Das glaubt mir zu Hause
doch keiner.
Welcher Sportler träumt nicht davon, einmal Weltmeister zu werden. Der Weltbeste zu sein, ist eben mehr, als nur ein Turnier zu gewinnen. Am Sonntag den 19. November 1995 wurde für Aziz Acharki dieser Traum wahr. Als der Kampfleiter im Finale des Light-Weight-Kampfes (-70kg) die Hand von Aziz hob, konnte Acharki es noch nicht glauben. Seine ersten Worte nach dem Finale waren: „Das glaubt mir zu Hause doch keiner.“ Am Ende dieses dritten Tages der 12. Herren- und 5. Damen-Weltmeisterschaften in Manila/Philippinen war der erfolgreichste Tag einer deutschen Mannschaft bei Weltmeisterschaften im Taekwondo seit 1979 in Stuttgart vorüber, denn neben Acharki konnte Monika Sprengel in der Gewichtsklasse Fly-Weight (-47kg ) den Titel der Vizeweltmeisterin gewinnen.
Auf diese Weltmeisterschaften hatte sich das deutsche Team besonders gut vorbereitet. Vorberei-tungslehrgänge der Bundestrainer Georg Streif (Herren) und Josef Wagner (Damen) legten den Grundstein für ein Team, das sich einiges vorgenommen hatte. Eine Reise der Kaderathleten nach Kuba mit einem gemeinsamen Training und dem abschließenden Turnier diente der WM-Vorbereitung und zeigte dem deutschen Team bereits, was Sie in Manila erwarten sollte: Lateinamerikaner, die athletisch, kämpferisch und taktisch hervorragend eingestellt sind. Bei den Damen mußte kurzfristig für die verletzte Diana Creti (-55kg) nachnomniniert werden. Daß die “Ersatzfrau“ keineswegs nur Ersatz war, sollte sich im Laufe des Turniers noch zeigen.
Das deutsche Team
Mit zwei kompletten Teams (8 Damen und 8 Herren) sowie den beiden Bundestrainern unterstützt durch Shin In Shik (Bundestrainer der Jugend), Mannschaftarzt Dr. Dietmar Sauter, dem Masseur Ernst Stegmann, dem Head of Team, Roland Klein (Vizepräsident der DTU), und dem Manager des gesamten Teams, Wolfgang Trybus-Poppe (Bundesmedienreferent der DTU) ging es am Samstag den 11.11.1995 um 11.00 Uhr in Frankfurt los. Start zum Abenteuer Weltmeisterschaften in Manila.
Um ein großes Maß an Professionalität zu entwickeln, war von der DTU dieses große Team nach Manila entsandt worden. Im Umfeld der SportlerInnen sollte alles mögliche getan werden, damit man sich auf den rein sportlichen Bereich konzentrieren konnten. Und jeder im Team konnte sich über Aufgaben und Arbeit nicht beklagen; immer gab es irgendwelche Informationen zu besorgen oder die Fahrten zum Trainingsort in Manila mußten geplant werden usw. usw.. Auf Arzt und Masseur wartete Schwerstarbeit. Ebenfalls mit den Team flog der einzige deutsche Referee Dietmar Ruf, der während der fünf Wettkampftage viele Einsätze als WTF-Kampfrichter zu bewältigen hatte.
Jetlag und Infektionen
Überseeflüge haben ihre eigenen Gesetze. Lange Flugzeiten (in diesem Fall 14 Std.) „Jetlag“ und die Klimaumstellungen haben schon so manchen Touristen für die ersten Tage außer Gefecht gesetzt. So haben auch die SportlerInnen unter diesen Rahmenbedingungen zu leiden gehabt. Doch für die hieß es nach einem langen und anstrengenden Flug und bei Temperaturen von 28-35 Grad Celsius sowie einer Luftfeuchtigkeit von über 70% bereits gleich nach der Akkreditierung und dem Einchecken im Hotel: Training für alle auf der Terrasse des Hotels.
Abenteuer Training
Zweimal täglich wurde in den Tagen vor den Wettkämpfen trainiert. Einmal alleine in der Inter-nationalen Schule in Manila, was auf Vermittlung einer ehemaligen Schülerin von Josef Wagner arrangiert werden konnte, und ein zweites Mal gemeinsam mit den anderen Nationen in einem riesigem Sportareal in der Basketballhalle. Die Fahrten zu diesen Trainingsorten waren in den ersten Tage ein kleines Abenteuer, da die Taxifahrer nicht immer den Weg kannten. Bei diesen Fahrten konnte man sich einen kleinen Eindruck von Manila verschaffen. In dieser 12-Millionen-Einwohnerstadt hat nach den schweren Unwettern die noch eine Woche vor unserer Anreise wüteten, der Alltag wieder Überhand genommen. Dennoch sah man die Armut und das Elend sowie riesige Prachtbauten und ein niemals nachlassendes Verkehrschaos, das mit einem nie verschwindenden Smog von morgens bis spät in der Nacht Manila prägt.
