Mit Pai Lum Kung Fu an die Spitze
Filmfans und Kickboxexperten schätzen den US-Amerikaner Don „The Dragon“ Wilson als einen der besten Kickboxer aller Zeiten. Der 10-fache Weltmeister und Hauptdarsteller in 23 Filmen strebt trotz seiner 44 Jahren ein Comeback als Kämpfer an. Im Mai bestritt er in Los Angeles einen Showkampf über drei Runden, bei dem er erstmals nach 1991 wieder Ringluft schnupperte. Am Tag nach dem Fight führten wir in seinem neuen Haus im Norden von Los Angeles ein Interview, bei dem wir seine Motivation, seinen Background im Kung Fu und seine Pläne für die Zukunft hinterfragten.
Sie sind der einzige bekannte Kung-Fu-Stilist unter den ganz großen Kickboxchampions. Erzählen Sie uns über Ihren Background im Kung Fu.
Ich begann 1972 mit dem Kung Fu. Ich lernte von meinem Bruder James und seinem Partner Fred Schmitz sowie Daniel Pai, den Meister unseres Stils, Pai Lum Kung Fu. Damals lebte ich noch in Florida. Es war kurz nachdem ich unter Chuck Merriman das Goyu Ryu Karate erlernt habe. Ursprünglich habe ich also mit traditionellem Karate begonnen. Der Grund für meinen Schritt zum professionellen Kämpfen fand sich in einem Vorurteil der damaligen Zeit. Man sagte, daß Leute, die Kung Fu trainierten, nicht wirklich kämpfen können. Wenn man auf ein Turnier ging gab es auf der einen Seite die Karatekas mit ihrem weißen Gi und uns in schwarzer Kleidung. Schwarz bedeutete, daß man ein schlechter Kämpfer war. Anfang der siebziger Jahre waren die meisten Turnierkämpfer Karatekas, ein paar kamen vom Taekwondo. Sie hatten für Kung Fu einfach keinen Respekt. Aber genau das machte es für mich so interessant. Ich wollte lernen zu kämpfen und allen beweisen, daß ich es konnte.
Haben Sie eine Idee, warum es damals so große Vorbehalte gegenüber den kämpferischen Fähigkeiten von Kung Fu Stilisten gab?
Die Bewegungen und Techniken, die man aus den Formen kannte, sahen nicht sehr praktisch aus. Sie waren schnell und sahen gut aus, doch die traditionellen Sportler behaupteten, daß sie im Kampf nicht anwendbar waren.
Wie hat das Kung Fu ihren Kampfstil im Kickboxen geprägt? Haben Sie Techniken und Bewegungen übernommen?
Ich glaube schon. Wenn man über mich redet, spricht man automatisch über meine Mobilität. Ich bewege mich sehr gut im Ring und ich habe eine gute Verteidigung. Die Koordination von Bewegung, Gleichgewicht und Technik habe ich aus dem Kung Fu. Es besteht kein Zweifel daran, daß die Formen im Kung Fu viel höhere Anforderungen stellen als z.B. in den traditionellen Stilen. Ich war früher ein viel besserer Formenläufer als ein Kämpfer. Auf jedem Turnier, bei dem ich in den Formenwettbewerben teilnahm, platzierte ich mich unter den ersten drei. Als Kämpfer (Turnierkämpfe im Semi- bzw. Nullkontakt) verlor ich fast alle meine Kämpfe. Durch meine Formen hatte ich eine gute Balance, war flexibel und bewegte mich sehr koordiniert. Diese Schwierigkeiten, das Kung Fu zu beherrschen, haben für mich das Kickboxen einfacher gemacht. Selbst bei dieser Demo, die ich gestern gegeben habe, konnte ich mich sehr gut bewegen. Alle Leute haben gesagt, daß mich mein Gegner kaum treffen konnte, als ich mich bewegt habe. Er konnte mich nicht treffen – das ist ein sehr gute Verteidigung! Auch wenn ich ihn nicht dabei treffen kann, so kann er mir nicht gefährlich werden. Diese Bewegungsfähigkeit habe ich durch mein Kung Fu Training erlernt.
Kann man sagen, daß Kung Fu Stilisten die intelligenteren Kämpfer sind, während die Vertreter der harten Stile eher die physische Stärke demonstrieren wollen?
Ich glaube nicht, daß man das so sagen kann. Es gibt jede Menge intelligenter Leute, die lieber eine Technik blocken, Kraft gegen Kraft, und lieber hart schlagen als gezielt. Es ist eher ein philosophischer Unterschied. Man kann es mit dem American Football vergleichen. Es gibt Menschen, die die Erfolgsaussichten nach dem Paßspiel bewerten, andere halten den direkten Zweikampf für spielentscheidend. Es ist keine Sache der Intelligenz. Ich glaube ohnehin, daß es für viele Leute besser ist traditionelles Karate zu betreiben, denn ihre körperliche Statur ist eher dafür geschaffen.
