Taekwondo Weltmeisterschaften 1997

world championships
Weltmeisterschaft Taekwondo
Über 90 Nationen bei der Eröffnungsfeier der Taekwon-do Weltmeisterschaften in Hongkong 1997

Silber für für Marco Scheiterbauer

Trotz der Machtübernahme durch die Chinesen hat sich in der ehemaligen englischen Kronkolonie Hongkong nicht viel geändert. Die meisten Budosportler verbinden die Fernostmetropole vor allem mit dem Kung Fu Stil Ving Tsun und zahlreiche Knochenbrecher-Filme. Die besten deutschen Taekwondo-Sportler flogen im November 1997 jedoch aus einem anderen Grund in diese wunderbare Großstadt. Sie nahmen über fünf Tage vor jeweils durchschnittlich 7.000 Zuschauern an der WM teil. Unter den Zuschauern konnte man auch Eastern-Star Jackie Chan sichten. Die hochmotivierten Akteure gaben sich größte Mühe, neben einem Titelgewinn, hätten sie auch für den Film entdeckt werden können.

Aus über 90 verschiedenen Nationen fanden sich die besten Damen- und Herrennationalteams im Hongkong Collisseum zur 13. Herren und 6. Damen Weltmeisterschaft der WTF ein. Diese WM war die erste Großveranstaltung, die nach der Übergabe vom 1. Juli 1997 unter chinesischer Flagge abgehalten wurde. Sie wurde mit großem Medieninteresse begleitet. Das Training in Hongkong war von der Einstellung der deutschen Kämpfer und Kämpferinnen und der Häufigkeit sehr gut und beschleunigte die Akklimati­sierung und Zeitum­stellung. Jedoch mußte die unmittelbare WM-Vorbereitung mangels geeignetem Trainingsraum im Freien stattfinden.

Deutsches Team WTF
Das gesamte deutsche Team bei der WM 1997 u.a. mit Teamarzt Dr. Dirk Jung

1. Tag: Den Anfang mußte Markus Böschek im Leichtgewicht (-70 kg) aus Kaufbeuren/Bayern, 23 Jahre, machen. Er wurde kurzfristig – vier Tage vor Abflug – für den Titelverteidiger Aziz Acharki, der verletzungsbedingt auf den Start verzichtete, nachnominiert. Markus Böschek, „B-Mann“, Ranglistenerster bis 64 kg, DM-Sieger 1996 (-68 Kg) und Worldcupmedaillengewinner von Kairo, wurde in der ersten Begegnung gegen Krygystan kampflos Sieger. Danach traf Böschek auf Argentinien. In diesem spannenden Kampf überzeugte er routiniert und mit hervorragenden Konteraktionen. Lag er zu Beginn noch mit 2:3 Punkten zurück, stand die zweite Kampfrunde bei 4:5. In der letzten Runde gelang ihm der Anschlußtreffer (30 Sekunden vor Wettkampfende) zum Endstand von 5:5.

Doch der Kampfrichterentscheid ging nicht zu seinen Gunsten aus. Etwas mehr Stabilität und Aggressivität zum Schluß hätten ihm geholfen. Weltmeister in dieser Klasse wurde Tarner Abd ElMonaam, der DM Sieger 1997 aus Ägypten.

Beim Damenteam mußte sich Nicole Hartmann aus München, 25 Jahre, im Leichtgewicht (-60 kg), gegen eine Kämpferin aus Polen behaupten. Dies gelang ihr beeindruckend mit einem 3:1-Sieg. Erst in der letzten Kampfrunde konnte die Polin ihren ersten Treffer erzielen, davor führte Hartmann klar mit 2:0, schließlich sogar 3:0 Punkten. Im Achtelfinale mußte sie sich auf die Koreanerin Hae Eun Kang konzentrieren. Beide versuchten den besten Moment abzuwarten und wurden zu mehr Aktionen ermahnt. Schließlich gelang Nicole Hartmann in der zweiten Runde der erste Führungstreffer. In der letzten Kampfrunde erzielte die Koreanerin jedoch einen leichten Kopftreffer und zwei weitere Punkte. Hartmann mußte sich somit im Achtelfinale gegen die spätere Weltmeisterin aus Korea mit 1:3 Punkten geschlagen geben. Durch diese hervorragende Leistung gegen die Koreanerin konnte Nicole Hartmann ihren Erfolg als Vize-Worldcupsiegerin bestätigen.

