Bob Breen Jeet Kune Do

Bob Breen

Lernen ist das halbe Leben
Bob Breen über die ständige Entwicklung des Jeet Kune Do

Bob Breen beschäftigt sich seit gut 30 Jahren mit den Martial Arts. Genug Zeit, sich unheimliche Geschicklichkeit auf innovativer Ebene anzueignen. Dieses Attribut verstärkt die Konzepte des Jeet Kune Do und der philippinischen Systeme, welchen er in seinem Heimatland zu großem Aufschwung verholfen hat. Er ist einer von nur zwei „Full-Instructoren“ unter Dan Inosanto (neben Rick Young), die außerhalb der USA leben. Diese Tatsachen lassen ihn zusammen mit seinem lexikonartigen technischen Wissen und seinem angenehmen Humor zu einem der bekanntesten Seminarleiter in Europa werden. Vito Graffagnino besuchte für KUNG FU Breen in dessen Akademie im East End von London, um mehr über seine Gedanken und seine Philosophie über die Martial Arts zu erfahren.

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KUNG FU: Haben sie mit Karate begonnen?

Breen: Ja, so 1966/67 habe ich mit Wado Ryu begonnen. Mein Lehrer war Tatsuo Suzuki. Das habe ich 12 Jahre trainiert. Ich habe oft gekämpft und war Kapitän der britischen AKA Mann-schaft als sie zum Training nach Japan reiste.

KUNG FU: Wie sah das Training in Japan aus?

Breen: Das war so, wie man es von den Japanern kennt: jede Menge Grundtechniken. Sie sind keine großen Erfinder, wie z.B. die Leute aus dem JKD. Ihre Bewegungen haben keinen Fluß, aber sie haben ihre Basis, und die beherrschen sie wirklich gut. Das sagt eigentlich schon alles. Sie üben ihre Grundtechniken sehr gründlich. Durch dieses Training schulen sie ihre Einstellung, ihre Einstellung für Ausdauer, immer weiterzumachen. Das ist ihre wahre Stärke. Ich glaube eine Mischung zwischen diesem und der Aufnahmefähigkeit, wie wir sie in Europa haben, wäre ideal. Je älter ich werde begreife ich, daß alles aus Grundtechniken besteht, die in unterschiedlichen Kombinationen zusammengefügt werden, besonders im JKD. Frank Cucci, einer der Navy Seals in Amerika hat dazu gesagt: „Der einzige Unterschied zwischen Amateuren und Profis besteht darin, daß Profis ihre Grundtechniken besser beherrschen.“

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Trapping beinhaltet harte Finishingarbeit

KUNG FU: Sind sie mit anderen Kampfkünsten in Kontakt?

Breen: Das kam wohl dadurch, daß ich in viele Kämpfe verwickelt wurde. Ich habe gesehen, daß Karate in seiner reinen Form nicht auf alles eine Antwort kennt. Es war zu schön und zu sauber, so daß wir Neues ausprobieren wollten. Mein Interesse galt dem Kampfsport nicht nur dem Karate. Ich habe schon immer Dinge gelehrt wie Naginata, Jo-do, was immer interessant war. Damals hatte ich noch keine richtig guten Lehrer gesehen. In unserem alten Kenbukai Club in Hoxton hatten wir Glück, daß Pat Daly dort trainierte, der ein Schüler von Kenshiro Abe war. Anfang der siebziger Jahre trainierten wir eine Mischung aus Boxen, Judo und Karate.

KUNG FU: Haben sie damals schon von Bruce Lee und seinem Kampfsport gehört?

Breen: Ja, aber genau kann ich mich nicht mehr an das erste Mal erinnern. Ich weiß noch, daß ich seine ersten Artikel im Black Belt (bekanntes US-Magazin) gelesen habe. Seine Artikel zeigten z.B. einen Non-classical-Stand und ich sagte zu mir: „gut, wer macht überhaupt einen klassischen Stand?“ Ich dachte, „yeah, der ist genau wie wir.“ Es dauert bis ich Dan Inosantos Buch über JKD sah um zu sehen, das sie uns voraus waren und ihr Ansatzpunkt viel tiefer lag. Wir hatten eine Mischung, so wie viele andere das heute machen, ein wenig hiervon, ein wenig davon, jedoch ohne großartige Struktur. Das wurde mir erneut bewußt, als ich Dan schließlich traf.

KUNG FU: War das zu dem Zeitpunkt, als sie ihn das erste Mal nach England holten?

