Burton Richardson: JKD kennt keine Grenzen

African Escrima Zulu Waffen unterscheiden sich durch ihre Form und einen Schild von den bekannten Escrima Stöcken.
Burton Richardson
Escrima und Stockkampf sind seine Kali Spezialitäten

Eine Gruppe von Schülern übt Drills im Stockkampf. Plötzlich tritt ihr Meister Burton Richardson hervor und erklärt die genaue Anwendung der Kombinationen. Die Techniken gewinnen an Bedeutung. Von einer Sekunde zur anderen dienen die Stöcke Schlagtechniken, dann als Würgewaffe, wenige Sekundenbruchteile später liegt der Angreifer ausweglos am Boden. Die Schüler staunen und beginnen erneut zu üben. Ihr Meister läßt ihrem Eifer freien Lauf und korrigiert ihre Fehler bis auch sie die Kunst des Kali beherrschen. Würde man dem jungen Meister auf der Straße begegnen, würde man sich nie vorstellen können, daß er einer der besten Kali-Fachleute in Amerika ist. Lesen sie auf den folgenden Seiten sein Porträt.



Burton sieht aus wie man sich einen typischen California-Boy vorstellt: locker, offen im Umgang mit seinen Mitmenschen, immun gegen Streß und Hetze – ständiger Sonnenschein ist für ihn seit seiner Geburt selbstverständlich. Wenn man ihm auf der Terasse vor seinem Dojo in Hermosa Beach, ca. 50 km südlich von Los Angeles, begegnet, sieht man ihm zunächst nicht an, daß er ein Vollblut-Kampfkünstler ist. Dazu wirkt er zu ausgeglichen, zu nett und zu ruhig. Doch wer die einschlägige Fachpresse in den USA verfolgt, wird Burtons Stellenwert im Jeet Kune Do kennen. Er hat zahlreiche Lehrvideos gedreht, viele Fachartikel in bekannten Magazinen auf der ganzen Welt veröffentlicht und mit „Jeet Kune Do Unlimited“ ein Buch verfaßt, das seit Sommer 1998 im Handel erhältlich ist.

African Escrima
Zulu Waffen unterscheiden sich durch ihre Form und einen Schild von den bekannten Escrima Stöcken.

Als einer der wenigen Kampfsportler, die heute in und um Los Angeles leben, ist Burton Richardson tatsächlich in Südkalifornien geboren und aufgewachsen. Die meisten anderen stammen aus weit entfernten Staaten und sind hauptsächlich wegen der Aussicht im Filmgeschäft Fuß zu fassen nach Los Angeles gezogen. Sein Hausstil ist das Jeet Kune Do, das er seit 1980 als seine erste Kampfsportart betreibt. Seine Trainer waren gleich die besten Meister, die man sich vorstellen kann: der bekannte Dan Inosanto (siehe Interview in dieser Ausgabe) und Richard Bustillo. Seine erste Freundin, die bereits an der Akademie von Dan Inosanto trainierte, nahm den 17jährigen nach den Sommerferien mit zum Training. „Es war großartig,“ erinnert sich Burton. „Wir trainierten hart mit viel Kontakt und Sparring.“ Er begriff schnell das Konzept des Jeet Kune Do, wonach vor allem die eigene Erfahrung die Fähigkeit sich zu verteidigen beeinflußt. „Ich habe mich oft gefragt, ob ich wegen der Selbstverteidigung mit dem Training begonnen habe, aber ich denke nicht. Ich habe schon vorher geglaubt mich gegen andere untrainierte Angreifer in einem Straßenkampf wehren zu können. Mir gefiel mehr die Möglichkeit, an sich zu arbeiten und sich ständig zu verbessern,“ versucht der Meister seine Beweggründe für seinen Eifer in der Disziplin des JKD zu ergründen, dem er seitdem treu geblieben ist. „Treu“ ist natürlich eine relative Eigenschaft, wenn man von JKD spricht, denn jeder, der sich dieses System einmal näher angeschaut hat, weiß, daß es eigentlich kein System ist, sondern mehr eine Philosophie, die von vielen anderen Stilen beeinflußt wird. Diesen Einflüssen hat sich auch Burton unterworfen. Er trainierte Taekwon-do, Kickboxen, Thaiboxen, Pentjak Silat, Jun Fan Gung Fu, Brasilianisches Jiu Jitsu, unterschiedliche Stock- und Messerkampfsysteme und Vale Tudo. Weitere Kenntnisse und Erfahrungen gewann er durch das Fechten. „Fechten ist faszinierend. Es ist unglaublich schwierig mit der Klinge die Distanz zu überwinden, bzw. auf kurzer Distanz einen Treffer anzubringen. Das ist sehr hilfreich für das Training im Stockkampf.“