2. Tag: Im Fliegengewicht (Herren, -54 kg) startete Aydin Ates, aus Offenburg, 26 Jahre, als „Wiedereinsteiger“ gegen den Nationalkämpfer aus Equador. Ates ging mit seinen schnellen Kombinationen früh mit 2:0 Punkten in Führung. Zum Schluß fehlte ihm allerdings die Routine, um seinen Vorsprung gegen den Equadorianer zu halten. Er mußte sich in einem guten Kampf knapp mit 3:2 Punkten gegen den späteren Bronzemedaillisten geschlagen geben.
Im Fliegengewicht der Damen (-47 kg) setzte sich Fadime Karratas, aus Bielefeld, mit 18 Jahren das „Nesthäckchen“, bei ihrer ersten WM klar gegen Selina Njeri Wamaitha aus Kenia mit einem 7:0-Sieg durch. Die 2fache Europameisterin und Bronze-Worldcup-Siegerin 1997 (Kairo) gab auch ihrer nächsten Gegnerin Minna Kestola aus Finnland, die einen ganzen Kopf größer als sie war, keine Chance. Fadime Karratas gewann deutlich mit 4:0 Punkten. Im Achtelfinale gegen Brasilien gelang es Karratas trotz harter Attacken ihrer Gegner, einen Vorsprung aufzubauen und gegen die aktive Brasilianerin sogar zwei Kopftreffer zu erzielen. Selbst ein starker Dytchagi, der der Brasilianerin regelrecht den Boden unter den Füßen wegzog, wurde als Punkt für Fadime Karratas gewertet. Mit 7:1 Punkten Endstand konnte sie verdient ins Viertelfinale einziehen. Ihre Gegnerin: Song Hee Yoon aus Korea. In der ersten Runde standen sich beide ebenbürtig gegenüber und keine erzielte einen Punkt. Danach ging Fadime Karratas mit 1:0 in Führung. Erst in der dritten Runde gelang der Koreanerin der Ausgleich – durch einem Treffer auf den Armschoner. 1:1. Dagegen wurde ein eindrucksvoller Naeryochagi zum Kopf der Koreanerin kurz vor Ende der Kampfzeit nicht gewertet. Es blieb beim Endergebnis von 1:1. Obwohl Fadime Karratas mehr Aktionen als die Koreanerin gezeigt hatte, ging der Vorteil – wie so oft bei unentschiedenen Kämpfen – an die Koreanerin, was vom Publikum mit lauten „Buh-Rufen“ quittiert wurde. Dies war kein Trost für Fadime Karratas, die knapp an einer Medaille vorbei gegen die spätere Vize-Weltmeisterin ausschied. Fadime Karratas bewies in allen Kämpfen ihr herausragendes Talent und ihre Fähigkeit bei allen Turnieren auf vorderen Plätzen mitzukämpfen.
Sonja Schiedt ging im Weltergewicht (-65 kg), aus München, 23 Jahre, für das Deutsche Team an den Start. Die Bronze-Medaillistin des Wordcups 1997 behauptete sich in der ersten Runde gegen die USA mit 2:1. In der nächsten Runde wurde die Amerikanerin stärker und es kam zu vielen Schlagabtäuschen, was der USA die Führung von 5:4 brachte. In den letzten drei Minuten versuchte Sonja Schiedt den Ausgleich zu schaffen, doch dabei paßte sie kurz nicht auf, erwischte einen Kopftreffer. Die Amerikanerin nutzte dies zu zwei weiteren Treffern, so daß sie mit 4:8 Punkten ausschied.