Breen: Ja, das war 1979. Ich war völlig begeistert. Was mich besonders faszinierte war sein Kali.

Handkantenschläge und gute Deckungsarbeit
Handkantenschläge und gute Deckungsarbeit

KUNG FU: War das ihr erster Kontakt mit Kali?

Breen: Ich habe seit 1978 Escrima trainiert. Ich trainierte ein wenig unter Bill Newman, Rene Latosa und Jay Dobrin. Sie waren die ersten, die in England Escrima vorstellten. Ich habe einige Zeit mit ihnen trainiert, aber ich war damit nicht sehr glücklich.

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KUNG FU: Warum waren sie damit nicht zufrieden?

Breen: Es war ok, aber es war nicht tiefgründig genug. Dann sah ich Inosanto, das war die wahre Sache. Er machte genau das, wonach ich die ganze Zeit gesucht hatte. Ich begann zu verstehen, wohin ich wollte, denn meine bestimmten Vorstellungen von den Martial Arts wurden voll erfüllt. Inosanto konnte mit Waffen umgehen, Messern, leeren Händen, dabei denken die meisten Leute, daß Kali nur aus Stockkampf besteht. Das ist nicht richtig, Sticks sind nur ein Teil. Es ist die Idee des Kampfes, die Übersicht über die ganzen Kampferfahrung, die ihn von einem Punkt zum anderen fliessen ließ. Es machte ihm nichts aus. Was er auch in der Hand hatte, er kam damit zurecht und ich dachte, das ist genau das, worauf es auf der Straße ankommt. Ich habe Kämpfe gesehen bei denen alles angewandt wurde, auf allen Entfernungen und durch mehrere Angreifer. Das war völlig normal. Nicht etwa, daß ich laufend in diesen Situationen war, aber ich war am Rand davon. Man konnte erkennen, daß alles echt war. Niemand den ich vorher getroffen hatte, konnte die Realität so direkt ansprechen.

KUNG FU: Was kam als nächstes? Waren sie auch in den USA?

Breen: Nun, ich hatte bereits eine erfolgreiche Karateschule. Diese Begegnung änderte jedoch alles über Nacht. Dadurch verlor ich 90 Prozent meiner Schüler, weil ich noch nicht richtig wußte, was ich in dem neuen Konzept vorhatte. Viele haben es einfach nicht verstanden. Es waren nur ein paar Leute aus dem harten Kern, die verstanden, wonach ich suchte. Wie gesagt, wir verloren eine Menge Leute und es dauerte seine Zeit bis ich wieder an einem Punkt angelangt war, wo ich den Leuten ein Gefühl geben konnte, bei dem sie wußten, woran sie waren, mit guten Grundtechniken, einer starken Basis und einer guten Vielfalt. In der JKD-Gemeinde gibt es eine Menge Versuchungen, insbesondere im Kreis von Dan (Inosanto). Die Bandbreite ist so groß, daß man oft nicht an das Tiefgründige kommt. Aber das kann man überwinden, obwohl man viel Erfahrung dazu braucht.

Einflüsse von
den Philippinen

KUNG FU: Dan Inosanto ist weltweit instrumental in der Verbreitung von Kali. Hat er sie angetrieben, selbst nachzuforschen?

Breen: Aber sicher, und das war gut für mich. Er war immer ein Mentor. Trotzdem hat er nie versucht, mich unter sich zu stellen. Er hat mich sogar ermutigt, bei unterschiedlichen anderen Leuten zu trainieren. Früher dachte ich, es wäre, weil er mir etwas nicht zeigen wollte! Er hat mir viele Kontakt auf der ganzen Welt hergestellt. Er ist großartig, er meint, daß man mit jedem Tag wächst. Das ist es, worum es im Leben geht. Das ist es auch, was ich mit den JKD-Leuten gemein habe, die sagen „genau das ist JKD.“ Gut, das ist vielleicht Jun Fan Gung Fu mit seinen Techniken und Ständen. Es ist ein Stil mit Wurzeln im JKD. JKD ist mehr ein Ethos, eine konstante Suche nach Ausdruck seiner Selbst und der Realität der Auseinandersetzung. Das ist der wahre Kern: echter Kampf. Ich weiß, daß einige Leute ihn (Dan) kritisieren, seit er Kali ins JKD eingebracht hat. Dabei ist es genau das Muster von Kali, mit dem wir uns im JKD auseinandersetzen. Dieses System betreibt man seit vielen hundert Jahren. Am Ende des Tages geht es um das Kämpfen. Um effektiv zu sein muß man seinen Kopf benutzen.

