Mr. Busy
Vor zwanzig Jahren wurde die WKA mit dem Gedanken, amerikanisches und asiatisches Kickboxen zu verbinden, gegründet. Damals wurde aus diesen Gründen nur Kickboxen mit Lowkick gekämpft. Die Asiaten wollten nicht nur zum Oberkörper schlagen, den Westlern waren Lowkick und Knie zu viel und so einigte man sich auf die goldene Mitte. Soviel zum Stand vor zwanzig Jahren. Mittlerweilen gibt es innerhalb der WKA auch Voll-, Leicht- und Semikontakt, genauso wie Formen, Kick- und Thaiboxen. Seit Dezember 1993 liegen die Geschicke des vielleicht größten Kickboxverbandes in den Händen eines Mannes: des Engländers Paul Ingram.
Über die Töchter zum Kampfsport
Die Kampfsportkarriere Paul Ingrams begann spät. Erst mit 43 Jahren führte den Immobilienmakler der Weg in das Gym von Kash Gill in Birmingham, und das noch dazu auf dem Umweg über seine beiden Töchter. Diese hatten Probleme in der Schule, sodaß der Vater beschloß, daß Kampfsport sie wieder auf den rechten Weg bringen würde. Das Interesse der Töchter am Kampfsport war nach einiger Zeit wieder verflogen, wen es aber voll erwischt hatte war Paul Ingram selbst. Zusammen mit Kash Gill wollte er sich sogar vorbereiten, um selbst in den Ring zu steigen. Den ersten großen Einstieg ins Kickboxgeschäft hatte Ingram dann doch außerhalb des Ringes. Zusammen mit Howard Brown (Ex-WKA und WAKO Champion) organisierte er den Titelkampf Kash Gill gegen den Australier Alex Tui.
Die Veranstaltung war zwar ein voller Erfolg, was Ingram aber enttäuschte war die Tatsache, daß man die Medien nicht für Kickboxen begeistern konnte. So gründetet er kurzerhand die Stuart Promotion die zwischen den Jahren 1991 und 1993 zum weltweit größten Promotor aufstieg. Ein Grund dafür war der berufliche und finanzielle Background, denn mit einer halben Million Pfund war Ingram nicht auf Sponsoren angewiesen. 1993 veranstaltete er sechs Shows, die alle große Erfolge wurden und vom Fernsehsender Sky Sport, mit dem mittlerweilen einen Vertag geschlossen hatte, 15 Stunden lang ausgestrahlt wurden.
Der Weg zum Präsident
Aufgrund dieser Erfolge und seiner Kontakte war ihm bald der Posten des Marketing Officers der WKA sicher. Die große Überraschung erfolgte im November 1993. Der alte Weltpräsident der WKA, der Kanadier Dale Floyd, wurde Chefherausgeber eines Kampfsportmagazins und konnte sich nicht mehr genügend um die WKA kümmern. Der freie Posten wurde Paul Ingram angeboten. Im Dezember 1993 übernahm er diesen Posten auch. Doch nicht alle schienen mit dieser Entscheidung einverstanden zu sein, denn gleichzeitig spaltete sich ein Teil der WKA um Fred Royers ab und gründete einen eigenen Verband, die WKC heute IKKC. In den ersten sechs Monaten Ingrams Präsidentschaft gab es keinerlei Zuwachs zur WKA. Vielmehr schienen alle abzuwarten und zu beobachten, wer sich als die stärkere Organisation entpuppen würde. Letztendlich konnte sich doch Ingram und die WKA durchsetzten. Hatte die WKA bei Ingrams Amtsübernahme 25 Nationen, von denen allerding nur zehn kontaktierbar waren, so sind es heute bereits 76. Für Ende nächsten Jahres sind sogar hundert Mitgliedsnationen geplant. Laut Ingram konnten in den ersten drei Jahren ein starkes Fundament gelegt werden, auf das nun aufgebaut werden kann. Ein weiterer Vorteil der WKA bestehe darin, daß sie auf Grund der finanziellen Stärke sich voll darauf konzentrieren könne, den Sport zu promoten, und nicht wie bei anderen Organisationen das Hauptaugenmerk darauf liege, Geld zu machen.