Diana Creti
Diana Creti (re.) im Kampf gegen Chinnanach nach erfolgreichem Konter

Der 23jährige Marktoberdorfer Marco Scheiterbauer, der vor sechs Wochen in Rom mit Siegen über Korea, Iran, Griechenland und Lesotho Militärweltmeister im Weltergewicht (-76 Kg) wurde, besiegte nach einem Freilos Avihad Bloch aus Israel, der den Südafrikaner hinter sich gelassen hatte, durch klare Treffer mit 10:4 Punkten. Der Powerkämpfer aus dem Allgäu ging voll konzentriert zur Sache. Gegen den Kämpfer Pang Ho-Iam aus Hongkong – mit großem Presseaufgebot – wollte Marco von Anfang an dominieren um den Leistungsunterschied aufzuzeigen. Dies gelang ihm mit harten Paltungtreffern und schnellen Kombinationen. 17:4 lautete das Endergebnis, da half auch kein lautes Anfeuern des Lokal­publikums. Der Viertel­finalkampf gegen den Marokkaner, der sich in einer top Verfassung zeigte, erforderte wieder viel Nerven, da einige Punkte eigenartig vergeben wurden. Hier mußte Marco Scheiterbauer noch kurz vor Schluß zwei Punkte aufholen. Aufgrund seiner sicheren Angriffsaktionen gelang ihm das in lezter Sekunde auch mit 13:12 Punkten. Dies bedeutete den Einzug ins Halb-finale gegen den starken Iraner Madjid Aflak­hamseh, der seine Gegner aus Brasilien, Holland, Italien und Türkei in den Vor-kämpfen klar besiegt hatte. Marco Scheiter­bauer ging von Anfang an aufs Ganze und provozierte einige Schlagabtauschaktionen. Obwohl er mit 2:4 zurücklag, gelang ihm mit Kampfgeist, Flexibilität, Härte und Routine der Ausgleich auf 9:9 zum Ende des zweiten Drittels. Ein klarer Kopftreffer in der dritten Runde, bei dem der Iraner angezählt wurde, zeigte Marco Scheiterbauers Risikobereitschaft, die mit einem 15:12 Sieg belohnt wurde. Das Finale mit dem Weltmeister von Manila, Joes Jesus Marquez aus Spanien, der im anderen Pool mitunter den übergroßen (1,92 m) Koreaner Kim Kyong Hun besiegte, wurde von einigen Begleiterscheinungen geprägt. Die deutsche Coachecke war von einigen Spaniern umringt, wovon einer koreanisch, deutsch, spanisch und englisch verstand und die Absprache verfolgte. Anschließend waren von ihm Coachanweisungen zu hören. Hier versuchte der Teamarzt, Dr. Dirk Jung, sich dazwischen zu plazieren. Die ersten Schlagabtausch­aktionen wurden nur für den Spanier gewertet, so daß Scheiterbauer zwei Punkte hinterherlaufen mußte, was den Kampfverlauf beeinflußte. Trotzdem konnte der Militär­weltmeister aufholen. Da es Joes Jesus Marquez verstand einen Kampf zu stören, war es sehr schwer Punkte zu erhalten. Das Endergebnis lautete am Ende 4:6 Trotzdem war die Freude über Marco Scheiterbauers Silber­medaille im Team riesig. Es kamen viele Gratulanten von anderen Nationen. Der Bundes­trainer Georg Streif sah mit Marcos Bilanz – zwei Worldcupmedaillen, einem Vize- und einem Militär-WM-Titel, sowie der Vizeweltmeisterschaft in Hongkong – seine Weltklasse und Konstanz bestätigt. Er erwartet weitere Steigerung.

3. Tag: Nach einem Freilos kämpfte Claudia Renschlag im Bantamgewicht (-51 kg), 20 Jahre, aus Kerpen, gegen Kuba. Die Deutsche Meisterin wich der Kubanerin anfangs gut aus, schaffte in der zweiten Runde nach Punktrückstand den Ausgleich auf 1:1, konnte ihn allerdings nicht allzulange halten (1:3). Claudia Rettschlag sollte nach Bundestrainer Josef Wagner, nicht so lange mit ihren Angriffen warten und mehr Druck machen. Sie erzielte noch einen zweiten Punkt, doch hatte dies nicht ausgereicht und sie schied mit 2:6 Punkten aus.

Sonny Seidel
Sonny Seidel (re.) im Viertelfinalkampf gegen eine Marokkanerin.