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Durch Messerkampf kann man ein besseres Gefühl für den Nahkampf bekommen.

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KUNG FU: Ist das der Grund für die Betonung der südostasiatischen Künste im JKD?

Breen: Ich glaube es gibt kein Volk auf dieser Welt, von dem man sagen kann, daß es ein Monopol auf innovatives Kämpfen hält. Es ist einfach ein kulturelle Eigenart, daß die Länder in Südostasien in einer Zeit gefangen sind, die man mit 1600 in Europa vergleichen kann, und sie dies mit ihrer eigenen Kultur mischen. Wir haben die Chance zu sehen, wie unsere Kampfkünste ausgesehen haben, als wir noch mit Klinge und Messer gekämpft haben. Es ist als würden wir in der Zeit zurück reisen und Fotos davon machen. Im Kali kann man Eroberungstechniken aus der Zeit vor und nach den Spaniern erkennen. Das ist sehr interessant, auch vom kulturellen Aspekt.

KUNG FU: Sind diese spanischen Einflüsse der einzige Unterschied zwischen nördlichen und südlichen Stilen des Kali?

DVD Tip: Jeet Kune Do und Kali 7 – Stock-Techniken

Breen: Soweit ich weiß nicht. Die Filipinos sind schlaue Leute, sie denken: „Oh, das ist eine gute Technik, wir nehmen sie zu unseren dazu.“ Man kann beobachten, wie diese Techniken am Leben gehalten werden, besonders, wenn man sie mit alten Zeichnungen von spanischen und italienischen Fechtern vergleicht.

KUNG FU: Wie würden sie das Training auf den Philippinen beschreiben?

Breen: Das Training auf den Philippinen ist eine Mischung. Es gibt viele kleine Schnipsel von Überlegenheit und einen ganzen Haufen von Mittelmaß. Es ist wie überall, man kann einfach nicht erwarten hinzukommen, um nur den Rahm von der Milch zu bekommen. So einfach ist das nicht. Je mehr Leute man sich anschaut, desto mehr erkennt man, daß man auf Reichweite gehalten wird. Nur wenn man sich an sie bindet, zeigen sie einem die exzellenten Sachen. Ich habe nicht viel mit leeren Händen gesehen. Man kann sagen dieser Teil ist verloren, bzw. existiert jetzt im Pentjak Silat auf den Philippinen, was man dort jedoch nicht viel sieht, aber es ist da.

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Wenn man einen vernünftigen, hohen Stand erreicht hat wird es interessant die großartigen Meister wie Cacoy Canete zu sehen. Seine Bewegungen sind exzellent. Meist ist das alles, was man sehen muß, um seinen Stil zu ändern. Wenn man alle Grundtechniken beherrscht kommt es mehr darauf an die grundlegende Strategie zu erkennen. Man muß beobachten, wie sie ihre Waffen in unterschiedlichen Situationen benutzen. Es ist wie ein Musikstück. Alle spielen die gleichen Noten. Es kommt darauf an, wie sie sie spielen. Das Wichtigste ist offensichtlich nicht getroffen zu werden. Es wird jedoch untermauert von den Aspekten der „Centerline“, dem Vermeiden von „Over-Blocking“ und dem Verständnis für Distanz und Raum. Alle machen dasselbe, nur jeder etwas anders, so daß man denkt, es wären unterschiedliche Stile – aber es sind keine unterschiedlichen Stile. Man muß die Problemstellung kennen und wissen, wonach sie suchen. Vieles hängt von ihrem Körperbau ab. Ich zum Beispiel kämpfe gerne auf naher Distanz. Andere bevorzugen einen großen Abstand, weil sie sich besser bewegen können. Man handelt entsprechend seiner Stärken, auch auf den Philippinen läuft das so. Jeder Schneider näht nach seinen eigenen Vorgaben, so daß es ihm paßt. Eines ist klar: sie lassen sich durch ihre Kunst nicht fesseln. Deshalb muß man erst gute Grundtechniken bekommen, von wem auch immer man lernt. Diese muß man anpassen, sich andere Leute anschauen und mit ihnen trainieren, ansehen, wie sie es machen. Manchmal sieht man ein- und dasselbe vom 12 unterschiedlichen Seiten. Das hilft, die grundlegenden Konzepte zu verstehen. Es ist viel einfacher als nur mit einer Person zu trainieren und nur einen einzigen Einblick zu haben. Ich sage nicht, daß man nicht loyal sein soll. Wenn man einen guten Lehrer hat, und er etwas davon hält, wird er zu euch sagen, hinaus zu gehen und etwas mitzubringen, das er sich anschauen kann. Wenn er Größe besitzt, wird er es seinem eigenen Repertoire anfügen.