Gesunde Nervosität
Die mahnenden Worte des Mannschaftsarztes über Verhaltensregeln bzgl. Essen, Trinken und sonstiger Gefahren, die diese asiatische Metropole „bietet“, wurden dann auch in der ersten Mannschaftsbesprechung von allen sehr ernst genommen. Bei einigen ließ mit der Zeit die Vorsicht jedoch nach, was sich noch rächen sollte. Je näher die Wettkämpfe kamen, um so mehr machte sich eine gesunde Nervosität sowohl bei den Aktiven, als auch bei den Offiziellen und Bundestrainern bemerkbar.
Die Wettkampftage
Die Bantamgewichte (Damen -51kg; Herren -58kg) eröffneten am Freitag die Wettkämpfe. Für die beiden „WM-Neulinge“ Patrizia Manuele und Jan Krumpen war bereits nach dem ersten Kampf alles vorbei. Jan Krumpen unterlag dem türkischen Teilnehmer und Patrizia Manuele mußte sich der Teilnehmerin aus Australien geschlagen geben. Die gelungene Eröffnungsfeier und der Einmarsch der Nationen, insgesamt waren 78 Länder am Start, fand bereits in etwas gedrückter Stimmung im Team statt. Am zweiten Tag ging einer der Hoffnungsträger und der erfolgreichsten Kämpfer an den Start, Marcus Nitschke ( Middle Weight, -83kg). Der 27jährige beim P&P Allgäu trainierende Nitschke wäre nach einem Freilos in der ersten Runde und nach Siegen über die Sportler aus Panama und Chinese Taipeh in seinem dritten Kampf mit einem Sieg über den Koreaner Lee Dong Wan bereits in den Medaillenrängen gewesen, doch der spätere koreanische Weltmeister ließ Marcus nicht zur Entfaltung kommen, und so mußte er sich mit dem Erreichen des Vier-telfinales zufriedengeben. Sahin Ozan (Fin-Weight -50kg) erging es nicht besser. Nach einem Freilos und einem Sieg über den Teilnehmer aus Lesotho, kam für Sahin das Aus.
Ebenfalls im Weltergewicht der Damen (-70kg) konnte Anke Girg aus Gelnhausen nach einem Freilos und einem Sieg über die Griechin das Viertelfinale erreichen, wo sie der späteren Weltmeisterin, der Spanierin Ireana Ruiz, unterlag.
Die erste Überraschung
Die erst 19jährige Tharsini Thevathasan (Fin Weight -43kg) aus Hildesheim kämpfte wie bereits bei der EM in Zagreb mit einem unbändigen Kampfeswillen. Ihr Erreichen des Viertelfinales nach Siegen äber die Kämpferinnen aus Azerbaijan und Schweden war bereits ein großer Erfolg für die junge Fighterin. In ihrem dritten Kampf gegen die Italienerin Christina Atzeni versuchte die Hildesheimerin trotz einer schweren Verletzung am linken Fuß alles, um noch in die Medaillienränge zu kommen, leider vergeblich. Nach diesem Kampf mußte Tharsini von unserem Arzt ins Krankenhaus gebracht werden. Der erste Verdacht auf einen gebrochenen Fuß bestätigte sich jedoch nicht. So war Tharsini an den kommenden Tagen zwar stark „gehbehindert“.
Der entscheidende Tag
Der dritte Tag sollte zum Tag des deutschen Teams werden. Es begann jedoch mit einem Schock. Aydin Ates (Fly Weight -54kg ) hatte es in seinem ersten Kampf mit dem Iraner Mehdad Rokni zu tun. Ates kontrollierte über zweieinhalb Runden den Kampf, eine kleine Unachtsamkeit am Ende der dritten Runde brachte jedoch den Ausgleich für den Iraner und per Kampfrichterentscheid wurde dieser zum Sieger erklärt. Dieser Kampf mit seinen spektakulären Aktionen war genau, was die Zuschauer sehen wollten. Sicher enttäuschend für den amtierenden Europameister, denn gerade sein Finalegegner von Zagreb, der Türke Kutluca, wurde Weltmeister in dieser Klasse.