Zukunft liegt in der Technik
Doch nicht nur darauf soll gebaut werden auch die Wichtigkeit der Technik wurde von Ingram erkannt und unterstützt. So ist die WKA mit 40 Seiten im Internet vertreten, mittels Computer Network ist die derzeit weltweit größte Datenbank an Kämpfern vorhanden, über ISDN Telefonleitungen können Bilder über die ganze Welt verschickt werden, ein Video Grappling System ermöglicht es, aus jeden Video genau den Moment heraus zu filtern den man haben möchte und auf Fotoqualität ausdrucken zu lassen. Die größte Errungenschft der WKA soll aber ein motorisierter Satellit mit sechs Metern Durchmesser werden, der es ermöglicht, weltweit alle Sendungen über Kickboxen zu empfangen. Desweitern sollen in den nächsten Jahren die Profile aller Kämpfer ins Internet kommen. Und natürlich sollen auch die Medien nicht vernachlässigt werden. 1997 soll die WKA wieder vermehrt ins Fernsehen und auch im Pay-Per-View verstärkt angeboten werden. Die Druckmedien werden auch in Angriff genommen. Für die nächsten Jahre ist ein internationales Kampfsportmagazin geplant, daß sich hauptsächlich mit den Aktivitäten der WKA befassen soll. Dies alles sei nur möglich, so Ingram, weil die WKA eine feste Struktur habe und nicht aus irgendeinem Wohnzimmer aus regiert wird. Derzeit gibt es vier fixe Angestellte, darunter auch einen Graphik Designer, welche die Geschicke der WKA lenken. Der Zukunft sieht Ingram optimistisch entgegen. Man habe einen Fünf-Jahres Plan erstellt in dessen vierten Jahr man sich im Moment befinde und sei schon weit über die vorgenommenen Ziele gelangt.
Beschäftigster Präsident der Welt
Obwohl alles wie am Schnürrchen läuft, lehnt Ingram sich nicht zufrieden in den Polstersessel zurück. Über das Jahr ist er mehr im Flugzeug zu finden als sonstwo. Gleich nach der WM in Prag flog er nach Australien, um sich dem neu erworbenen Mitglied Papua Neuguinea zu widmen. Im November findet die EM im Voll-, Leichtkontakt und Kickboxen in Dänemark statt, und zu Weihnachten ist er im Kreml eingeladen um mit dem russischen Sportminister über eine Strukturierung des Kickboxens in Rußland zu beraten. Im Februar findet in Südafrika die Weltmeisterschaft im Voll- und Leichtkontakt statt, dazwischen heißt es noch einen kurzen Abstecher nach Thailand zu unternehmen, um die WKA auch in Asien anzukurbeln. Wie man sieht, ein volles Programm für Paul Ingram. Sein größtes Ziel bleibt, dem Kickboxen die Anerkennung zu geben, die ihm zusteht. Für ihn verbindet Kickboxen die Technik eines Boxers, die Dehnung eines Turners und die Kondition eines Zehnkämpfers. Zukünftigt wünscht er sich Wettbörsen in Millionen Dollar Höhe um Kickboxen in die Reihe der anderen großen Sportarten wie Tennis, Boxen oder Basketball aufsteigen zu lassen. Dafür sei es aber von Seiten der Veranstalter wichtig Individuen zu promoten. Nicht die Organisation, sondern der Sportler solle im Vordergrund stehen. Nach wie vor betont Ingram, daß drei Sachen notwendig sind um ein guter Präsident zu sein: Ehrlichkeit, Liebe für den Sport und ein gewisser finanzieller Hintergrund um unabhängig zu bleiben. All diese drei Eigenschaften besitzt Paul Ingram und wie die letzten Jahre bewiesen haben, befindet er sich auf dem richtigen Weg. Es bleibt ihm nur zu wünschen, daß er seine Ziele erreichen wird.
Dieses Feature erschien in der Ausgabe 01-02 1997. Es war die meistverkaufte KICK Ausgabe mit einem deutschen Sportler auf dem Titelbild.
Text & Fotos: Horst Kalcher.