Viele Kampfsportfreunde träumen vom Leben und Training in Japan. Knallhartes Training und das Erlernen „geheimer“ Techniken, die in Deutschland keiner kennt, werden oft damit assoziiert. Darüber hinaus kommt noch die geistig-ethische Komponente hinzu, und nach kurzer Zeit ist man sowohl perfekter Kämpfer als auch Weiser. So oder ähnlich wird es uns auch in zahlreichen Kampfsportfilmen vorgeführt. Doch die Wahrheit sieht anders auch. Wir haben uns in Japan umgesehen, und dort Ausländer, die in Japan als Uchi Deshi (innere Schüler, d.h. sie leben im Dojo) ihr Dasein fristen, interviewt. Aber nicht bei irgendeinem Karateverein, sondern im Kyokushinkai Honbu Dojo, dem härtesten Dojo der Welt (zumindest wird das Kyokushinkai Karate von vielen als das „härteste Karate der Welt“ bezeichnet, und so ist anzunehmen, daß das Honbu Dojo das Härteste der Welt ist). Die Interviewpartner waren auch nicht einfach irgendwelche, sondern sehr bekannte Sportler.
KICK: Können sie sich bitte für unsere Leser kurz vorstellen?
Pettas: Mein Name ist Nicolas Pettas. Ich komme aus Dänemark, bin 24 Jahre alt, betreibe seit zehn Jahren Karate und bin Träger des dritten Dan. Ich war EM 1995 und Fünfter bei der Weltmeisterschaft 1995. Bei den Karate World Games 1997 bin ich Superschwergewicht Dritter geworden.
O’Neill: Mein Name ist Gary O’Neill. Ich bin Australier und 23 Jahre alt. Ich mache seit elf Jahren Karate und besitze ebenfalls den dritten Dan. Ich war zweimal Australischer Meister im Mittelgewicht. War 1996 und 1997 Zweiter bei den Japan Open und Vierter bei der WM 1995.
KICK: Wie lange sind sie schon in Japan?
Pettas: Seit sieben Jahren, wovon ich die ersten vier Jahre als Uchi Deshi gelebt habe.
O’Neill: Ich bin seit zwei Jahren hier.
KICK: Wie sind sie nach Japan gekommen?
Pettas: Mit 14 Jahren begann ich Kyokushin Karate bei Humberto Budtz in Dänemark. Nach anderthalb Jahren Training habe ich ihm gesagt, daß ich nach Japan zum Training möchte. Er hat daraufhin nur gelacht. Er war selber ein Jahr in Japan gewesen, und wußte wohl warum. Später fragte ich ihn noch einmal, und er meinte ich solle es einmal versuchen. Ich schrieb einen Brief an das Honbu Dojo, und Oyama Sosai schrieb zurück, daß ich im April kommen könne. Das Uchi Deshi Programm im Honbu Dojo dauert drei Jahre. Nach den drei Jahren fragte mich Oyama, ob ich nicht bleiben wolle. Ich sagte, ich habe kein Geld, und er antwortete mir darauf, daß ich im Honbu Dojo unterrichten könne, um mir so mein Geld zu verdienen. Also blieb ich.
O’Neill: Ich war schon in Australien mit 16 uchi deshi. Mein Lehrer, Cameron Quinn, war oft in Japan, spricht Japanisch und kennt die japanische Mentalität gut. Deshalb hatten wir auch in Australien die Möglichkeit uchi deshi zu werden. Damals trainierte ich zweimal am Tag.
KICK: Wie sieht ein typischer Uchi-Deshi-Tag aus?
Pettas: Um 6:30 beginnt man mit dem Reinigen vor dem Dojo. Von 7:00 bis 8:00 ist das erste Training. Meist Kondition, Laufen, Gewichtstraining. Um 8:30 gibt es Frühstück. Um 9:30 findet die Morgenzeremonie statt. dabei versammeln sich alle uchi deshis und Instruktoren im Dojo, Kancho Matsui kommt und verliest den Tagesplan. Das ist aber nichts Außergewöhnliches, das gibt es in japanischen Firmen auch. Danach gibt es noch zweimal Trainingseinheiten, an denen die uchi deshis teilnehmen müssen. Daneben gibt es noch besondere Trainingseinheiten: Kampfklassen, Schwarzgurtklassen, usw. Als uchi deshi muß man auch oft die Kinderklassen unterrichten, oder Aushilfsarbeiten leisten, z.B. die Weißgurte beim normalen Training unterrichten.
KICK: Welche Probleme gibt es dabei?
