Erster Kickboxkampf in Deutschland

Kickboxen Berlin

DEN FUSS IM NACKEN
Jetzt wird es ernst im Karate. Statt Pantomime echte Prügel. Amerikanische Profis haben die Sportart brutalisiert: Im Freistil wird nicht nur getreten und geschlagen, sondern auch getroffen. Die Weltmeisterschaft war für die Karate-Amateure der Bundesrepublik zu Ende. ehe sie noch richtig begonnen hatte. Wolfgang Ziebart, Siegfried Wolf, Rene Gerstenberg, Helmut Degen und Günter Mohr, als Favoriten nach Long Beach (USA) angereist, schieden bereits in der ersten Runde mit 0:3 gegen die Philippinen aus. Gescheitert jedoch sind sie nicht an den Asiaten, sondern an den Profis. „Unsere Kämpfer waren offensichtlich dümmer als die anderen, ärgerte sich Armin Ernst, Sektionsleiter Karate im Deutschen Judo-Bund „Sie haben zu spät gemerkt, daß die Kampfrichter nach einer kurzfristigen Regeländerung eine verminderte Anzahl von Techniken in ihre Wertung einbezogen“. Die Regeländerung aber wurde beschlossen, um den Unterschied zur Kampfweise der Profis deutlicher zu machen. Die Abgrenzung tut not, denn das Freistil-Karate der amerikanischen Profis breitet sich schneller aus, als es den Bossen des Amateurverbandes lieb ist.

Ale the Welle der Kung-Fu-Filme über die USA hinwegbrandete. beschloß der ehemalige Box-Promoter Mike Anderson. das Geschäft mit der Brutalität nicht nur den Kenos zu überlassen. Er veranstaltete urn September des letzten Jahres den ersten Weltmeisterschaftskampf in einer Sportart, für die der endgultige Name noch nicht gefunden ist: Kampf-Karate, All-Style-Karate, Freistil-Karate, Full-Contact-Karate. 10.000 Zuschauer zahlten für die Eintrittskarten zwischen 3,50 und 50 Dollar, urn in der Los Angeles Memorial Sports Arena den Amerikaner Eddy „Monster“ Man als Schwergewichts-Weltmeister zu sehen. Inzwischen hat Anderson. dem die „Los Angeles Times“ vorwarf, „Er verkauft Gewalttätigkeit und der konterte. .“lch schere mich einen Teufel urn die möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft“, sein Prügel-Programm um Veranstaltungen erweitert, in denen Frauen bis zum K.o. kämpfen. „Da ist das Spektakel einfach überzogen. Das würde bei uns auf Ablehnung stoßen,“ vermutet Herbert Kranz, Geschäftsführer des Hamburger Budo-Klubs Nippon, zusammen mit dem Berliner Sportschulen-Besitzer Georg F. Brückner, einer der energischsten Vorkampfer für die amerikanische Version des Karate, für die er sich den Namen „AII-Style-Karate“ wünscht. well es als Sport betrieben werden soil und nicht als Spektakel. In Hamburg trainieren bereits 600 Karate-Kämpfer mit schützenden Kunststoff-Polstern an den Handen (Safe-T-Punch) und Füßen (Safe-T-Kick). Der Vorteil des Freistil- oder All-Style-Karate. Jeder Treffer hinterläßt nicht nur Eindruck beim Publikum und bei den Kampfrichtern, sondern such Wirkung beim Gegner. Beim konservativen Karate. das vor 500 Jahren auf Okinawa erfunden wurde, als den Bewohnern dieser Insel von den Machthabern der Besitz sämtlicher Waffen verboten worden war, und sie die Kunst des Kampfes mit der „hohlen Hand“ (deutsche Obersetzung des Wortes Karate) entwickeln mußten, wird jeder Hieb kurz vor dem Ziel gestoppt. „Für die Entwicklung dieser Sportart haben die Japaner 500 Jahre lang nichts getan, sie ist im Anfangsstadium steckengeblieben“, übt Kranz Kritik. Sie ist viel zu statisch. um das Publikum zu begeistern. Außerdem wird in dieser zu viel gemogelt. Da jeder Schlag kurz vor dem Körper abgestoppt werden muß, ist es den Kampfrichtern nicht immer möglich, zu beurteilen, ob Kraft dahinter steckte oder nicht!“ Wieviel Kraft hinter jedem Hieb setzt, das konnten Karate-Kämpfer bisher nur am toten Objekt demonstrieren: Mit Leichtigkeit zertrümmern alle mit der bloßen Hand Bretter und Ziegelsteine. Faust- und Fuß-Fertigkeit werden in den USA bereits so gut honoriert, daß Spitzenkämpfer mit Karate ihren Lebensunterhalt verdienen können. Leichtgewichtsweltmeister Benny Urquidez verdient im Jahr 80.000 Mark. Schläge und Tritte zahlen sich jedoch erst richtig aus. wenn man vom Film oder Fernsehen engagiert wird. “