Sonja Schiedt (Light Weight -60kg) hatte sich viel für die WM vorgenommen. Gut vorbereitet machte sich jedoch bei den Trainingseinheiten in Manila eine alte Verletzung am rechten Fuß bmerkbar. Unter großen Schmerzen, die jeder der sympathischen Fighterin aus Neuaubing bei jedem Tritt und Schritt ansehen konnte, kämpfte sie sich bis ins Viertelfinale durch. Nach Siegen über die griechischen- und jugoslawischen Teilnehmerinnen war gegen die spätere Vizeweltmeisterin aus Argentinien, Veron Sanchez Vaniana, jedoch Schluß. Mit einer gesunden Sonja Schiedt wäre mehr möglich gewesen.
Unbemerkt nach vorne
Gleichzeitig kämpften sich Aziz Acharki (Light Weight -70kg) und Monika Sprengel (Fly Weight -47kg) in ihren Gruppen unbemerkt nach vorne. Monika schaltete als erstes ihre indische Konkurentin und dann die favorisierte Spanierin Maria Jose Jimenez aus. Bereits der Einzug ins Viertelfinale war ein großer Erfolg für die 21jährige Sportstudentin aus Garbsen. Ihr Sieg im Viertelfinale gegen die Schwedin war bereits die große Überraschung. Mit ihrer kämpferischen Einstellung und ihrem guten taktischen Kampfverhalten sowie dem Willen zum Sieg war Monika nach dem Gewinn des Halbfinales gegen die Vietnamesin bereits überglücklich. Im Finale gegen die Türkin Hamide Bickin, die in ihren Vorkämpfen unter anderem die Koreanerin aus dem Rennen warf, zeigte Monika noch mal alles was sie konnte, geschicktes Abwarten genauso wie den beherzten Angriff. Den überaus harten Attacken der Türkin war sie an diesem Abend jedoch nicht gewachsen. Die Silbermedaille und damit den Titel der Vizeweltmeisterin konnte ihr jedoch keiner mehr nehmen. Überglücklich und physisch total erschöpft fiel sie nach den Schlußsignal dem Bundestrainer Josef Wagner in die Arme, der mit diesem Erfolg in Verbindung gebracht werden muß.
Wie ein Raubtier . . .
Nun wartete die deutsche Mannschaft auf das letzte Finale des Abends. Sollte noch eine Steigerung möglich sein? Souverän hatte sich Aziz Acharki bis ins Finale durchgesetzt. Einen deutlichen Sieg gegen Lesotho folgte ein 15:3 gegen den Teilnehmer aus Hong Kong. Der Sieg über den Türken Bünjamin Yaz, der in Stuttgart bei Park Soo Nam trainiert und Aziz schon einmal besiegt hatte, war wie ein Weichenstellen für Aziz. Sein Viertelfinalgegner aus Brasilien und der sehr unbequeme Halbfinalist aus Schweden forderten ihn sowohl physisch als auch psychisch alles ab. Hier zeigten sich seine Stärken von Aziz: Wie ein Raubtier umtänzelte er leichtfüßig und geschmeidig seine Gegner, um dann mit einer ungeheuren Dynamik auf sein Gegenüber zuzuspringen und mit Doppelpaltungs und ungeheuer harten Dwitchaggis den Angriff seiner Gegner abzustoppen und zu punkten. Zum Finale brauchte Aziz die Betreuung des ganzen Teams, Arzt und Masseur bearbeiteten ihn und jeder kann vorbei und wünschte ihm viel Glück. Auch Sportler anderer Nationen, die Aziz von vielen Turnieren her kannten, kamen und klopften ihm anerkennend und auffordernd vor dem Finale auf die Schultern.
Das Ende des Finales gegen den Mexikaner Roberto Estrada Garibay war an Spannung und Dramatik nicht zu überbieten, doch dank seiner enormen Kraftreserven und seines unbeirrten Kampfeswillen konnte sich Acharki verdient als Sieger und neuen Weltmeister feiern lassen. Und das wurde auch getan: Überglücklich und total am Ende konnte er kaum fassen, was um ihn herum geschah. Das gesamte Team umarmte Aziz und viele kamen an diesem Abend dazu und feierten mit der Mannschaft und mit dem Weltmeister und der Vizeweltmeisterin.
Montesumas Rache
Der vierte Wettkampftag war für die Kämpfer nach dem Jubel des Vortages besonders schwer, die Erwartungen waren plötzlich sehr hoch. Es begann auch sehr verheißungsvoll, sowohl Sven Hündersen (Feather Weight -64kg), Cathrin Vetter (Feather Weight -55kg) und Olaf Wilkens (Heavy Weight +83kg) konnten ihren ersten Kampf gewinnen und Bettina Hipf (Heavy Weight +70kg) siegte kampflos. Doch bei Olaf Wilkens zeigte sich, daß, wenn nicht jeder 100% aufpaßt, mit dem Essen und Trinken in diesen Regionen, die Wirkungen den Aufwand von Monaten zunichte machen können. „Montesumas Rache“ traf Olaf so stark, daß ein Einsatz lange Zeit fraglich war. So war es fast „Glück im Unglück“, daß Wilkens im zweiten Kampf gegen den Schweden durch einen Kick des Schweden in der Kampfunterbrechung K.O. zu Boden ging und der Schwede disqualifiziert wurde, denn 3 Runden hätte Wilkens in diesem Zustand sicherlich nicht durchgehalten. Zu seinem dritten Kampf gegen den späteren Weltmeister Myong Sook Jung (Korea) trat er auf Anraten des Arztes und des Bundestrainers nicht mehr an. Sicher eine herbe Enttäuschung, wäre er doch gern mit einem Titel zu seinem neuen Verein gekommen. Ob er sich für ein großes Turnier noch einmal motivieren kann, ist fraglich.
