Wing Chun: Italo Camp 1997

Wing Chun Seminar

Stetano al Mare ist eine kleine Hafenstadt an der italienischen Riviera und der Austragungsort des ersten Italienseminares vom DWCV-Deutscher Wing Chun Verband. Fast das ganze Jahr scheint hier die Sonne und ein leichter vom Meer kommender Wind sorgt für angenehme Temperaturen in den September hinein. Nach einer fast zehn stündigen Anreise, waren alle Teilnehmer am Seminarort angekommen. Es war früh am Morgen, die erste Trainingseinheit war für 16 Uhr vorgesehen – Zeit genug, um sich von der langen Reise auszuruhen. Pünktlich rief Sifu Filbrandt, Cheftrainer für Europa des Deutschen Wing Chun Verbandes, die Teilnehmer zum Training auf. Das Teilnehmerfeld bestand vorwiegend aus Lehrern und Lehreranwärter des DWCV.

Desweitern waren italienische Wing Chun Anhänger verschiedener Stilrichtungen, sowie Vertreter der italienischen Polizei von Imperia angereist. Nach der Bekanntgabe des Seminarverlaufs wurde sofort mit dem Training begonnen. Die Teilnehmer wurden je nach ihrem Ausbildungsstand eingeteilt. Jede Trainingseinheit beinhaltete zu Beginn Schlagserien. Sie galten der Verbesserung des Basisfauststoßes (Pal Kuen), ein Fauststoß mit gleichzeitiger Schutzfunktion aus der Chum Kiu Form, welcher oft als Kettenfauststoß fehlinterpretiert wird. Sifu K. Filbrandt setzte anfangs 500er Serien an, steigerte jedoch im Verlauf des Seminars die Belastung bis auf 1.300 Wiederholungen pro Trainingseinheit. Nach den Schlagserien stand Formtraining auf dem Programm. In der ersten Woche widmete sich Sifu Filbrandt ausschließlich der Siu Lim Tao – der ersten Form im Wing Chun Kung Fu. Hier legte er besonderen Wert auf die Methoden der Steuerung von Kräften, Energiearbeit und Winkelmechanik. Ferner wurde auf den Energieaufbau im „Horsestand“ (Basisstand) eingegangen. Anschliessend befaßten sich die Teilnehmer mit Übungen, Lap Sao und Chi Sao. Zum Ende der ersten Woche legten drei Lehreranwärter des DWCV die Prüfung zur Grundstufe (C-Lizenz) erfolgreich ab. Die zweite Woche umfaßte die zweite Form im Wing Chun Kung Fu – die Cham Kiu. Wing Chun Kung Fu ist ein auf sich aufbauendes und geschlossenes System. Hat man die Siu Lim Tao nicht wirklich verstanden, kann man die Cham Kiu nur als Tanz benutzen. Ein Zitat von Grandmaster Yip Man sagt: „In der Siu Lim Tao finden wir Geist und Absicht des Wing Chun Kung Fu“. Durch die Prinzipien wie „Brückenarme“ oder „Kombinierte Kräfte“, die in der Cham Kiu zum tragen kommen, lassen sich Angriffe unmittelbar zerstören. Die Teilnehmer staunten nicht schlecht, als Filbrandt Anwendungsbeispiele aus der Cham Kiu demonstrierte. Zum ersten mal sah man „andere Wirklichkeiten“! Besonders unsere italienischen Freunde waren überwältigt, ein Wing Chun dieser Art hatten sie zuvor noch nicht gesehen. Es unterscheidet sich von den ihnen bekannten Auslegungen. Die Fassungslosigkeit erreichte ihren Höhepunkt als er Anwendungen zeigte, wie simpel man diese gefürchtete Waffe stoppen konnte. Als er dann noch zu verstehen gab, daß es im klassischen Wing Chun der Yip Man Linie diese Art der bekannten Kettenfauststöße eigentlich gar nicht gibt, war man nicht mehr zu halten, um es selbst auszuprobieren, die eigenen mitgebrachten Kettenfauststöße so stoppen zu können. Was für Gesichter! Mit dieser Erfahrung wand man sich dem Üben des Yat Tze Chung Kuen zu, ein Fauststoß von zerstörerischer Wirkung, die ebenfalls eine Schutzfunktion beinhaltet. Gegen Ende des Seminars waren alle Teilnehmer sichtlich erschöpft, jedoch hochzufrieden mit der Entwicklung, die sie innerhalb dieser zwei Wochen durchlaufen haben.

Kicksider 1998

DWCV:Roberto Laura.
Erschienen als Nachricht in KICK Ausgabe 01/1998.
Veröffentlicht im Dezember 1997.