Eine offensichtlich schwangere Frau betritt Mr. Fields Konditorei. Sie will ein paar Kekse kaufen. Ein Mann verfolgt sie durch die Eingangstür. Er hält sie an, fordert, „Hey Lady, hast du mal ´nen Dollar für mich.“ Völlig überrascht und verängstigt bringt sie kein Wort heraus. Der Mann greift nach ihrer Handtasche.Das ist das Signal für die Frau, sie reagiert sofort: sie tritt mit dem Fuß gegen sein Knie und schleudert ihre Faust gegen das Jochbein ihres Angreifers. Sie fragte die Bedienung, „sind meine Kekse schon eingepackt?“ Die übrigen Kunden applaudieren, als die zierliche, 160 cm große Frau beim Verlassen des Ladenlokals über den um Verzeihung winselnden Bettler steigt.
Die selbstbewußte Frau ist eine Schülerin von Steven Lee Swift aus Rochester, USA, einem der führenden nordamerikanischen Instruktoren des Kung-Fu-Stils Wing Chun. Er betreibt diese Richtung in ähnlicher Weise wie einst Bruce Lee.
Swifts Lebenslauf liest sich wie ein chinesisches Märchen. Er wurde geboren auf Okinawa, Japan. Als Sohn eines Geheimdienst-Offiziers lernte er schon früh, sich zu verteidigen. Zahlreiche Anschläge auf das Leben seiner Familie, haben ihn zwangsweise schon zu früher Kindheit zum Kampfsport gebracht. Er war so gut, daß als einer der wenigen Teenager mit 13 Jahren den Schwarzgurt im Karate erhielt. Als Junge wurde er ständig gehänselt, denn durch die ständigen Wohnortwechsel konnte er sich nie einen Freundeskreis aufbauen: er war immer nur der Neue, und mußte sich erst einmal behaupten. Das Karate brachte ihm nicht die Erfüllung, denn das Training basierte meist auf vorgegebene Bewegungsabläufe aus den Katas und die Wettkämpfe waren streng reglementiert, „Es waren zuviele Regeln, die man bei Karate-Turnieren beachten mußte, auf der Straße gibt es aber keine Regeln.“
Hong Kong –
die erste Station
Zu dieser Zeit siedelte seine Familie nach Hong Kong über. Dort traf er den bekannten Lehrer Simon Lau. Sie trainierten viele Jahre zusammen, wurden enge Freunde. So wie es mit vielen Freunden geschieht, zerstritten sie sich nach einiger Zeit. Lau wurde neidisch auf die Fähigkeiten seines Schülers, die seine Technik hinter sich ließ. Seit diesem Zeitpunkt durchlebte Swift zahlreiche Höhen und Tiefen in seiner Karriere als Kampfkunstlehrer.
Erstes Filmangebot
Vor einigen Jahren lud man Swift nach Los Angeles ein, in einem Film an der Seite von Steven Segal mitzuwirken. Der Streifen sollte den Titel „7th Year Storm“ heißen. Swift packte seine Sachen zusammen und zog in die kalifornische Filmmetropole. Wie es jedoch so oft in Hollywood geschieht wurde das Drehbuch umgeschrieben und Swifts Part fiel heraus. Gerüchte besagen, daß Segal keinen anderen Kampfexperten an seiner Seite duldete, und man Swift deshalb nicht mehr dabei haben wollte. Der Streifen kam später unter dem Titel „Hard to kill“ in die Kinos. Es war der Film, mit dem Segal den großen Durchbruch im Leinwandgeschäft schaffte.
Trainer der Navy Seals
Voller Enttäuschung zog Swift nach San Diego im südlichsten Zipfel von Kalifornien, wo er u.a. die Soldaten der Spezialeingreiftruppe „Navy Seals“ unterrichtete. Als ausserpolitische Spannungen mit dem Iran aufkamen, wurden die Truppen abgezogen und Swift zog erneut um. Diesmal machte er in Chicago Halt, wo er das Football-Team „Chicago Bears“ und eine Hockeymannschaft in trainierte. Er brachte ihnen bei Kampfstrategien in Spielzügen umszusetzen und lehrte ihnen fernöstliche Entspannungsmethoden.