Haben Sie auch meditiert?
Ich denke, wir haben viel über Meditation gesprochen. Nach jedem Training haben wir uns hingesetzt, die Augen geschlossen und die erlernten Techniken mental nachvollzogen. Es entspannt, baut Streß ab und erleichtert den Körper. Heute setze ich mich nach dem Training nicht mehr mit geschlossenen Augen auf den Boden. Meine Meditation führe ich beim Ausdauertraining durch. Ich komme dabei in einen Zustand, in dem ich meine Gedanken auf den Kampf und Technikabläufe fixiere. Ich denke über die Bedeutung des Zweikampfes nach, etc. Gerade Übungen aus dem Aerobic sind dafür ideal. Man muß auf nichts reagieren, sondern kann seinen Kopf frei machen und sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren. In diesem Sinn kann man sagen, daß ich immer noch täglich meditiere.
Sie sind ein erfolgreicher Schauspieler. Wie hat Ihnen das Training in ihrem Berufsleben geholfen?
Mein Background im Kampfsport hat mir sehr geholfen. Es ist vor allem das Selbstvertrauen, das man durch das Training gewinnt. Als Weiß- oder Grüngurt spürt man dieses Selbstvertrauen wenn man Techniken beherrschen lernt. Je mehr man lernt umso bewußter wird man sich darüber, daß man nicht alles weiß – aber die eigene Einschätzung wird immer bewußter. Das Leben verändert sich schrittweise, genau wie das eigene Können. Keiner bekommt nach dem Weißgurt den Schwarzen Gürtel, und als Meister einer Kampfkunst wird man nicht über Nacht zum Weltmeister. Als Schauspieler ist das ähnlich. Ich halte es für verwegen, von einem unbekannten Darsteller zu einem Star in 20 oder 30-Millionen-Dollar-Produktionen zu werden. Van Damme und Seagal hatten so eine Karriere – heute leiden sie darunter. Nach wenigen Jahren spielen sie jetzt in Filmen, die Verluste einspielen. Weil sie so schnell an die Spitze gelangt sind, hat Ihr Stellenwert die Erfahrung ersetzt. Wenn ich einmal für die großen Studios arbeiten kann, werde ich ein sehr erfahrener Schauspieler sein. Ich habe innerhalb von 10 Jahren 23 Filme gedreht. Ich habe den Vorteil, daß ich mir die Filme auswählen kann um meine Zuschauer zu erreichen.
Was würden sie einem jungen Kampfsportler raten, der Schauspieler werden will?
Als erstes sollte er nach Los Angeles kommen und Schauspielunterricht nehmen. Wenn man Arzt werden will, muß man schließlich auch zuerst Medizin studieren. Glauben sie mir, Arzt zu werden ist eine schwierige Sache, aber es ist bei weitem nicht so wettbewerbsorientiert wie die Schauspielerei. Es gibt nur ganz wenige Filmstars, die wirklich ganz oben stehen. Alle wollen so sein wie Tom Cruise oder Julia Roberts, aber nur wenige kommen so weit. Die ganze Industrie ist hier in Los Angeles, also muß man hierher kommen! Wer hier Fuß fassen will muß den Beruf des Schauspielers respektieren, denn das Handwerk muß gelernt sein.
Heißt das, daß die Fähigkeit zu spielen wichtiger ist als z.B. spektakulär kämpfen zu können?
Sehr viel wichtiger! Es gibt hier eine ganze Menge Kampfsportler aber nur ganz wenige Darsteller unter ihnen. Vor rund 10 Jahren gab es viele Kampfmovies, in denen nur draufgehauen wurde, Action war wichtiger als das Buch oder die Handlung. Zu dieser Zeit, war die Schauspielerei nicht so wichtig. Heute ist das vorbei. Die Leute sind anspruchsvoller geworden.
Wie gut sind die Chancen, als Stuntman zu arbeiten?
Hier gibt es viele Möglichkeiten. Ich kenne viele Kampfsportler, die bekannte Stuntmen geworden sind. Sie haben die besten Voraussetzungen für den Job. Sie können fallen, kämpfen, haben eine gute Koordination. Der Übergang vom Kampfsport Experten zum Stuntman ist recht einfach. Cheryll Wheeler und Dana Hee haben diesen Schritt erfolgreich vollzogen. Ich denke das Business gibt Kampfsportlern ein weites Betätigungsfeld.
Vor vielen Jahren – als sie noch aktiv kämpften – haben sie in einem Interview erwähnt, daß sie nach ihrem Rücktritt im Kickboxen an Formenwettbewerben teilnehmen würden. Ist das richtig?