KUNG FU: Warum haben sie aufgehört an Wettkämpfen teilzunehmen?

Breen: Es war etwas unechtes. Es ist eine tolle Sache für die Kämpfer, großartig für den Kampfsport. Von der pädagogischen Seite zeigt es, wie schnell alles ist. Es ist toll als ein Teil des Trainings, aber es ist nicht gut als Trainingsschwerpunkt. Es ist auch nicht gut die gegenüberliegende Seite zu benutzen, total traditionell, weil man sonst nie das Chaos wahrnimmt, das Gefühl, daß alles gegen die Wand fährt. Man muß eine Mischung von dem haben. Das ist der Grund dafür, daß wir z.T. Sparring mit Waffen, teils ohne, und viele Drills ausführen. Das Training ist ständig gemischt. Ein persönlicher Grund war, daß es eine Menge Politik gab und ich mich mittendrin wiederfand. Eine ganze Menge guter Zeit des Trainings ging für die Politik drauf. Ich begriff, daß das nicht alles sein konnte. Ich brauche das nicht. Es ist gut aber es gibt viele Leute, die meinen es wäre das wahre Leben. Wenn man einmal ohne Boxhandschuhe auf den Kopf getroffen wird, ändert das alles. Im Wettkampf gibt es keine Stiche, Kniestöße, Kopfstöße, Ellbogen­checks und solche Dinge. Darum ist es für mich keine richtige Kunst. Es ist nur ein Aspekt einer Kunst, und ich rate jedem dazu es einmal zu probieren.

Die Philippinische Kunst und die heutige Kultur des Messer­kampfes

KUNG FU: Es gibt eine Menge Medienrummel um die Kultur des Messerkampfes in unserem Land (England). Man spricht davon, Messer zu verbieten. Was ist ihr Standpunkt? Beeinflußt es ihre Art Waffenkampf zu unterrichten?

Philippinischer Stockkampf Hebel
Breen beherrscht den philippinischen Stockkampf

Breen: Ich glaube, wenn jemand einen umbringen will oder einen erstechen möchte, dann wird er es so oder so tun. Dabei wird er bestimmt keine Kali-Technik anwenden. Ich will niemand empfehlen ein Messer zu führen, weil ich aus eigener Erfahrung weiß, daß man es einsetzen wird, wenn man eins dabei hat. In diesem Moment ist es die beste Waffe, die man hat. Man benutzt immer die beste Waffe, die man einsetzen kann. Aus diesem Grund rate ich niemandem dazu, sich mit einem Messer zu bewaffnen.
Der Vorteil des Trainings mit dem Messer, was heute meine Spezialität ist, liegt im Gegensatz zum Training mit bloßen Händen darin, daß man die Bedeutung von Winkeln und genauer Positionierung mit größerer Präzision erlernt. Als Resultat verbessert sich auch das Kämpfen ohne Waffe und das Trapping. Es bedeutet, daß man Trapping nicht so intensiv trainieren muß, denn man übt es bereits mit dem Messer. Ähnlich ist es, wenn man das Trapping übt, mit ein wenig Abwandlung kann man es für das Messertraining verwenden. Es bedeutet, daß ich aus einer Sache drei Vorteile ziehe. Die Präzision ist das Beste davon.

DVD Tip: Jeet Kune Do und Kali 1 – Einführung

Aus der Sicht eines Lehrers sehe ich, daß viele Leute, die in die Akademie kommen, ein Jahr investieren müssen, um mit einem Messer so umzugehen, daß sie mehr Schaden damit anrichten könnten, als wenn sie ein Küchenmesser ergreifen würden um damit auf jemanden einzustechen. Aber das zeigen wir ihnen sowieso nicht. Es geht darum, ihnen beizubringen welche Möglichkeiten man mit einem Messer hat, damit eine Verteidigung dagegen gelingen kann. Sie zielen darauf, gegen einen versierten Messerkämpfer anzutreten. Messer sind eine großartige Sache. Man braucht keine großartige Übung um mit ihnen stark zu sein.

