERSCHIEDLICHEN DISZIPLINEN NICHT NUR GUT, SONDERN AUCH ERFOLGREICH SIND. IN DEUTSCHLAND GIBT ES BISLANG NUR EINEN SPORTLER DER IM VOLL-, LEICHT- UND SEMIKONTAKT ZU INTERNATIONALEN TITELN GEKOMMEN IST. DIE REDE IST VOM MANNHEIMER RALF KUNZLER. HIER SEINE GESCHICHTE.
Ralf Kunzler, 30 Jahre, begann im Alter von 14 Jahren mit dem Kampfsport. Zunächst trainierte er bis zum Grüngurt das traditionelle Shotokan-Karate. Gerd Bockmer aus dem schwäbischen Backnang war sein Meister, der ihn bereits nach einem Jahr mit dem damals noch neuen Semikontakt Sportkarate (1977) in Verbindung brachte. Erste Turnier-Erfolge bei der WAKO-Germany und im Lager der Deutschen Karate Union (DKU) folgten, das traditionelle Karate war nach gut drei Jahren völlig vergessen. 1980 feierte der 17-jährige Kunzler seinen ersten grossen Erfolg, er gewann die Europameisterschaft der Junioren in Englands Hauptstadt London. Sein zweiter großer Erfolg im Semikontakt folgte 1986. Diesmal gewann er in Athen erstmals die Europameisterschaft im Semikontakt bei den Senioren: Bis dahin war er in Deutschland der führende Mann in der Klasse bis 74 Kg. Einzig der Bad Nauheimer Andreas Lindemann konnte ihm Paroli bieten. Die spannenden und technisch hervorragenden Punktduelle dieser beiden Vorzeigekämpfer bereicherten von 1985 bis 1987 die großen Bundesturniere der WAKO. Zumeist war es Ralf Kunzler, der die Nase in der Verlängerung knapp vorne hatte. Enttäuschung Das Jahr 1987 sollte in der Erfolgskarriere des herausragenden Semikontakt-Mannes zu einem neuen Glanzlicht werden. Seine Nominierung für die Nationalmannschaft zur Teilnahme an den fünften Weltmeisterschaften in der Münchener Olympiahalle schien praktisch gemachte Sache, doch beim letzten, entscheidenden Qualifikationsturnier, dem Master-Cup in Braunschweig, wollte ihm das Glück nicht hold sein. Bei diesem Eliteturnier Georg Brückners, an dem nur die besten der Besten auf Einladungsbasis teilnehmen durften, belegte er hinter dem Nürnberger Jürgen Pelikan und dem Hamburger Winfried Jozko nur Rang drei. Pelikan hatte somit die Fahrkarte nach München in der Tasche, Kunzler war auf einen Zuschauerplatz verbannt.
Neue Ziele Danach begann der begnadete Techniker, zugleich auch als Konditionswunder bestaunt mit dem Leichtkontakt-Durchkämpfen und dem Vollkontakt. Noch im Dezember 1987 gewann der die Deutsche Meisterschaft im Durchkämpfen in seiner Heimatstadt Mannheim. Im Finale besiegte er in einem aktionsreichen Kampf den Berliner Bernd Reichenbach, der bis heute in der Klasse bis 84 Kg die deutsche Szene innerhalb des DKBV dominiert Der Gewinn der Europameisterschaft 1988 in Mestre (Italien) war für den Mannheimer die höchste Auszeichnung in dieser Disziplin. Einstieg ins Vollkontakt Sein Kickboxtrainer Klaus Friedhaber motivierte den ausgezeichneten Techniker ins Lager der Vollkontakt-Kämpfer umzusteigen. Seine ersten Kämpf bestritt er 1988 erfolgreich in Bad Nauheim und bei der Kickboxmania in Mannheim. 1989 trat er in der Berliner Deutschlandhalle vor 3.000 Zuschauern in seinem dritten Profi-Kampf gegen den amtierenden Profi-Weltmeister John Longstreet (ISKA) innerhalb eines Vergleichskampfes der besten deutschen und amerikanischen Vollkontaktler an. Ralf erkämpfte sich mit diesem Kampf die Achtung der Fachleute. Zwar mußte er in der dritten Runde aufgrund starken Nasenblutens aufgeben, nach Punkten hatte er in diesem, auf fünf Runden angesetzten Kampf, jedoch geführt.
WM-Titel
Nahezu unangefochten erreichte er, u.a. unter dem Training von Ferdinand Mack, die Qualifikation zur Weltmeisterschaft, die im Januar 1990 in Venedig stattfand. Ralf gewann alle drei Vorkämpfe vor dem regulären Kampfende. Im Halbfinale besiegte er den Schweizer Tiziano Ubaldi mit einem Sidekick zum Kopf durch schweren KO. Im Finale folgte ein deutlicher Punktsieg über den Franzosen Nasser Nassiri. Somit war eine solide Basis für eine erfolgversprechende Profikarriere geebnet.