Ja, das habe ich gesagt! Damals war ich noch sehr auf den Wettkampf konzentriert, so daß ich auch ohne in den Ring steigen zu müssen an Wettbewerben teilnehmen wollte. Was ich damals nicht richtig eingeschätzt hatte, war, daß ich ohne den Wettkampf als Einkommensquelle mich beruflich stark engagieren mußte. Die Schauspielerei wurde viel zeitraubender als ich es zunächst für möglich hielt. Pro Jahr habe ich vier Filme gedreht, wobei ich sowohl in die Produktion als auch in die Nachbearbeitung involviert war. Da war keine Zeit mehr für andere Sachen wie z.B. für Formen.
Werden wir sie dann niemals auf einem Formenturnier als Teilnehmer zu sehen bekommen?
Man soll niemals nie sagen. Ich kehre schließlich auch wieder in den Ring zurück. Ich nehme mir jetzt eine ganze Menge Zeit für mein Training. Hier, sehen sie diese Drehbücher an (deutet auf drei ca. 40 cm hohe Aktenberge auf seinem Schreibtisch) – alle wollen einen Film mit mir drehen und ich kann mir nicht mal ihre Vorschläge durchlesen. Die letzte Kämpfe meiner Karriere sind sehr wichtig für mich, deshalb drehe ich zur Zeit nicht.
Wieviele Kämpfe wollen sie noch bestreiten?
Ich weiß es nicht. Ich nehme einen Kampf nach dem anderen. Wenn ich mich gut fühle, mache ich weiter. Während der Drei-Runden-Demo habe ich mich wohlgefühlt. Mein nächster Kampf wird voraussichtlich in Moskau stattfinden und über 10 Runden gehen. Wie es dann weitergeht, hängt vom Ausgang dieses Kampfes ab.
Wollen sie wieder um einen WM-Titel kämpfen?
Nein, nicht unbedingt. Ich wurde einmal vom Black-Belt-Magazin gefragt, ob ich nicht Angst davor hätte, daß die Leute sagen könnten, ich würde nur des Geldes wegen in den Ring steigen. Ich entgegnete ihnen: Sie können allen sagen, daß ich nur für Geld kämpfe. Es ist der einzige Grund, warum ich in den Ring steige. Ja, natürlich gefällt mir der Lebensstiel eines Kämpfers, den ich über 17 Jahre gepflegt habe. Aber jetzt mit 44 Jahren gefällt mir die Idee, daß ich aufgrund der Popularität, die ich durch meine Filmrollen erhalten habe, durch pay-per-view-TV einige lukrative Kämpfe bestreiten kann, bevor ich vielleicht zu alt dafür bin. Das ist meine wahre Motivation. Ich steige nicht wieder in den Ring, um einen bestimmten Gegner zu schlagen. Ich habe alle geschlagen und jetzt will ich Geld verdienen.
Es gibt Gerüchte, daß ihnen Angebote für die Teilnahme an einer K-1 Veranstaltung vorliegen. Würde sie das reizen?
Sicher. Ich habe mit Art Davie telefoniert, der den amerikanischen K-1 im August in Las Vegas koordiniert. Sie wollen mich als Sprecher für die TV-Übertragung engagieren und später vielleicht einen 5-Runden-Superfight gegen einen ihrer Champions. Die Chancen sind gut, wenn das Geld wirklich stimmt.
Würde sie die Teilnahme am K-1 Preisgeldturnier interessieren, bei dem 3-Runden-Kämpfe absolviert werden?
Nein, überhaupt nicht. Ich bin ein Profikämpfer, der 12 Runden kämpft. Ich glaube, daß der großartige Profiboxchampion Rocky Marciano seine Kämpfe nicht gewonnen hätte, wenn sie nur über drei Runden gegangen wären. Er wäre dann nicht in die Geschichte eingegangen. Ein 5-Runden-Kampf gegen einen K-1-Champion wäre machbar, an eine Turnierteilnahme kann ich nicht denken.
Gibt es einen amtierenden Champion, gegen den sie gerne in den Ring steigen würden?
Ja, eine ganze Menge. Es gibt viele Champions, die eine Herausforderung für mich darstellen würden. Unglücklicherweise sind sie alle nicht in meiner Gewichtsklasse. Bei der Demo habe ich rund 86 Kilo gewogen, und das gegen einen Mann, der sonst knapp 100 Kilo auf die Waage bringt. Es ist nicht meine Gewichtsklasse. Früher habe ich bis zu einem Limit von ca. 79 Kilo gekämpft. Zwölf Jahre war ich Weltmeister im Leicht-Schwergewicht. Heute kann ich bis 86 Kilo sicher ein guter Champion werden. Die wirklich guten Fighter finden sich heute im Schwergewicht. Für mich sind die Jungs zu schwer.
Der Beitrag von Michael Deubner wurde in der Ausgabe 10 / 1998 veröffentlicht.