1975

Der Professionalismus wuüde sich bei uns wohl kaum lohnen und durchsetzen“, urteilt Herbert Kranz, „aber es wäre einfach ein Fortschritt, wenn wir Karate gegen Amateure durchsetzen könnten. Der Kampf mit dem Hand- und Fußschutz verlangt eine perfekte technische Ausbildung, die Treffer können von den Kampfrichtern viel besser als in der konservativen Form erkannt werden, die Technik wird außerdem für die Zuschauer, denen bisher zu wenig Bewegung geboten wurde, transparent gemacht!“ Zusammen mit Brückner bemüht sich Kranz darum, da8 der Kampf mit vollem Kontakt in der Sektion Karate des Deutschen Judo Bundes anerkannt wird. Der Berliner. selbst ehemaliger Deutscher Karate-Meister, wird in seiner Kritik an der konservativen Kampfweise ziemlich heftig: „Die Überlieferung hat Asiens Systeme wie Karate, Taekwondo oder Kung-Fu zu einem unrealistischen Kult theoretischer Scheingefechte gemacht! Hinweise auf die gesundheitliche Gefährdung der Kämpfer, die trotz der Schaumstoffpolster an Händen und Füßen (Stückpreis 100 Mark) noch hart getroffen werden., wiegelt Brückner mit Beobachtungen ab, die er bei mehreren Studienreisen dutch die USA gemacht hat: „Da passiert weniger als beim Boxen! Freilich Safe-T-Punch und Safe-T-Kick sind ebensowenig perfekte Weichmacher für Schläge wie Boxhandschuhe: Rippenbrüche, Platzwunden und Gehirnerschütterungen sind im Kampf-Karate keine Seltenheit. Doch war Schlälge austeilen will, scheut Schmerzen nicht: In 60 Ländern wird bereits nach den amerikanischen Karate-Regeln gekämpft. Und schon sah das US-Nachrichten-Magazin „Newsweek“ Gefahr im Verzug: „Killer Karate“ bezeichnete das Blatt die neue Kampfesweise. Gekillt jedoch wird nur im Kino. Beim Karate mit vollem Kontakt ist noch keiner zu Tode gekommen. Als Georg F. Brückner in der Berliner Deutschlandhalle die erste Profi-Weltmeisterschaft auf europäischem Boden veranstaltete. gab as außer Nasenbluten und einer leichten Gehirnerschütterung keine nennenswerten Verletzungen. Der Amerikaner Gordon Franks sicherte sich den Weltmeister-Titel im Superleichtgewicht gar auf fast schmerzlose Weise: Sein Gegner Ramiro Guzman aus Mexiko wurde disqualifiziert, well er in der neunten Runde dreimal die Kampffläche verließ. Wesentlich härter ging as da schon bel der Anfang Oktober in Long Beach ausgetragenen Amateur-Weltmeisterschaft zu, wo zwar nach den konservativen Regeln ohne Körperkontakt gekämpft werden sollte, aber einer doch kräftig zuschlug. Der Amerikaner Valera war mit der Wertung der Kampfrichter nicht zufrieden: Er vertrimmte die gesamte Jury.

 


Sport Magazin
Diese Reportage erschien in der November 1975 Ausgabe der Zeitschrift Sport.