Absage an Hollywood
Dann wurde er erneut aufgefordert, an einem Film mitzuwirken. In „Madame Doom“ spielte er einen psychotischen Kampfsport Superhelden, der instruiert von einer Psychologin (Appolonia) den Auftrag erhält, einen Kopfgeldjäger zur Strecke zu bringen. Bei diesem Film wurde Swift der große Druck und Streß bewußt, der in Hollywood herrscht, so daß er sich auf seinen Ursprung besann, und nach Rochester im US-Bundesstaat New York zurückkehrte, wo heute der Großteil seiner Familie lebt.
Eigene Akademie in New York
Er eröffnete eine eigene Wing-Chun-Akademie. Viele Leute sagen, er unterrichtet die aggressivste Form der Selbstverteidigung zwischen New York und Los Angeles. Er baut auf eine Vielzahl von Techniken und Kombinationen. Der Experte zeigt eine Flut von Schlägen gegen Nase, Ellbogen zur Schläfe und gleichzeitig Fußtritte gegen Knie, Unterleib und andere empfindliche Körperteile. Seine Handbewegungen sind geschmeidig wie die Bewegungen einer Schlange und blitzschnell. In einer Sekunde führt er mit Blocks, Kicks, Schlägen und einem Kopfstoß bis zu sieben Techniken aus. Da kann kaum jemand etwas entgegensetzen.
Keine Show
Bei Swift gibt es keinen tänzerischen, akrobatischen Aspekt und vor allem keine Show: „wir wollen unser Leben retten; das ist alles! Das Wing Chun hat soviele Vorteile. Man sagt, es ist das am besten gehütete Geheimnis für Frauen – es ist nicht auch dann praktisch für eine Frau, herumzuspringen und sich zu drehen, wenn sie hohe Absätze trägt.“ erklärt Swift. Tatsächlich gibt einem der Gesetzgeber in einigen Ländern Recht, denn eine Frau, die sich gegen einen Sexualtäter nicht zur Wehr setzt, wird von den blinden Augen des Gesetzes nicht als Opfer einer Vergewaltigung angesehen. In diesem Punkt bereitet das Wing Chun eine Frau auf den schlimmsten Fall vor. „Es ist besonders gut geeignet für Frauen und kleinere Menschen, denn wir setzen unsere Techniken nicht der Kraft des Angreifers entgegen. Wir kanalisieren die Energie des Gegners so, daß er uns nichts anhaben kann und nutzen seine Kraft zu unserem Vorteil,“ erklärt der New Yorker. Auch für Blinde und Behinderte stellt seine Form des Wing Chun eine effektive Form der Selbstverteidigung dar. Er involviert diese Schüler vor allem in Übungen, die man als „klebende Hände“ kennt. Das Ausfühlen und intuitive Reagieren auf den Gegner, macht das optische Wahrnehmen seiner Angriffe unnötig. Für Swift stellt seine Kampfkunst auch einen sinnvollen Weg für den Abbau von Streß dar. Zahlreiche Geschäftsleute und Manager trainieren bei ihm, um aufgestaute „negative Energie“ abzubauen, die sich im Alltag ansammelt.
Nicht für jeden
„Wing Chun ist nicht für jedermann,“ warnt Swift. Seiner Auffassung nach handelt es sich bei dem bekannten System um eine gefährliche Waffe, so daß er sich seine Schüler nur nach sorgfältiger Prüfung aussucht. „Die charakterlichen Eigenschaften sind sehr wichtig. Man kann nicht einfach jemanden Wing Chun beibringen, wenn man befürchten muß, daß er es mißbrauchen wird,“ erklärt er seine Vorsicht. Gangmitglieder, Angeber und Leute mit schrägen Ansichten brauchen sich bei ihm gar nicht erst zu bewerben.
Trotz seiner bewegten Vergangenheit ist Steve Lee Swift sicher, in Rochester ansässig zu werden, sich um seine Familie zu kümmern und seine Kampfkunst aus seiner Akademie in alle Welt zu tragen. „Ich wünschte mir, daß die Welt nicht so grausam ist. Dann könnten wir die Martial Arts als reine Kunst und als Weg des Lebens betreiben. Da die Welt aber so ist, wie sie ist, müssen wir wehrlosen Menschen zeigen, wie sie sich praktisch verteidigen können. Das ist mein Dienst für die Öffentlichkeit. Leuten zu helfen, sich und ihre Familie zu verteidigen, das ist, warum ich zur Welt gekommen bin.“
Diese Reportage wurde von Jon Elkins zur Verfügung gestellt und erschien 1996 in der Erstausgabe der Kung Fu Revue.