Francisco Martin-Villa ,21 Jahre, aus Hassekoth, vom 1. Gelnhäuser TKD Club, ging in der Bantamklasse (-58 Kg) an den Start. Im ersten Kampf traf er auf Michael Reed aus Neuseeland. Gegen ihn konnte Martin-Villa gleich deutlich mit 3:1 Punkten in Führung gehen, obwohl er mit der rutschigen Matte seine Probleme hatte. Auch in der zweiten Runde baute er seine Führung weiter auf 4:1 Punkten aus. Mit agilen, explosiven und beherzten Angriffsaktionen, die ansatzlos auch mit Doppelkicks zum Einsatz kamen, besiegte er den Kämpfer aus Neuseeland souverän mit einem Endstand von 6:1 Punkten. Danach mußte sich Francisco Martin-Villa gegen Yeung Teddy aus Tahiti behaupten. Auch in diesem Kampf bestimmte der bisher schon sehr erfolgreiche junge Sportler vom 1. Gelnhäuser TKD Club (Jugendeuropameister, Internationaler Dänischer Meister, Internationaler Deutscher Meister und Deutscher Meister) das Kampfgeschehen rationell und ließ dem Nationalkämpfer aus Tahiti keine Chance. Mit einem klaren 3:0-Sieg befand sich Francisco Martin-Villa im Achtelfinale. Dort traf er auf Read Mohammed Naji Amer aus Jordanien. Martin-Villa zeigte sich gegen den Jordanier flexibel und war durchaus ebenbürtig. Die zweite Runde blieb bei 1:1 Punkten unentschieden. In der dritten und entscheidenden Runde übte Francisco Martin-Villa großen Druck gegen den Jordanier aus und blieb an ihm dran. Der Kampf war bis zum Schluß offen und hart umkämpft. Der Sieg ging mit 3:2 Punkten knapp an den Jordanier. Für den jungen Francisco Martin-Villa, der schon mit acht Jahren mit Taekwondo begonnen hatte, war dieses die erste WM-Teilnahme.

Für Sonny Seidel, 29 Jahre, aus Hammersbach, vom Chung-Gun-Haminerbach, stellte dieses Flugticket nach Hongkong bereits die sechste WM-Teilnahme in Folge seit 1987 dar. Sie hatte sich ein Jahr lang intensiv mit durchschnittlich 20 Trainingsstunden pro Woche und speziellen Lehrgängen bei Bundestrainer Josef Wagner und beim Bundesherrentrainer Georg Streif vorbereitet. Im Mittelgewicht (-70Kg) hieß Sonny Seidels erste Gegnerin Sabrina Djarroudi aus Frankreich. Seidel ging klar mit 2:0 in der ersten Runde in Führung, baute diese auf 6:0 in der zweiten auf und gab der Französin auch in der dritten runde keine Möglichkeit für Treffer. Mit einem deutlichen 7:0 Sieg gelangte Sonny Seidel weiter. Ihre nächste Gegnerin war Chang Yi-Mei aus Taiwan – das Damenteam aus Taiwan war unheimlich stark und belegte in der Teamwertung am Ende den zweiten Platz hinter Korea. Die Stärke der Taiwanesin zeigte sich besonders in der zweiten Kampfrunde, nachdem sie den Punktrückstand von zwei Zählern aus der ersten Runde aufholen konnte und kurzzeitig mit 4:3 Punkten in Führung gehen konnte. Seidel behielt einen klaren Kopf und kämpfte konzentriert weiter, so daß es wieder zum Ausgleich von 4:4 kam. In der dritten Runde ging es zwischen den starken Kämpferinnen unheimlich spannend zu. Sonny Seidel schaffte jedoch durch eine klasse Kampfleistung einen 7:5-Sieg über Taiwan.