KUNG FU: Stört es sie, daß es immer noch Lehrer gibt, die weiterhin ineffektive Verteidigungen gegen Messerangriffe lehren?

Breen: Das ist deren Sache. Ich halte es für gefährlich, ihnen etwas zu zeigen, was nie funktionieren kann und mit der Realität nichts gemein hat. Es gibt genug andere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbreche, so daß es mich nicht kümmert, was andere Leute machen.

KUNG FU: Können sie uns die Situationen beschreiben, in denen sie ihr Training in der Realität umgesetzt haben?

Arnis im JKD

Breen: Ich bin eigentlich ein friedfertiger Mensch. So kommt es, daß ich seit meiner Teenagerzeit keine großen Auseinander­setzungen hatte. Die einzigen Male, in denen es nötig war, gingen schnell vorbei. Meine Schüler haben mehr Erfahrung in diesem Aspekt und sie können bestätigen, daß es funktioniert auf der Straße. Wir haben viele Schwarzgurte aus anderen Stilen und Türsteher, die zu uns kommen, und sagen, daß unsere Mischung so gut ist, weil man sich ihrer leicht annehmen kann. Es kommt nicht nur auf die Technik an. Es gibt andere Aspekte für den Zweikampf. Menschen, die sich nur auf ihre Technik konzentrieren, schießen über das Ziel hinaus. So sehe ich das im JKD zumindest. Es geht darum, zu verstehen. Jemand hat mir mal gesagt, er kann all diese Techniken aber er könne sie nicht umsetzen. Ich entgegnete, daß er daran liegt, daß er sich nur auf die Technik konzentriere, während ich weiß, wohin ich mich bewegen muß um die richtige Technik anzuwenden. Ich wähle nicht (zwischen Techniken), sondern ich gehe zur richtigen Position und mein Körper reagiert. Es funktioniert nicht immer aber meistens. Das meinte Bruce (Lee) als er darüber sprach, worauf es beim Zweikampf ankommt. Technik ist nur ein einziger Aspekt. Man muß verstehen, wann, wo und wie man eine Technik ausführt. Das sind die alten Fragen über das JKD. Ich meine, all diese Prinzipien, wie z.B. die kürzeste Waffe zum nahen Ziel, sind toll; sie sind der Kern. Sie sind aber auch außerhalb des JKD bekannt. Ein durchschnittlicher Fechter wendet diese Grundsätze ebenso an wie ein mittelmäßiger Kali-Mann.

KUNG FU: Ist das der Grund dafür, warum es gut ist Waffenkampf zu trainieren?

Breen: Ja, weil es einem Struktur und Plazierung näher bringt. Mit leeren Händen ist das nicht immer so, weil man es nicht so effektiv sehen kann. Meine besten Schüler sind ganz hervorragend im Umgang mit Waffen. Dabei sind sie keine Stickfighter, sondern auch gut im Boxen, z.B. Terry Barnett, Gordon McAdam, Simon Wells. Neil Mcleod, Alex Turnbull und viele andere. Sie können alles gut. Sie sind keine Stick-Spezialisten, aber sie haben gelernt, die Fertigkeiten aus dem Training in andere Bereiche zu übertragen. Einige legen alles auf die Sticks, andere wiederum nicht. Es fokussiert die Gedanken. Der richtige mentale Zustand ist ohnehin die beste Waffe. Es gibt mir auch die richtige Einstellung. Wenn man zunächst gegen eine scharfe Klinge angehen muß, wird die Begegnung mit einem unbewaffneten Gegner viel einfacher.

KUNG FU: Durch die Popularität der UFC und ähnlicher Wettkämpfe wurde das Grappling wieder salonfähig. Wie wichtig ist es für das JKD? Wird den Ideen aus dem Kali gegen mehrere Gegner gerecht?