Pettas: Das größte Problem ist, daß man kein Privatleben hat. Als uchi deshi muß man 24 Stunden am Tag bereit sein. Man muß seinen Sempai (Höhergestellten, Höhergraduierten) immer zu Diensten sein, man darf nicht langsam gehen, man muß immer laufen. Ein weiteres Problem ist die Sprache. Als ich nach Japan kam, konnte ich kein Japanisch, was den Umgang mit den anderen uchi deshis unglaublich schwierig machte. Dazu kam der psychische Druck. Jeder der uchi deshis wollte der Beste sein, es gab großen Konkurrenzkampf. Besonders gegenüber der Nichtjapanern. Im Training verprügeln dich deine Sempais. Der mentale Streß war am Anfang das Schlimmste. Auf die körperlichen Anstrengungen war ich gut vorbereitet als ich hier her kam, aber auf die mentale Seite nicht. Nach einem Jahr ging es dann. Da machte ich meine Schwarzgurtprüfung. Als Danträger hast Du wieder ein normales Leben. Wer mir sehr half war Sosai Oyama. Er baute mich immer wieder auf. Zum Vorzeigen von Mae-keage holte er mich zum Beispiel vor, obwohl ich noch Farbgurt war und dort dritte und vierte Danträger saßen. Ich war damals schon gut gedehnt, und so war es kein Problem das vorzuzeigen. Aber als ich die Gesichter der Schwarzgurte sah, dachte ich mir, daß sie mich umbringen werden. Später, als ich selber Danträger war, geschah mir das selbe. Sosai holte nicht mich zum Vorzeigen hinaus, sondern irgendeinen von ganz hinten. Er spielte mit deiner Psyche, er wollte dir zeigen, daß du nie aufhören darfst zu trainieren.
O’Neill: Der härteste Teil war die Sprache, und wie Nick schon gesagt hat, die zwischenmenschlichen Beziehungen. Als ich hierher kam hatte ich schon einige australische Freunde, die hier waren und auch über meinen Lehrer Cameron Quinn bekam ich einige Leute vorgestellt. Was sich zu Australien sehr unterscheidet, ist der Respekt gegenüber den Sempais. In Australien ist der Umgang eher locker. Nach dem Training gehst du zusammen mit dem Trainer ein Bier trinken. Aber hier in Japan geht das nicht. Hier ist alles streng hierarchisch gegliedert, und aus dieser Gliederung kannst du nicht ausbrechen. Dazu kommt, daß dich die Leute hier testen wollen, wie gut du wirklich bist. Bevor ich hierher kam, war ich zweimal australischer Meister, also wollten sie es von mir genau wissen. Ich kickte sie einfach zum Kopf, und somit war die Sache erledigt (lacht).
Pettas: Zu bedenken ist auf jeden Fall, wenn man hierher kommt, daß Japan extrem teuer ist. Von dem Geld, das ich hier in einem Monat brauche, könnte ich in Dänemark lange leben. Dazu kommt noch der Streß von den Leuten. Tokyo ist eine Großstadt mit beinahe 15 Millionen Einwohnern. Es sind einfach überall Menschen. Wenn man das nicht gewohnt ist, kann einen das ganz schön fertigmachen. So gesehen, war das Training für mich immer eine gewisse Flucht aus der Realität. Wenn ich mit den anderen im Dojo stehe und meine kiais mache, fühle ich mich einfach wohl.
KICK: Wie unterscheidet sich das Training in Japan zu westlichen Training?
O’Neill: Man macht hier viel mehr Wiederholungen. Es ist eintöniger als z.B. in Australien. Man macht jeden Tag dasselbe. Zu Hause war man immer bemüht, jedes Training abwechslungsreich zu gestalten, in jedem Training etwas Neues zu bringen. Das gibt es hier nicht.
KICK: Beim Wettkampf ist Kyokushin bekannt dafür „japanlastig“ zu sein. Oftmals ist es fremden Kämpfern nicht möglich gegen Japaner zu gewinnen, da alle Kampfrichter Japaner sind. Viele namhafte Kämpfer wie Andy Hug, Michael Thompson, Gerard Gordeau oder Peter Smit haben deswegen mit dem Kyokushin aufgehört. Was sagt ihr dazu?
Pettas: Das stimmt schon, aber ich glaube, man muß sich dem System beugen. Auf längere Sicht macht uns das stärker. Wenn wir unser Bestes geben, und wir können trotzdem nicht gewinnen, müssen wir uns das nächste Mal eben noch mehr anstrengen. In letzter Zeit hat es aber hier auch viele Änderungen gegeben. Der Sport ist fairer geworden. Unter anderen auch, weil die Japaner sehen, daß wir uns nicht unterkriegen lassen.
O’Neill: Bei den All Japan wurden die Kämpfer in den letzten Jahren z.B. gezogen. das hat es früher nicht gegeben, da wurden alle gesetzt. Aber man sollte wenn man verliert nicht das System beschuldigen. Da macht man es sich zu einfach. Man muß an sich selber arbeiten, und versuchen immer stärker zu werden.
KICK: Das waren schöne Abschlußworte.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg.
Pettas: Vielen Dank. Den können wir auch brauchen.
Das Interview leitete unser Japan Korrespondent Horst Kalcher. Es erschien in der Januar Ausgabe 1998.