Marco Scheiterbauer
Vize-WM Marco Scheiterbauer (li.) mit Bundestrainer Georg Streif

Im Viertelfinale gegen die Nationalkämpferin aus Marokko ging es um die lang ersehnte Medaille. Nach der ersten Runde stand es unentschieden, 1:1. Der Kampfleiter hatte kräftig Verwarnungen an Sonny Seidel wegen Nichtigkeiten verteilt. In der zweiten Runde führte Seidel zuerst mit 3:2, dann gelangen der Marokanerin der Anschlußtreffer und sogar der Führungstreffer. Spannend verliefen die letzten drei Minuten. In fast letzter Sekunde erzielte Sonny Seidel den Ausgleich zum 6:6 Endstand. Allerdings entging ihr auch bei dieser sechsten WM ganz knapp eine Medaille, da der Sieg wegen eines Minuspunktes an die Marokkanerin und spätere Vize-Weltmeisterin ging. Die Enttäuschung war groß und Sonny Seidel sagte: „Ich hätte noch cleverer kämpfen müssen“, wobei die Verteilung der Minuspunkte vom Kampfrichter umstritten gewesen sind. Selbst der Coach der Marokkanerin entschuldigte sich für den Sieg nach dem Kampf beim Damenbundestrainer Wagner, der sich des Eindrucks, daß hier politisch eine Medaille für Afrika geschmiedet wurde, nicht verwehren konnte.

Bei den Herren im Mittelgewicht (-83 kg) ging Faissal Ebnoutalib, 26 Jahre, aus Offenbach, vom 1. Gelnhäuser TKD Club, mit großen persönlichen Erwartungen – nämlich eine Goldmedaille – an den Start. Bei der WM in 1993 hatte er bereits im Viertelfinale gestanden – dort allerdings noch in den Landesfarben von Marokko. Der erste Kampf gegen Hussein O.D. Tahleh aus Jordanien war gleich sehr fesselnd. Ebnoutalib ging 1:0 in Führung, der Jordanier schaffte den Ausgleich 1:1, und erhöhte auf 1:2. Der verdiente Ausgleich gelang dem Deutschen erst in der zweiten Runde. In der entscheidenden letzten Runde konnte er sich gegen den starken Jordanier mit 4:3 Punkten durchsetzten. In diesem Endspurt waren neben Faissals exzellenter physischer Fitness starke Nerven gefragt.
Danach stieß er auf den Nationalkämpfer aus Kolumbien. Hier konnte Faissal Ebnoutalib durch geschicktes Angreifen mit 5:2 siegen. Im nächsten Kampf stand ihm der Vize-Worldcup Sieger von Kairo, Zacharias Asidah aus Dänemark, gegenüber. Der Däne versuchte mit allen Mitteln einen Infight zu provozieren, was Faissal Ebnoutalib durch deveres Ausweichen und Täuschungsmanöver verhinderte. Er punktete in der langen Distanz und ließ den Dänen leerlaufen. Mit einem überlegenem 3:1-Sieg befand er sich somit im Viertelfinale. Allerdings war Faissal Ebnoutalib angeschlagen. Er mußte inzwischen am Fuß und am Kinn vom deutschen Teamarzt Dr. Dirk Jung genäht werden. Mit diesen Handicaps und einem Kopfverband trat der Mittelgewichtler gegen den Spanier Ruben Montesinos, der für seine unsauberen Aktionen bekannt ist, an. Die ersten Runde blieb mit 2:2 Punkten ausgeglichen. Danach konnte Faissal Ebnoutalib mit 4:2 Punkten in Führung gehen. Der Spanier kämpfte aggressiver und härter, wovon von Seiten des Spaniers mehrfach Tieftritte und Fauststöße zum Kopf ohne Verwarnung blieben. Trotzdem ging der Hesse mit langen Konterkicks 8:4 in Führung, bevor eine Minute vor Schluß durch einen kleinen Stolperer von Faissal Ebnoutalib der Spanier einen Lucky Punch anbrachte. Er traf mit der Ferse so hart, daß Faissal Ebnoutalib k.o. ging. Mehr Pech kann man in einem Viertelfinalkampf wohl kaum haben. Neben seinen Verletzungen war der Ärger von Faissal Ebnoutalib am knappen Scheitern einfach unbeschreiblich. Doch der Herrenbundestrainer Georg Streif ist zuversichtlich und meinte, daß vom eingebürgerten Faissal Ebnoutalib in Zukunft noch einiges zu erwarten ist.