Alles fing mit einem Holzschwert an

Der Grundstein für sein Interesse am Fechten und am Kampfsport liegt in seiner frühen Kindheit, als er von seinem Vater ein hölzernes Schwert geschenkt bekam, mit dem er ständig trainierte. „Dieses Schwert war das schönste Geschenk in meiner Kindheit“. Mit 11 Jahren spürte er zum ersten Mal die Faszination der Martial Arts, als er einigen Karatekas beim Training zusah. Angefangen hat er mit dem Training jedoch erst sieben Jahre später, denn mit dem US-Volkssport Baseball und seinen sportlichen Aktivitäten auf der Highschool war seine Freizeit bereits voll ausgefüllt. Außerdem wollten seine Eltern, daß er einmal eine Karriere im Baseball machen würde.


Als er gegen Ende seiner Collegezeit mit dem Jeet Kune Do begann, ermutigte ihn sein Lehrer Dan Inosanto, auch andere Kampfsportarten kennenzulernen. Burton nahm den Rat an und belegte soviele Collegekurse wie möglich, in denen unterschiedliche Budodisziplinen angeboten wurden. Die meisten und wichtigsten Erfahrungen hat er im Kickboxen mitgenommen. „Im Kickboxen war ich erst nicht besonders gut. Der Wettkampf veränderte meine Position völlig. Ich fand heraus, daß ich mein Training umstellen mußte.“ Es war der Aspekt des Zweikampfes in der sportlichen Dimension, der ihn erkennen ließ, daß keine zwei Situationen sich gleichen und er sich dem anpassen mußte. Erst als er sein Training umgestellt hatte, konnte er erfolgreich mithalten, bestritt sogar Vollkontaktkämpfe in China und stieg mit Lowkicktechniken zu weiteren Fights in den Ring. Selbst heute trainiert er noch im Kickboxen, wobei er selbst mit Weltklasse-Fightern für das Sparring auf die Matte steigt. Darüber hinaus bestritt er Wettkämpfe im Vale Tudo und im Stockkampf. „Durch die Teilnahme an Wettkämpfen habe ich Dinge gelernt, die ich mit dem normalen Training nie begriffen hätte. Ich kann jedem dazu raten.“

Dan Inosanto
Burton (li.) zusammen mit seinem Lehrer Dan Inosanto.

Auch Trainer müssen ständig trainieren

?Viele Trainer hören auf zu trainieren, wenn sie eine Sportschule eröffnen – das halte ich für falsch,“ fällt Burton als einziger Kritikpunkt gegenüber anderen Lehrerkollegen ein. „Ich vergleiche mich nicht gerne mit anderen,“ räumt er bescheiden ein, wenn man ihn nach seinen Stärken gegenüber anderen Meistern fragt. „Alles was ich tun kann, um ein guter Trainer zu sein, ist ständig zu lernen und zu forschen. Ähnlich wie in der Wissenschaft ist Teamarbeit gefragt. Ich muß die Schüler dazu bringen, ebenfalls zu forschen und zu fragen. Nur so kann ich ihre Fragen in Form von richtigem Training beantworten.
Zum Trainer, Sportschulbesitzer und Seminarleiter ist Burton eigentlich durch einen Zufall geworden. Zunächst hatte er nie die Absicht, Kampfsport zu seinem Beruf zu machen, schließlich hat er Meeresbiologie und Literatur studiert. Eines Tages fragte ihn Dan Inosanto, ob er auch künftig weiter bei ihm trainieren wolle. „Natürlich, auf jeden Fall,“ war die klare und spontane Antwort, die Inosanto so gut gefiel, daß er entschloß, ihm einen Kurs in seiner Akademie anzuvertrauen. Burton fand Gefallen an seiner Aufgabe als Lehrer und eröffnete drei Jahre später seine erste eigene Schule im Süden von Los Angeles. „Ich besichtigte diese Räume, sie waren ideal geschnitten für ein Dojo und die Miete war günstig,“ so daß seine Entscheidung feststand, seine Zukunft dem Budosport zu widmen. „Aber ehrlich, ich hatte nicht die Spur einer Ahnung, auf was ich mich da eingelassen hatte. Ich habe alle Fehler gemacht, die man machen kann,“ erinnert er sich an eine Zeit, in der seine Existenz vom Gelingen seines Vorhabens abhing. Er analysierte seine Fehler, setzte sich mit seinen Lehrern zusammen und es gelang ihm eine Lösung zu finden, mit der er sein Überleben sicherte. 1996 zog er mit seiner Schule nach Hermosa Beach, wo er seitdem ansässig ist.