Breen: Oh, Grappling ist großartig. Ich liebe es. Ich bin sehr froh, daß ich hier in England zwei großartige Lehrer hatte, die mir mit meinem Grappling geholfen haben. Ich denke es ist Zeit, daß Pendel wieder in die andere Richtung schwingen zu lassen, aber einem Rickson Gracie oder einem Rigan Machado kann man nichts streitig machen. Sie kämpften gegen bis zu 400 Herausforderer und besiegten sie alle. Ihre Strategie basiert auf Mann-gegen-Mann Kämpfe. Hier in Hoxton passiert das eher selten, wie auch an anderen Orten. Ich kenne viele Türsteher, die sagen, Grappling funktioniert nicht, weil man den Kopf eingetreten bekommt. Deshalb machen sie es nicht. Es gibt Leute, die nie auf dem Boden kämpfen, aber das ist nicht mein Verständnis für JKD. Bei JKD geht es um Straßenkampf und da sieht die Realität so aus, daß man sich in eine schlechte Position begibt, wenn man auf den Boden muß. Dennoch ist Grappling ein wichtiger Bestandteil der Matrix im JKD. Es ist Teil des Ganzen. Ich denke, jeder sollte es machen. Es verleiht Durchhalte­vermögen, lehrt zu überleben und hart zu arbeiten und es ist eine ehrliche Sache. Beim Grappling gibt es keinen Bullshit. Unter diesem Aspekt betrachtet, ist es einfach großartig. Wenn man es mit Anpassungen aus dem Pentjak Silat und Kali verbindet und in der Beziehung über Gegner denkt, wie man einen Gegner beseitigt um sich dem nächsten zu widmen, dann ist es riesig. Die Idee ist, möglichst viel Schaden anzurichten bevor man runter geht und dann den größtmöglichen Schaden anzurichten, wenn man unten ist.

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KUNG FU: Angesichts der Fülle von Leuten, die von sich behaupten JKD zu betreiben, muß es für einen Neuling schwer sein, den richtigen Lehrer zu finden. Beunruhigt sie die Debatte über das original JKD?

Breen: Wenn ich all diese Leute sehe, die behaupten JKD zu unterrichten, stelle ich mir die Frage: wo waren die in den letzten 20 Jahren? Als Schüler muß man die Qualitäten unterschiedlicher Leute ausprobieren. Den richtigen Ursprung sehe ich auf der Linie von Dan Inosanto. Das war von Beginn an so. Schauen sie sich nur die Qualität der Leute an, die von Inosanto kommen. Sie haben das tiefste Wissen und den weitesten Horizont. Sie trainieren alle hart, bringen gute Schüler hervor. Und überhaupt, wer waren denn die Leute, die man auf den Fotos sieht, die mit Bruce trainiert haben? Trotz allem ist es nicht so wichtig, welche Techniken Bruce benutzte, sondern die Philosophie, die Prinzipien und die Konzepte, die dafür stehen. Die Welt hat sich gegenüber früher verändert. Wenn man sich nur vor Augen hält, was er früher einmal gemacht hat, verfehlt man das JKD völlig.

KUNG FU: Können sie für uns etwas näher auf die Entwicklung des JKD vom original Jun Fan bis heute eingehen?

Breen: Das original Jun Fan war großartig. Was Bruce damit gemacht hat, war, es der Zeit der 60er anzupassen, als jedermann Karate machte. Unter dem zeitlichen Gesichtspunkt halte ich das nicht für das Beste. Alle haben sich weiterentwickelt. Es gibt Pentjak Silat, Thaiboxen, Shoot-Wrestling, Brazilian Jiu Jitsu, alle haben die Martial Arts nach vorne gebracht, so daß man unter zeitlichen Gesichtspunkten sagen müßte, „oh nein, das sind die Techniken von Bruce von damals.“ Das war bis zu einem Punkt ok so, aber nicht daß es unser einziges Ethos wird, weil man sonst nur die Vergangenheit aufleben läßt. Ich würde sagen, daß der Unterschied zwischen Jun Fan und JKD darin liegt, daß JKD mit seinem Erfindungsdrang konstant die Grenzen ausweitet und Jun Fan die Trainingsform von ungefähr 1966 darstellt. Damals hatten sie z.B. noch keine Thai-Kicks. Ich sage nicht etwa, daß Jun Fan nicht gut wäre. Man muß sogar sagen, daß es Gebiete gibt, die heute nicht mehr so gut sind wie früher. Man kann auch zurück gehen und das alte Wing Chun betreiben. Es ist ein einfach annehmbares System solange man „nicht das Wing Chun bestimmen läßt, sondern das Wing Chun bestimmt,“ wie Wong Shun Leung zu sagen pflegte. Es ist also nur ein Werkzeug, wie viele andere Dinge auch. Wenn sie die stärkste Macht haben, dann ist etwas nicht richtig. Als ich vor kurzer Zeit mit Rigan Machado vom Machado Jiu Jitsu trainiert habe – wie sie wissen habe ich Probleme mit meiner Hüfte – sagte er mir: „Mach dir keine Sorgen, das Brazilian Jiu Jitsu werden wir für dich anpassen, nicht dich für das Brazilian Jiu Jitsu.“ Er kennt seine Kunst genau. Ich will damit sagen, er hat 300 Kämpfe bestritten und nur einmal verloren und fühlt sich nicht von seinem Stil eingeengt – so ist auch das JKD. Ja, es braucht grundlegende Konzepte, aber obendrein zählen Erfahrung und Aufnahmefähigkeit und das Talent zu hinterfragen wie man konstante Prinzipien in einer sich ständig verändernden Welt für sich nutzt. Die Veränderungen in der Welt sind ein Symbol für die Herausforderung im JKD. Auch der Zweikampf schlechthin verändert sich ständig. Es ist ein Chaos! Man will das Chaos doch nur ein wenig besser verstehen um eine Reihenfolge zu entdecken. Es ist schwierig, weil man viel trainieren muß, aber gerade das macht die Herausforderung aus.