4. Tag: Diana Creti, aus Nehren, 23 Jahre, konnte im Federgewicht (-55 kg) durch konzentriertes und explosives Kämpfen gegen Shen Xu aus China mit 3:1 Punkten gewinnen. Auch gegen die Finnin Laura Salonen dominierte die Militärweltmeisterin von 1996 und Vizemilitärweltmeisterin 1997 klar mit 4:0 Punkten. Im Viertelfinale fiel Diana Creti gegen Thailand mit zwei Punkten in Rückstand und sie fand irgendwie nicht die richtige Distanz. Zusätzlich wurde sie durch einen gebrochenen Kleinfinger, den sie sich beim ersten Schlagabtausch zugezogen hatte, behindert. In der dritten Runde gelang Diana zwar noch ein Kopftreffer, doch im Endergebnis von 2:5 Punkten reichte es nicht für einen Medaillenplatz aus. Für ihre erste WM-Teilnahme bezeichnete Josef Wagner ihre Leistung als ausgezeichnet.

Özgür Günes, aus München, 21 Jahre, ESV Neuaubing, zeigte sich im Federgewicht (-64 Kg) sehr nervenstark. E reagierte sogar bei einer schlechten Punktewertung gegen den Brasilianer routiniert. Özgür Günes konnte einen 0:2 Rückstand durch gezielte und schnelle Angriffsaktionen, die ihm vor einigen Monaten noch schwergefallen sind, ausgleichen und sogar mit sehenswerten Doppelkicks eine 7:5 Führung aufbauen und gewinnen. Gegen Chung Yuklun aus Hongkong mußte Özgür Günes zusätzlich gegen den Heimvorteil ankämpfen. Dies ließ ihn jedoch unberührt und er bestimmte den Kampfverlauf von Anfang bis zum Ende. Mit einem 10:1 Punktesieg zog Günes ins Achtelfinale ein. Dort erwartete ihn Ricardo Santiago Jr. von den Philippinen. Dieser ausgeglichene Topkampf war durch blitzschnelle Mehrfachaktionen gekennzeichnet und endete mit 5:5 Punkten. Mit etwas mehr Risikobereitschaft ab der zweiten Runde hätte das Ergebnis vielleicht anders ausgesehen. Den Vorteil, den Özgür Günes ebenfalls hätte erhalten können, wurde dem Filipino zugesprochen.

Im Schwergewicht (+70 Kg) der Damen hatte Bettina Hipf, München, 27 Jahre, gleich die Favoritin Hyoung Sook Jung aus Korea zur Gegnerin.. In der ersten Runde trenten sich beide 0:0. In der zweiten Runde gelang der Koreanerin ein Punkt. Hipfs Einsatz war nicht stark genug, so daß sie gegen die spätere Weltmeisterin aus Korea mit 0:2 Punkten ausschied. Gegenüber der zweifachen Weltmeisterin zeigte sie einfach zuviel Respekt. Ihre vorhandenen Chancen nutzte sie nicht entschlossen genug. Teilweise war Bettina Hipf zu überrascht, wenn sie an die Koreanerin schnell ran kam und ließ diese Momente ungenutzt verstreichen. Im Schwergewicht der Herren (+83 Kg) konnte Marcus Nietschke, aus Nürnberg, 29 Jahre, der vor sechs Wochen Vize-Militärweltmeister geworden war, nicht überzeugen wie gewohnt. Gegen Jan Glerup, den dänischen Ex-Europameister, kam er mit seinem Stil nicht durch und versuchte in der dritten Runde einen Kopftreffer zu landen, was auch beinahe gelang. Trotzdem lautete das Endergebnis 0:3 für den Dänen.

5. Tag: Am letzten Weltmeisterschaftstag galt die gesamt Aufmerksamkeit nur noch Tharshni Thevathasan im Nadelgewicht (-43 Kg), 21 Jahre. Die Hildesheimerin mußte gegen die italienische Nationalkämpferin, die amtierende Europameisterin und Bronzemedaillen Gewinnerin der letzten WM, an den Start gehen. Dabei blieben die beiden ersten Runden auf beiden Seiten ohne Punktvergabe, obwohl es einen regen Schlagabtausch gegeben hatte. Erst in der letzten Runde wurden Punkte vergeben und Tharshni Thevathasan mußte sich knapp mit 1:2 gegen Italien geschlagen geben. Bei den Herren blieb das Nadelgewicht unbesetzt, da das deutsche Nachwuchstalent, der 16jährige Mimoun Khaddari, aufgrund einer Verletzung nicht antreten konnte.