Einzigartig: Stockkampf des Zulu Stammes

Er unterrichtet hauptsächlich Jeet Kune Do, Kali und philippinischen Stockkampf. Darüber hinaus bietet er eine afrikanische Stockkampfform des Zulu Stammes und brasilianisches Jiu Jitsu an. Über das Jahr kommen viele ausländische Sportler in sein Dojo, die von ihm lernen wollen. Er gilt in Fachkreisen als ein besonders kompetenter Meister, der gut erklären kann. Begünstigt wird der internationale Zulauf von der nahen geographischen Lage zu den LA Vorstädten Torrance und Redondo Beach, wohin es viele Budosportler zieht, die einmal mit den bekannten Gracie Brüdern trainieren wollen. Auf den Bodenkampf angesprochen, teilt Burton die Meinung, daß diese Form des Zweikampfes seit der Entstehung der Ultimate Fighting Championships nicht unbedingt überbewertet wird, sondern zu falschen Einschätzungen führt. „Wenn wir im Jeet Kune Do von Bodenkampf reden, dann verstehen wir darunter die Möglichkeit sich aus diesem zu befreien und wieder auf die Füße zu kommen. Das ist sehr wichtig. Man muß wissen, daß man ein absoluter Experte sein muß, um auf dem Boden zu bestehen. Wenn man nicht weiß, wie man sich am Boden verhalten muß, hat man kaum eine Chance zu entkommen.“ Burton trainiert zusammen mit den Machado Brothers und anderen Jiu Jitsu Kämpfern, so daß er weiß, wovon er spricht. Von seinem bekannten Lehrer Dan Inosanto hat darüber hinaus viel über Bodenkampf gelernt, denn Grappling ist ein wesentlicher Schwerpunkt in der Inosanto Martial Arts Akademie.

Demnächst Seminare in Deutschland

Seit einigen Jahren ist Burton darum bemüht sein Wissen auch außerhalb seiner Schule in Kalifornien zu verbreiten. Weltweit hält er zu diesem Zweck Seminare ab. Frankreich, La Reunion, Australien, Afrika und viele andere Länder hat er schon besucht. 1999 will er zum ersten Mal nach Deutschland und in die Schweiz kommen. „Die Seminare machen mir viel Spaß, ich denke man kann viel von mir lernen.“

Challenge-Kämpfe bestanden

Auf die Frage, ob er schon einmal herausgefordert wurde, antwortet er ruhig: „Es kommt sehr häufig vor, daß einige Teilnehmer mich testen wollen und aggressiver werden. Das ist völlig normal. Richtige Herausforderungskämpfe hatte ich nur zwei. Beide habe ich in kurzer Zeit gewonnen. Einmal machte ein Sportler ein ganzes Seminar mit und sagte dann zu mir: „komm, ich will jetzt mit dir kämpfen!“ Ich dachte erst, er würde scherzen, doch auf einmal griff er an.“ Fertig geworden ist Burton mit dieser und anderen Situationen, wobei er weiß, daß dies immer wieder vorkommen wird. Er ist bekannt dafür, daß er sich solchen Situationen stellt, wenn es sein muß, und nicht einfach Reißaus nimmt, wie viele andere vermeintlich große Meister dies tun. Natürlich kommt bei ihm hinzu, daß er mit seinen 36 Jahren und einem durchtrainierten Körper solchen Herausforderungen eher standhalten kann als ein älterer Trainer, der vielleicht noch nie im Ring gestanden hat.

Filmrolle mit Steven Segall

jeet kune do unlimited
Burton Richardson

Da er nur einen Steinwurf von Hollywood entfernt lebt, kommt natürlich die Frage auf, ob er sich schon einmal im Filmgeschäft betätigt hat. „Ich habe in 14 Filmen als Schauspieler, Stuntman oder Choreograph mitgewirkt, u.a. in ‚Fire Down Below‘ mit Steven Segall.“ Anders als bei vielen anderen Kampfsportlern in Los Angeles, ist das Filmgeschäft fär ihn nur eine interessante Nebenerscheinung. Hauptsächlich widmet er sich seiner Schule in Hermosa Beach.

Besucher willkommen

Wer ihn einmal dort besucht, wird schnell wissen warum. Es ist einfach einer der schönsten Orte in Kalifornien, das ganze Jahr über scheint die Sonne, was sich offensichtlich positiv auf die Gemüter der Menschen auswirkt. Vielen seiner Schüler gefällt die Atmosphäre in dem kleinen Dojo so gut, daß sie bis zu sechs Mal die Woche zum Training kommen. Wer in Südkalifornien Urlaub macht und bei ihm auf ein Probetraining vorbeischauen will, ist gerne eingeladen. „Ich würde mich freuen, neue Freunde aus Deutschland zu gewinnen.“

Dan Inosanto Kung Fu
Kung Fu 12/98

Diese Reportage über Burton Richardson erschien in der Kung Fu Ausgabe 12/1998. Burton ist seitdem nicht mehr in Kalifornien, sondern hat seinen Wohnsitz nach Hawaii verlegt.
Homepage JKD Unlimited