Keine Normalform
Schlimmer traf es Bettina Hipf. In einem nach ihren eigenen Maßstäben schlechten Kampf, in dem sie nie Normalform erreichte, verlor sie gegen Griechenland. Die Enttäuschung war allen anzumerken. Sven Händersen, hatte es in seinem zweiten Kampf mit den starken Spanier Francisco Zas zu tun. Lange Zeit konnte Sven den Kampf offen gestalten, hier zeigte sich die gute psychische Einstellung von Händersen und seine bereits profihafte Einstellung bei seiner ersten WM. Doch der erfahrend Zas konnte in der letzten Runde das Blatt zu seinen Gunsten wenden.
Deutliche Unterlegenheit
Cathrin Vetter hatte es in ihrem zweiten Kampf mit der übermächtigen Koreanerin Seung Min Lee Jan zu tun. Trotz aller Gegenwehr, die die Qualitäten der Polizeibeamtin aus Blaufelden deutlich zeigten, mußte sie sich der späteren Weltmeisterin geschlagen geben. Bleibt nur zu hoffen, daß Cathrin entgegen ihren Ankündigungen deutlich weniger zu machen, sich noch einmal für ein großes Turnier qualifizieren kann, denn sie ist der Turniertyp, der sicher bei richtiger Vorbereitung ganz weit vorne landen kann.
Der letzte Tag ließ mit den restlichen zwei Gewichtsklassen Hoffnung beim Deutschen Team aufkommen. Doch zur Überraschung aller hatte die erfahrende Sonny Seidel (Welter Weight -65kg) einen rabenschwarzen Tag. Im ersten Kampf gegen Finnland schied sie aus. Ein so frühes Aus hatte keiner erwartet und Marco Scheiterbauer (Welter Weight -76kg) hatte als ersten Gegner (leider) einen Koreaner. Trotz einer hervorragenden Leistung und dem absoluten Willen zu gewinnen, konnte Marco auch mit der Unterstützung fast aller Zuschauer seinen Gegner nicht bezwingen. Einige sehr umstrittene Punktendscheidungen für den Koreaner wurden mit lauten Pfiffen begleitet. Hier sollte nicht der Bessere gewinnen.
Fazit
Der große personelle und finanzielle Aufwand der Deutschen Taekwondo Union für diese WM hat sich gelohnt. In der Gesamtwertung kamen die Herren auf einen hervorragenden vierten Platz hinter den Philippinen, Spanien und Korea,also zweitbeste Nation in Europa. Die Damen erreichten einen sechsten Platz hinter den USA, Türkei, Spanien, Chinese Taipeh und Korea. Diese Plazierungen zeigen deutlich, daß der eingeschlagene Weg der DTU,sich für den Leistungssport genauso stark zumachen wie für den Breitensportbereich,erste Erfolge zeigt. Sicherlich muß noch vieles verändert werden, eine Professionalisierung der Vorbereitung, engere Zusammenarbeit mit den Landes- und Heimtrainern sowie eine gezielte Förderung und Sichtung der Jugend. Die anderen Nationen kommen gewaltig nach, es gibt keine leichten Gegner mehr bei einer WM oder EM. Bis Olympia 2000 gibt es noch sehr viel zu tun, packen wir`s an.
KURZ NOTIERT
Die nächste WM wurde in Manila auf der Sitzung der WTF nach Hong Kong vergeben. Auf der Strecke blieben Zagreb und Paris. Besonders erfreulich für die DTU: Der Zuschlag für den World Cup 1998, für den sich die Deutsche Taekwondo Union beworben hatte, ging nach Sindelfingen. Hier gibt es in den nächsten Jahren viel zu tun. Die DTU hat erneut die Gelegenheit, ein großes Turnier auszurichten und sich für die Gastfreundlichkeit in vielen Ländern während der letzten Jahre zu revanchieren.
Resultate der TKD Weltmeisterschaft
Aus Manila berichtete Wolfgang Trybus-Poppe, Pressereferent der DTU.