Resümee des Damenbundestrainers Josef Wagner:

„Natürlich kann man mit dem Ergebnis, gemessen an den Medaillen, bei den Damen nicht zufrieden sein. Dennoch sollte man die Leistungen differenziert sehen. Das Damenteam bestand aus vier WM-Neulingen – Fadime Karratas, Claudia Rettschlag, Diana Creti und Nicole Hartmann -und vier erfahrenen Teilnehmerinnen. Sowohl bei der ersten Gruppe – Fadime Karratas – wie auch bei der zweiten Gruppe – Sonny Seidel – war eine Medaille und sogar Edelmetall greifbar nahe. Zwei Medaillen war auch die, denke ich, realistische und angemessene Erwartung an diese WM, auch im nachhinein, wenn man sich die Punktestände der unentschiedenen Viertelfinale anschaut. Erfreulich ist der hohe Anteil der gewonnenen Kämpfe bei den WM-Neulingen. Der Abstand zur Weltspitze ist keineswegs größer geworden, wie man aufgrund des Gesamtergebnisses meinen könnte. Die Kämpfe gingen in der Regel sehr knapp und teilweise sehr umstritten an Finalistinnen verloren.“

Resümee des Herrenbundes­trainers Georg Streif

Das Turnierergebnis mit einer Silbermedaille von Marco Schei-terbauer, einem Viertelfinalplatz von Faissal Ebnoutalib und zwei Achtelfinalplätzen von Francisco Martin-Villa und Özgur Günes entsprach nur seiner Minimalhoffnung. Im Interview vor der WM hatte er auf die Frage, welche persönlichen Erwartungen er an die WM hat, geantwortet: „Die maximale Leistung innerhalb unserer Möglichkeiten, die mit ein oder zwei Medaillen belohnt wird und eine gerechte Bewertung von den Kampfrichtern.“ Streifs Kommentar nach der WM: „Eine zweite Medaille wäre möglich gewesen. Der 7. Platz unter ca. 90 Nationen in der Nationenwertung hinter Korea, Spanien, Taiwan, Iran, Ägypten, Türkei, Kuba und Frankreich, vor z.B. Dänemark, Mexiko, Italien, Griechenland, USA, Brasilien und Schweden spiegelt den momentanen Stand hinter den „Profinationen“, bei denen eine soziale Absicherung und hohe finanzielle Anreize für die Sportler über viele Jahre hinweg bestehen, und vor den „Amateurnationen“, die ähnliche Bedingen wie wir haben, wieder. Aus europäischer Sicht gab es nur drei Medaillen für Spanien, zwei für Frankreich, zwei für Türkei, eine für Griechenland und eine für Deutschland. Dies dokumentiert den dichten Leistungsstand. Dänemark, Holland, Schweden (noch unter den ersten fünf bei der Europameisterschaft 1996 gewesen) Italien, England, Österreich gingen trotz guter Leistungen leer aus. Die Turnierleistung der meisten Athleten mit insgesamt 12 gewonnenen Kämpfen bezeichne ich als teilweise sehr gut und ausbaufähig. Hiermit bin ich mit einer gleichzeitigen Erweiterung unser Struktur sehr zuversichtlich. Jedoch müssen wir realistisch innerhalb unseres Rahmens, mit den Mehrfachbelastungen unserer Kämpfer, kalkulieren. Wir müssen Ausbildung und Beruf unserer Kämpfer immer mit in die Trainingsplanung einbeziehen und dadurch teilweise mit Kompromissen leben. Wer am Tag 8-10 Stunden arbeiten muß, kann nicht noch 6-7 Stunden am Tag, wie es bei den koreanischen Nationalkämpfern die Regel ist, trainieren.“ Ob sich diese Situation vielleicht im Hinblick darauf, daß Taekwondo erstmals bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000 ins offizielle Programm aufgenommen wird, ändert, wird das Interesse der Öffentlichkeit am Taekwondo zeigen.

Kicksider 1998
Dieser Turnierbericht erschien in der Kick Ausgabe 1998/01, veröffentlicht im Dezember 1997.
Verfasserin: Sabine Weigel.
Der Artikel dient zu Archivzwecken.