Rocky II verteidigt seinen WM-Titel

Ralf Rocchigiani

Was passiert wenn Ralf Rocchigiani (32) vor einem Kampf trainiert, ist seit Anfang Juni diesen Jahres bekannt: Er wird Weltmeister. Vor 2.300 Zuschauern in der Braunschweiger Stadthalle bewies „Rocky 2“ am vergangenen Sonnabend in der Zeit von 22.20 Uhr bis 23.05 Uhr, was geschieht, wenn er weiterhin sein Trainingspensum absolviert: Er bleibt Weltmeister im Cruisergewicht, nach Version der WBO. Und hofft, mit seinem K.O.-Sieg in der 8.Runde über den amerikanischen Herausforderer Dan Ward (32) nun auch endlich seine Kritiker überzeugt zu haben. Zum Zeitpunkt des Abbruchs lag Ralf auf allen drei Punktzetteln vorne.

Ralf Rocchigiani
Ralf Rocchigiani ist zwar nicht so bekannt wie sein Bruder Graziano, dafür verteidigte er seinen WM-Gürtel (WBO) bereits zweimal.

„Als ich im Juni Weltmeister wurde, dachten viele: „Naja, hat er halt Glück gehabtì. Weil ich aber gegen Marc Randazzo im September auch klar besser war, wußten sie dann nicht mehr, was sie glauben sollten. Heute habe ich bewiesen, daß ich den Gürtel zu Recht habe,“ genoß Ralf seinen Auftritt nach vollbrachter Leistung gegen einen überraschend gut eingestellten Herausforderer. Der Amerikaner, die aktuelle Nummer neun der Weltrangliste, begann zur Überraschung des Rocchigiani-Teams recht verhalten und suchte seine Möglichkeiten auf boxerischem Wege. „Auf den Videos, die wir von ihm hatten, ist der immer sofort knallhart auf Angriff gegangen und hat geschlagen, was das Zeug hält,“ mußte Cheftrainer Fritz Sdunek die taktische Marschroute gleich zu Beginn neu überdenken, „wir wollten ihn in der zweiten Kampfhälfte knacken, wenn er konditionell abbaut.“ Schließlich hatte Ward in den vergangenen sieben Kämpfen nie mehr als sechs Runden gestanden, hätte bei der WM aber im schlechtesten Falle über 12 Runden gehen müssen. In Runde zwei und drei war Ward nach rechten Geraden zum Kopf angeschlagen, doch Rocchigiani ließ vor dem Nachsetzen zu viel Zeit verstreichen. In den darauffolgenden Durchgängen kam Ward besser in den Kampf, landete einige harte Treffer und setzte den Weltmeister zunehmend unter Druck. Nach einer links-rechts Kombination wackelte Ward in Runde sieben und wurde nur vom Gong vor der vorzeitigen Niederlage gerettet. Doch im achten Durchgang machte Rocky seinen 36. Sieg im 51. Kampf perfekt: Zwei rechte Geraden stellten Ward am Seil, vier weitere harte Treffer veranlapten den Ringrichter Luis Peron (Puerto Rico) den Kampf abzubrechen. „Völlig zu Recht,“ wie Dan Ward im nachhinein zugab, „ich habe vorher zu Gott gebetet und versprochen, jedes Ergebnis zu aktzeptieren. Genauso will ich es jetzt halten.“
Mit einer Börse von über 350.000 Mark ist Ralf auf dem besten Wege, sein Ziel von finanzieller Unabhängigkeit schon im kommenden Jahr zu erreichen. „Ungefähr sechs solcher Zahltage brauche ich, dann ist es geschafft“ rechnete der Berliner hoch und sieht sich auch keineswegs im Schatten von Michalczewski, Maske oder Schulz. „Beim Axel Schulz kam eben alles zum richtigen Zeitpunkt zusammen. Der Foreman-Kampf war doch wie ein Sechser im Lotto mit Zusatzzahl und allem.“ Und dabei ärgert es Ralf auch nicht, wenn die anderen Millionen-Börsen kassieren, während er die eher bescheideneren Summen auf sein Konto bucht. „Schulz ist halt ein Schwergewichtler, da verdient man immer mehr. Aber schließlich muß der sich ja auch mehr zum Essen kaufen,“ erklärt der siebte deutsche Weltmeister .
Im kommenden März wird Ralf der derzeit in Berlin eine größere Wohnung sucht, seinen Titel zum drittenmal verteidigen, dann gegen den Pflichtherausforderer Bashiro Ali (Nigeria). „Im Januar beginnt dann wieder das Training, darauf freue ich mich besonders,“ grinst er und zündete sich mit dem Hinweis „Jetzt keine Fotos mehr,“ eine Zigarette an. Die hatte er sich wohl auch verdient.

Kicksider Kick Illustrierte 02-1996

Dieser Nachrichten Beitrag entsprang der Ausgabe 02 / 1996.

Verfasser: Tobias Drews