KUNG FU: Stehen die Anfänge von Bruce Lee mit dem Hintergrund von Wing Chun nicht im Widerspruch zu den starken Einflüssen des Kali und seinen Kampftheorien?

Vito Graffagnino
Unser Mitarbeiter Vito Graffagnino nachdem Training mit Bob Breen.

Breen: Ich glaube, daß alle Kampftheorien unabhängig vom System im wesentlichen übereinstimmen. Auch wenn es unterschiedliche Möglichkeiten gibt einer Katze das Fell abzuziehen, so werden sich im Kern alle ähneln. Das was sie unterscheidet, ist der Ansatz. Ich denke, daß im Wing Chun sehr viele Wahrheiten stecken. Ebenso das Kali. Kali hat eine größere Reichweite, das heißt, man kann es auf naher, weiter und mittlerer Entfernung einsetzen. Für den Kampfgebraucht eines normalen Menschen deckt Kali die wesentlichen Aspekte ab. Aber auch das Wing Chun ist das gut. Ich denke, daß Bruce Aspekte daraus noch heute umsetzen würde, wenn er am Leben wäre. Das Problem beim Wing Chun ist, daß sich die Leute intellektuell zu stark daran binden. Ich kenne viele Leute mit Wing Chun Background, die einfach inflexibel sind. Es gibt Tan Sao, aber ich denke es gibt viele Aspekte aus dem Wing Chun, über die man sich nicht so kümmert, die aber sehr vielfältig sind. Das gleich gilt für Chi Sao, es ist nur ein Spiel. Aber durch Spiele lernt man! Manche Leute denken, sie können einen im Kampf schlagen, wenn sie einen in einem Spiel besiegen.
Das ist aber nicht notgedrungen so. Ich halte Wing Chun für eine gute Sache. Je mehr ich es trainiere, desto mehr erkenne ich, daß ich viele Kernprinzipien im Boxen anwende, die ich für das Kali, Jun Fan und Grappling trainiere. Es sind dieselben Prinzipien. Es ist eine großartige Kunst, weil es diese Bereiche fördert.

KUNG FU: Sie meinen, daß ein weitgefächertes Wissen von Vorteil ist?

Breen: Ja, darum muß man viele unterschiedliche Stile trainieren. Es ist nicht so, daß alle vollständig sind, aber alle verwirklichen unterschiedliche Ideen zu den grundlegenden Konzepten. Offsichtlich bekommt man daraus Erkenntnisse, um den Zweikampf besser zu verstehen. Man muß lernen, weniger hart zu arbeiten um mit minimaler Bewegung zu agieren. Es braucht nicht viel und man kann seinen Gegner zu Boden schicken. Das ist für mich die ganze Kunst: es mühelos aussehen lassen. Es muß nicht aussehen wie eine große, anstrengende Sache. Das macht alle Künstler aus egal ob Kampfkünstler, Musiker oder was auch immer – bei ihnen sieht alles so einfach auch. Ich glaube, daß ist die höchste Form der Kunst.


Bruce Lee Cover Dieses Interview erschien in der vierten Ausgabe der Kung Fu Illustrierten. Die Ausgabe wurde im Sommer 1998 im Zeitschriftenhandel veröffentlicht. Diese Seite dient als digitales Archiv.
Der zweite Teil des Interviews erschien in Ausgabe 10/98.