Großer Kampfgeist Nach mehreren erfolgreichen Galaauftritten, die er bereits während seiner Amateurkarriere bestritt, wurde Ralf im Mai 1990 erstmals mit der hohen Härte im bezahlten Wettkampf der Faust- und Fußkämpfer kon-frontiert. Trotz hervorragender Vorbereitung, zog er im Kampf mit dem Polen Josef Warchol den Kürzeren. Bereits nach wenigen Sekunden in Runde eins mußte Kunzler eine kurze Unachtsamkeit mit einem schweren Niederschlag bezahlen. Kaum jemand am Ring hatte gedacht, daß er nach zehn Sekunden wieder aufstehen würde, doch irgendwie schaffte es der austrainierte Newcomer bei acht wieder halbwegs auf den Beinen zu stehen. Fast hätte er es mit seinem großartigen Kampfgeist sogar geschafft diesen Kampf herumzureißen, hätte er nicht in der letzten der fünf Runden dieses Ringdramas einen weiteren Niederschlag kassiert. „Um Gottes willen, nach diesem Schlag hätte ich niemals wieder aufstehen sollen“ kommentierte der Mannheimer später die Videoaufzeichnung des ersten schweren Niederschlages.
Erfolgreiches Rematch
Aus Niederlagen lernt man bekanntlich, und so gewann Kunzler neun Monate später das Rematch. Dieser Kampf Fand im Februar 1991 in Berlin im Rahmenprogramm der ersten Titelverteidigung von Michael Kuhr statt. Dabei überbot dieser Kampf den Hauptkampf in Sachen Dramatik um einiges. Kunzler dominierte den Kampf klar, fügte seinem Widersacher sogar einen Niederschlag zu. Dennoch war der starke Pole im Laufe der sechs Runden brandgefährlich, schließlich hatte er den Hinkampf im Prinzip nur durch zwei harte Treffer gewonnen, die er diesmal ebenso hätte landen können.
Neuer Umstieg
Während Warchol trotz dieser Niederlage erfolgreich um einen Profititel bei der ISKA kämpfte, beendete Kunzler zwei Jahre später nach einer KO-Niederlage gegen den Berliner Michael Schimmel vorerst seine Karriere im Lager der bezahlten Vollkontakt-Kämpfer. Nun war für ihn wieder das Semikontakt angesagt In dieser Disziplin hatte er auch zwischendurch immer wieder gekämpft. Sein erfolgreichstes Intermezzo legte er 1989 bei einem Pokalturnier in Usingen ein. Hans-Gerd Hinz hatte zu diesem Turnier mit dem Trans-Atlantik-Team von Chuck Merriman die besten amerikanischen Punktkämpfer eingeladen, u.a. Kevin Thompson und Christine Bannon. Mit dabei war auch der farbige Supertechniker Billy Blanks, der in den USA die Szene dominierte und dort selbst der langjährigen Nummer eins Steve „Nasty“ Anderson den Rang abgelaufen hatte. Kunzler gewann über Billy Blanks und nahm die schönsten Pokale seiner Laufbahn mit nach Hause. Bei weiteren Turnieren besiegte er selbst so bekannte Leute wie Hansi Hinz, Heinz Bresser, Peter Aulbach und Klaus Nonnemacher.
WM Sieg in Atlantic City
1993 begann Ralf wieder, einen internationalen Titel in Angriff zu nehmen, die WAlul Weltmeisterschaft in Atlantik City wurde anviziert. Ralf kam in der Qualifikation zunächst nicht so auf Hochtouren, wie man es von ihm aus früheren Zeiten gewohnt war. Dennoch präsentierte er sich im September beim alles-entscheidenden Qualifikationsturnier, dem Deutschlandpokal in Bad Nauheim, in Bestform und siegte unangefochten.
Favoritenrolle
Seine Favoritenrolle für die WM in den USA war klar. Er siegte ebenso wie Oliver Drexler souverän. Im Finale traf er auf den Schweizer Stefan Martin, gegen den er noch einige Monate zuvor beim Swiss Cup im schweizerischen Liestal verloren hatte. In Donald Trumps Taj Mahal ließ Ralf sich von dieser Schlappe jedoch nicht beirren und siegte deutlich um seinen zweiten Weltmeistertitel bei der WAKO zu holen.
Zukunftspläne Für die Zukunft hat der begnadete Fußtechniker, der ebenso gut (aber viel härter) kicken kann wie sein großes Vorbild Bill „Superfoot“ Wallace, noch kein rechtes Bild. Zur Zeit konzentriert sich der gelernte Schloßer, der zwischenzeitlich als Fitneß- und Aerobictrainer jobbte, auf seine neue Arbeit als Immobilien-Kaufmann in einer Darmstädter Firma. Dennoch will er selbst ein Comeback im Profi-Vollkontakt nicht ausschließen. „Wenn ein gutes Ziel vorhanden ist, und ich mich gut vorbereiten kann – warum nicht.“ So kommentiert der 30-jährige Ausnahmesportler seine Zukunftsaussichten, die ihm alle Türen offenhalten.